VW. Das Auto. Der Betrug. Die Paten

Seite 2: Das deutsche Strafrecht kennt keine Konzernführung, die für das verantwortlich ist, wofür sie fürstlich bezahlt wird

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So kurios es anmutet, so wahr ist es: Die Staatsanwaltschaft kann kein Ermittlungsverfahren gegen die VW-Konzernführung einleiten. Der VW-Konzern, wie jedes andere Unternehmen auch, ist kein "sanktionsfähiges Subjekt". Im existierenden Strafrecht, das sich auf Straftaten in und durch Unternehmen bezieht, herrscht Mittelalter. Man kennt dort nur "natürliche Personen", denen man individuell nachweisen muss, dass sie die mögliche Straftat begangen haben.

Dass ein Unternehmen nicht aus "natürlichen", also gleichen Personen besteht, sondern aus Hierarchien, in denen Menschen Anweisungen ausführen und ganz wenige Anweisungen erteilen, ignoriert das Strafrecht. Dass in einem Unternehmen weisungsgebundene Organisationsstrukturen vorherrschen und private, persönliche Motive konstitutionell keine Rolle spielen, weiß eigentlich jedes Kind - nur das Strafrecht nicht.

Wenn z.B. Deutsche Bank-Mitarbeiter über Jahre Libor-Zinssätze (zugunsten ihrer Bank) manipuliert haben, dann suggeriert das deutsche Strafrecht, dass diese Mitarbeiter aus "Untreue", also gegen ihr Unternehmen gehandelt hätten. Dass das absurd ist, dass die Manipulation der Libor-Zinssätze einzig und alleine dem Unternehmen zugutekam, stört nicht. Dieses deutsche Strafrecht sanktioniert also nicht Rechtsbrüche von Unternehmen, sondern imaginiert mit dem Vorwurf der Untreue ein "schwarzes Schaf", das die "weiße Weste" des Unternehmens beschmutzt haben soll.

Nun werden viele auf dem Gebiet der Rechtspflege Versierte einwenden, dass das Strafrecht keine Handhabe gegen Unternehmen vorsieht, dass der Staatsanwaltschaft also die Hände gebunden seien. Seit Jahrzehnten. Genauso lange wird dieses "Manko" mit breitem Wohlwollen und großer Gelassenheit durch alle Regierungsparteien hindurch hingenommen.

Organisierte Kriminalität (OK) in Verbindung mit organisierter Untätigkeit staatlicher Behörden

Wolfgang Hetzer ist promovierter Rechts- und Staatswissenschaftler und war von 2002 bis 2013 Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF/Office Européen de Lutte Anti-Fraude). Man kann folgender Einschätzung also profundes Wissen unterstellen. Was Wolfgang Hetzer mit Blick auf die Deutsche Bank ausführt, lässt sich strukturell auch auf den VW-Skandal übertragen:

Sicher: Banker (männlich wie weiblich) sind regelmäßig gepflegt und hübsch angezogen. Sie ähneln kaum Drogen- und Menschenhändlern, Rockern oder anderen zwielichtigen Gestalten. Damit sind die Akteure der Finanzwelt aber noch nicht aus dem Schneider. Nach dem in Deutschland vorherrschenden Verständnis reicht für die Annahme Organisierter Kriminalität im Wesentlichen die planmäßige Begehung von Straftaten aus. Nach einer anderen Auffassung bezieht sich der Begriff auf kriminelle Organisationen, also Gruppen mit "formaler Struktur". Schließlich könnte man auch die Ausübung von Macht als das zentrale Element Organisierter Kriminalität sehen, ausgeübt durch Kriminelle alleine oder in Allianz mit anderen Kriminellen und/oder Angehörigen der gesellschaftlichen "Eliten". Im Hinblick auf die zweite genannte Variante erscheint Organisierte Kriminalität als ein systemischer Zustand, gekennzeichnet durch die Korrumpierung der verfassungsmäßigen Ordnung im Zusammenwirken von Unterwelt, Wirtschaft und Politik.

Wolfgang Hetzer: Ist die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung? Die Kriminalpolizei, Ausgabe März 2014

Selbst ohne die Einführung eines Unternehmensstrafrechts wäre es also möglich, dem Irrwitz von Einzeltätern und schwarzen Schafen ein Ende zu bereiten. Wenn man in Erinnerung ruft, wie schnell Gesetze verschärft oder "Lücken" geschlossen werden, wenn man denn will, der ahnt, dass genau diese "Lücke" gewollt ist.

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