Ursachen der zahlreichen Konflikte im Vielvölkerstaat Myanmar

Seite 2: Der Rohingya-Konflikt ist nur einer von vielen Konflikten

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Die Rohingya sind nur eine, wenn auch aufgrund der Weigerung der Regierung, sie als Minderheit anzuerkennen, besonders leidende Volksgruppe unter den unzähligen Volksgruppen Myanmars. Das ehemalige Burma ist eines der ethnisch vielfältigsten Länder nicht nur der Region, sondern der Welt.

Etwa 130 unterschiedliche Volksgruppen, neben den dominierenden Bamar, die Mon, Karen, Karenni, Padaung, Shan, Lahu, Akha, Wa, Pao, Kachin, Chin, Rakhin oder Naga, um nur die wichtigsten zu nennen, leben innerhalb seiner Grenzen. Sie verwenden verschiedene Sprachen und Trachten, gehen unterschiedlichen Religionen und Traditionen nach. Im Jahr 1917 versuchten britische Ethnologen in mühevoller Arbeit die Sprachen und Dialekte des Landes zu zählen. Sie gaben bei 242 Idiomen auf und die Ausweitung der Spracherforschung Indiens auf Burma musste als "ein Ding jenseits unserer jetzigen Kapazität" aufgegeben werden.

Diese Völker waren nie direkt dem burmesischen König untergeordnet, vielmehr gehorchten sie ihren lokalen Fürsten, etwa den Sawbwas bei den Shan. Britische Kartographen zogen die Grenzen des Landes, die sie in jahrelangen Streitigkeiten mit den Chinesen, Siamesen und Franzosen ausverhandelten, und zwangen sie danach den unterschiedlichsten Völkern auf, mit dem Ergebnis, dass zum Beispiel die Kachin heute sowohl in Myanmar, als auch in China leben. Die Briten verließen Burma mit einer vorprogrammierten Zukunft, die von ethnischen Konflikten geprägt werden sollte.

Während die größte Bevölkerungsgruppe, die buddhistischen Bamar-Burmesen der direkten Kontrolle aus Delhi unterstanden, erlaubten die Briten den lokalen Fürsten und Königen der Kachin-Shan- und Chin-Minderheiten eine beschränkte Autonomie. Zusätzlich bedienten sie sich deren Häuptlinge, um die eigene Macht zu sichern. Die Pax Britannica wurde von letzteren als Befreiung von der Herrschaft der Burmesen angesehen, während die Briten bewusst unter diesen Bergstämmen Männer für ihre Kolonialarmee rekrutierten. Den Bamar-Burmesen war hingegen der Zutritt zum Militärdienst weitgehend versperrt. Auch war die Ausbreitung der christlichen Lehre unter den Bergvölkern wesentlich erfolgreicher, ein Umstand, der diese Religion für Burmesen noch heute zum Werkzeug der Kolonialisten mit einem Touch von Verrat macht.

Diese Erfahrungen spielen auch im heutigen Denken der Bamar-Burmesen eine wesentliche Rolle. Sie hegen eine ausgeprägte Verachtung für die "wilden" Bergvölker, die nach ihrer Ansicht weder über Kultur, Kunst, Literatur oder Religion verfügten. Immerhin waren Wa und Naga einst berüchtigte Kopfjäger, sie schmückten ihre Dörfer gerne mit Schädeln von getöteten Gefangenen. Das hinderte die Briten dennoch nicht daran, in ihnen wertvolle Stützen ihrer Macht zu sehen.

George Orwell, der als kolonialer Polizeibeamter nach Burma entsandt wurde, prophezeite, dass die ethnischen Konflikte zum Niedergang des Landes führen würden. Kurz vor der Entlassung der Kolonie in die Unabhängigkeit fragte er in einem Zeitungsartikel: "Wie groß muss eine Minderheit sein, bevor sie Unabhängigkeit verdient?" Diese Frage stellt sich bis heute, wenn man den aussichtslosen Kampf der winzigen Armee der christlichen Karen beobachtet, den sie gegen die übermäßige Militärmacht führt. Was hätten ein unabhängiger Karen- oder Kachin-Staat der Welt zu bieten, einer Welt, die mehr denn je nach Integration statt nach Eigenstaatlichkeit strebt?