VW. Das Auto. Der Betrug. Die Paten

Seite 4: Was in Deutschland "schwarze Schafe" sind, verfolgt man in den USA als Verschwörung

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Bevor wir über den großen Teich fliegen, noch einmal ein kurzer Blick auf die hauseigene Homestory von VW: In dieser wurde ein knallhart geführtes Unternehmen in einen Haufen autonomer Zellen verwandelt, die alle ihr eigenes Ding drehten. In ihr wird die Mär von "ehrgeizigen Einzeltätern" erzählt, die ohne Anweisung und gegen den Willen der Konzernführung eigene Produkte erfunden hatten und einbauen ließen, hinter dem Rücken einer ehrenhaften Konzernführung.

In Deutschland gibt es wahrscheinlich nicht einmal mehr Kinder, die dem Konzern diese Fantasy abnehmen. Muss ja auch nicht sein, denn VW verkauft ja im wesentlichen Autos und dieses Geschäft brummt. Zugleich kann sich der VW-Konzern auf die jeweilige Regierung verlassen, die alles unterlässt, damit kriminelle Handlungen wirksam bekämpft werden können.

Die einzige Justiz, die bis dato der VW-Konzern in Deutschland zu fürchten hatte, waren die Börse und die Aktionäre und die bestrafen keine kriminellen Handlungen, sondern ungenügende Gewinne. Und so konnte die VW-Aktie in aller Ruhe das tun, was Anleger und Investoren wirklich bewegt: steigende Aktienkurse und satte Dividenden.

2010 lag der Aktienkurs bei etwa 58 Euro. 2020 steht der Aktienkurs der VW-Aktie bei etwa 134 Euro.

Wer behauptet, dass sich kriminelles Handeln nicht lohne, der wird hier eines Besseren belehrt.

In Deutschland werden überall Verschwörungsphantasien aufgedeckt und bloßgestellt. In den USA wird der VW-Konzern wegen Verschwörung angeklagt

Es gibt sicherlich nicht allzu viel, was man am Rechtssystem in den USA loben kann. Dazu gehört jedenfalls ganz sicher ein Unternehmensstrafrecht, das sich nicht im Mittelalter aufhält, sondern im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Dank dieses Unternehmensstrafrechts können dort Konzernführungen für das verantwortlich gemacht werden, was im Konzern, unter ihrer Führung passiert. Und genau das wurde im "Fall VW" angewandt. Dort wurden nicht nur gegen VW-Manager ermittelt. Sie wurden angeklagt, nicht als "schwarze Schafe", sondern als Mitglieder einer Verschwörung.

In Deutschland muss man in diesem Kontext erst einmal heftig schlucken. Verschwörungen gelten hier seit Langem als Hirngespinste, in Form schwachsinniger Phantasien. In aller Regel befasst man sich hier mit Verschwörungen nur in Anführungszeichen - so ähnlich wie die "DDR", die es in der Bundesrepublik nur in Anführungszeichen gab.

In den USA ist eine Verschwörung keine fieberhafte Erscheinung, keine Fata Morgana, sondern eine spezifische Form der kriminellen Organisation. Deshalb lautet korrekt und treffend die Anklage der US-Behörde: "Verschwörung zum Betrug und des Verstoßes gegen Umweltgesetze".

Der dort angeklagte VW-Manager Oliver Schmidt wurde 2017 zu sieben Jahren Haft verurteilt: "Der 48-jährige Deutsche hatte seine Mittäterschaft beim 'Dieselgate'-Skandal zunächst abgestritten, im August bekannte er sich jedoch schuldig und ging einen Deal mit der Staatsanwaltschaft ein. Dadurch wurden mehrere Anklagepunkte gestrichen." (zdf.de vom 06.12.2017) Und während sich die "Ente" von verängstigten bis verselbstständigten Ingenieuren in Deutschland bis zum jetzigen Urteil gehalten hat, ist sie in den USA längst geschlachtet worden. Dort hatten sich mehrere VW-Mitarbeiter aus dem mittleren Management als Kronzeugen zur Verfügung gestellt und diesem absurden Spiel ein Ende bereitet. Und ganz plötzlich und ganz leise wusste die VW-Konzernspitze ganz genau, was sie tun musste: Sie war sofort bereit, insgesamt mehr als 25 Milliarden Euro an Kosten für Strafen und Entschädigungen für etwas zu bezahlen, wovon sie noch weniger als nichts wusste.

In Kenntnis und Billigung

Das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 25. Mai 2020 hält fest, dass in der Dieselgate-Angelegenheit nichts zufällig, nichts in absoluter Ahnungslosigkeit geschehen ist und schon gar nicht gegen die VW-Führung gehandelt wurde:

Die Beklagte (der VW-Konzern, d.V.) hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig (…) Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden.

VI ZR 252/19 vom 25. Mai 2020

Eigentlich müsste ein solches Urteil sofort strafrechtliche Schritte nach sich ziehen. Denn es geht hier um die Täuschung von Bundesbehörden (Kraftfahrt-Bundesamts/KBA), um die Täuschung von Anteilseignern, zu denen auch das Land Niedersachsen mit 11,8 Prozent zählt.

Und man darf es in Corona-Zeiten auch einmal sagen: Es geht um die Gesundheit der Menschen, um ein selbstgemachtes Virus namens Gewinnmaximierung.

Von Wolf Wetzel ist zuletzt das Buch "Der Rechtsstaat im Untergrund: Big Brother, der NSU-Komplex und die notwendige Illoyalität" im PapyRossa Verlag (2015) erschienen.

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