Unter Beobachtung
Seite 3: Mobilität, Gesundheit, Reisen, Bildung: Es immer schwieriger, Deckung zu finden
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Wer nicht auf Schritt und Tritt ausspioniert werden will, lädt sich nicht nur Mühen auf. Er muss sich auch einen asketischen Charakter antrainieren, um mit dem Verzicht an allen Ecken und Enden leben zu können. Und da die Trennung von analoger und digitaler Welt längst obsolet geworden ist, geht der Verzicht sehr weit.
Gelegentlich auf einen Smart von Car2Go zugreifen zu können, ist doch eine harmlose Angelegenheit. Tatsächlich? Ich frage bei der Presseabteilung von Daimler nach, wie lange die dabei anfallenden Daten gespeichert werden. Die Antwort: Wir speichern nur Anfangs- und Endpunkte der Fahrt mit den dazugehörigen Zeitpunkten, dazu die betreffenden Daten, wenn zwischendurch geparkt wird.
Dazu lässt mich die freundliche Dame aus der Presseabteilung wissen: "Die Erstellung eines detaillierten Bewegungsprofils ist mit diesen begrenzten Koordinaten nicht möglich." Das ist wohl wahr, wenn es nur um eine einzige Anmietung geht. Bei wiederholter Nutzung von Car2Go lässt sich allerdings ein frappierend detailliertes persönliches Nutzerprofil erstellen. Und tatsächlich werden die entsprechenden GPS-Daten beim Autovermieter für zehn Jahre gespeichert.
Dass man mit dem eigenen Wagen weniger Spuren hinterlässt, darf bezweifelt werden – moderne Fahrzeuge sind längst vernetzte Computer auf Rädern, bei denen bis zu 25 Gigabyte pro Betriebsstunde anfallen. Bleibt nur die Frage, welchem Konzern der Datensegen zusteht, dem Auto- oder dem Softwarehersteller?
Dieses drängende Problem bewegte jedenfalls Bundeskanzlerin Merkel bei ihrer Eröffnungsrede der diesjährigen CeBIT. Dass die Datensouveränität möglicherweise beim Fahrzeugbesitzer liegen könne, kam ihr nicht in den Sinn.
Solche Beispiele aus dem Bereich Mobilität demonstrieren: There is no place to hide, wenigstens wird es immer schwieriger, Deckung zu finden. Und dabei geht es nur um eine Facette des Lebens, dasselbe ließe sich für viele andere durchexerzieren, Gesundheit, Reisen, Bildung etwa.
Ein weiteres Problem: Wir spionieren einander gegenseitig aus. Als ich vor einiger Zeit Telefonnummern mit einem Fellow der Free Software Foundation Europe austauschte, kam von ihm eine Frage, die ich nie zuvor gehört hatte und wahrscheinlich kaum jemals mehr hören werden: "Mein Adressbuch wird mit Google-Servern synchronisiert - ist es dir recht, wenn ich deine Nummer eintrage?"
Ich nickte gottergeben, eingedenk dessen, dass längst schon Hunderte vor ihm alles Mögliche an persönlichen Informationen über mich an diverse Datenbanken übertragen hatten, und das in aller Unschuld: meinen Namen, meine Privatadresse, Telefonnummern, E-Mail-Adressen, wahrscheinlich Geburtsdatum, Bankverbindung und was man sonst so in Adressbüchern festhält. Ich hoffe, dass bisher niemand ein Foto an Facebook übertragen hat, auf dem ich gut genug für Gesichtserkennung zu erkennen bin. Aber ich bezweifle, dass mir das erspart geblieben ist.
Eine Allianz der Überwacher, Kontrolleure und Manipulatoren wächst zusammen
Beim Wahren der Privatsphäre im digitalen Zeitalter gelten ähnliche Regeln wie bei der Hygiene. Für sich allein kann man wenig ausrichten. Wer sich etwa im Mittelalter ganz entgegen den üblichen Gepflogenheiten regelmäßig gewaschen hätte, sein Trinkwasser abgekocht, das Haus von Ratten frei gehalten hätte, der wäre möglicherweise etwas weniger von Ungeziefer geplagt, von der einen oder anderen Infektion verschont geblieben. Die Pest hätte ihn womöglich trotzdem erwischt - eben auch weil sich all seine Zeitgenossen um ihn herum nicht an elementare Regeln der Hygiene hielten. Außerdem hätte er in Kauf nehmen müssen, von ihnen als Sonderling angesehen zu werden.
Für einen Sonderling gehalten werden - damit kann ich leben. Und wundere mich im Gegenzug über die Naivität, auf die ich allerorten stoße, etwa bei Facebook-Nutzern, die im rührenden Glauben leben, der Konzern wisse nur das über sie, was sie bewusst preisgeben. Dabei macht diese freiwillige Datenspende ja nur einen Bruchteil des konzerneigenen Stasi-Archivs aus: Annähernd jeder der allgegenwärtigen Like-Buttons auf Webseiten funktioniert da etwa als Wanze (heise.de hat diese Tracking-Funktion, die in der Regel ohne jedes Zutun des Nutzers anspringt, aus Gründen des Datenschutzes entschärft). Zudem kauft Facebook personalisierte Daten aus der "analogen Welt" en masse zu, um zu ergänzen, was vom Nutzer willentlich oder unwillentlich im Netz preisgegeben wird.
Bei dieser Zusammenführung von Daten aus verschiedensten Quellen geht es längst um eine übliche Praxis: Jüngst erklärte Google, dass der Konzern nunmehr rund 70 Prozent aller Kreditkartenzahlungen, die in US-amerikanischen Ladengeschäften getätigt werden, in seinen stetig anschwellenden Datenbestand aufsaugt. An die fehlenden 30 Prozent zu kommen dürfte eine Frage der Zeit sein.
"Data Brokers", "Data-Analytics"-Unternehmen … allein in den USA sind über 4000 Unternehmen in der Überwachungswirtschaft angesiedelt, deren Namen, Datalogix oder Acxiom etwa, kennen die allerwenigsten. Wer einen tieferen Einblick in diese Industrie gewinnen will, findet in dem Buch "Networks of Control" von Christl Wolfie und Sarah Spiekermann Stoff für Alpträume genug; fürs erste tut es auch Christls Report "Corporate Surveillance in Everyday Life".
Aber wer will all das schon wissen?
Wenn es denn nur um meine persönliche Datenhygiene ginge, dann würde ich meinen mühseligen Widerstand gegen die allumfassende Bespitzelung klaglos auf mich nehmen, auch im Bewusstsein, dass ich damit in einer Welt des "Internet of Things" zunehmend zum Don Quijote werde. Tatsächlich führt die wuchernde Überwachungswirtschaft aber geradewegs in eine Dystopie, den Verlust der Freiheit aller in zunehmend beschädigten Demokratien.
Denn dass die "Public Private Partnership" zwischen kommerziellen und staatlichen Überwachern eine Erfolgsstory ist, das haben schon die ersten Snowden-Enthüllungen über das PRISM-Projekt der NSA offengelegt - ganz unabhängig davon, ob die Konzerne von Big Data jetzt willentlich oder unwillentlich als Zulieferbetriebe fungierten. Den einen geht es ums Geld - ein in diesem Zusammenhang vergleichsweise ehrenwerter Antrieb -, den anderen um Macht und Kontrolle in einem Ausmaß, das jede Vorstellung von Demokratie konterkariert. Und auch wenn von der kommerziellen Seite immer wieder mal Widerstand gegen potentiell geschäftsschädigende Übergriffe des Staats aufflammt, wächst da doch zusammen, was zusammengehört: eine Allianz der Überwacher, Kontrolleure und Manipulatoren.
Wo bleibt der Widerstand auf breiter Front?
In H.G. Wells‘ "Die Zeitmaschine" stößt der Protagonist in einer fernen Zukunft auf ein sorglos und unbeschwert vor sich hinlebendes Völkchen, die Eloi. Ihr sonniges und gedankenarmes Dasein scheint nur gegen Einbruch der Dunkelheit getrübt, dann überkommt die Eloi eine gewisse Unruhe und Beklemmung, die sich der Zeitreisende nicht recht erklären kann. Zumindest, bis er eine Entdeckung macht: Es gibt noch eine weitere Rasse, die Morlocks. Sie leben verborgen im Untergrund, sorgen für die Bedürfnisse der Eloi, beherrschen eine unterirdische Maschinenwelt. Und besonders in mondlosen Nächten fangen sie dann eine Handvoll Eloi ein, um sie als leichte Spätmahlzeit zu sich zu nehmen. Die Eloi sind das Nutzvieh der Morlocks.
Ich schaue mich um und sehe: Eloi überall.