VW-Design zwo - die Gegenwart

Kleiner Junge mit Rennbeetle, Modell La Cucaracha. Foto: Tom Appleton

Ausgerissene Ärmchen, ein neues Flagschiff und die Edsel-Phase

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Zu Teil 1: Design oder Nicht-Sein: Die lange Reise des VWs — vom Vergaser zum Versager

Gehen wir gleich in medias res:

65 Jahre lang wurde der Käfer gebaut, von seinen ersten Anfängen 1938 in Deutschland, bis 2003, als das letzte Exemplar eines Käfers in Mexiko vom Band lief. Die Firma Volkswagen wurde zu einem der größten Autohersteller weltweit. Trotzdem identifiziert man auch heute noch die Marke VW in erster Linie mit seinen drei Käfer-basierten Modellen, dem Käfer selbst, dem Karmann Ghia und dem Bulli.

Bei den unzähligen Modellen, die VW in den Jahrzehnten seines Bestehens gebaut hat, haben lediglich zwei es geschafft, eine gewisse mythische Qualität ähnlich der des alten Käfers zu erreichen. Beide sind Quasi-Käfer-Ableger aus Amerika, der Beach-Buggy und der New Beetle.

Auch der beliebteste Sportwagen Amerikas bleibt — trotz des kataklysmischen Unfalltods von James Dean, 1955 — der Porsche, eine Kreation des VW-Erfinders, Ferdinand Porsche. Als aufregendstes Design, also als Höhepunkt der Auto-Kreativität, gilt auch in Amerika bis heute die DS ("Göttin"-) Serie von Citroen, gestartet 1955, die letztlich nichts weiter als eine Modernisierung der Käfer-Matrix darstellte. Den übrigen wunderschönen amerikanischen Design-Ikonen, denen man heute noch mit nostalgischer Wehmut auf Kuba-Fotokalendern hinterhertrauert, hatte Ralph Nader endgültig 1965/66 in seinem Buch "Unsafe at Any Speed" ("Lebensgefährlich bei jeder Geschwindigkeit") den Todesstoß versetzt. (Kurioserweise gibt es die Wikipedia-Seite zu diesem Thema auch jetzt, mehr als 50 Jahre später, noch immer nicht auf Deutsch.) Kurz gesagt, war dies das große Dinosaurier-Sterben der amerikanischen Auto-Industrie, das der Käfer auf wundersame Weise überlebte.

Um diesen Artikel zu schreiben, legte ich mir vier Bücher zum Thema "Volkswagen" zu. Sie alle sind neueren Datums, erschienen 2012, 2013, und zwei mal 2016. Mehr als 10 Jahre nach dem Tod des Käfers in Mexiko, fragt man sich, Welcher Volkswagen gilt heute wohl als das Flaggschiff der Firma VW? Welches Modell wird auf dem Cover dieser Bücher abgebildet sein, um die Essenz dieser Marke aufzurufen? Wird es der VW Golf sein, der seit fast 44 Jahren in sieben Generationen um die 30 Millionen mal gebaut wurde? Wird es der Passat sein, ebenfalls in siebter Generation, 15 Millionen mal gebaut? Oder wie steht's mit dem Modell, in dem der Polit-Feschist (so durfte man ihn nennen, LOL) Jörg Haider in Österreich seine Karriere beendete? Also — wird es der Phaeton sein, der Luxus-VW, sozusagen der VW-Silver Cloud, der insgesamt nur 84.000 mal gebaut wurde?

Nein, natürlich nicht. Die Definition der Marke VW findet nach wie vor über den Käfer statt. Auf dem Cover jedes dieser Bücher findet sich ein Käfer. Sorry, auf einem findet sich auch das VW-Emblem, oder nennen wir es Signet, bestehend aus den Buchstaben V und W.

Einfach oben die Ärmchen ausgerissen.

Seltsamerweise wurde das alte VW-Wappen mit dem Wolf auf der Burg (der Käfer wurde anfangs in "Wolfs/Burg" gebaut) irgendwann einmal abgeschafft und durch diese seltsame Signatur ersetzt, die in Deutschland in über 50 Jahren nie zu irgendwelchen Protesten Anlass gab. Dabei wäre es — wenn wir uns einmal eine der üblichen Streichholz-Rätsel-Aufgaben, die man aus IQ-Tests kennt, vorstellen wollten — ein Leichtes, selbst für einen Sub-Debilen, ein Streichholz-Hakenkreuz zu einem Streichholz-VW-Emblem umzugestalten. Wie hast du das gemacht? würde man ihn fragen. — Ganz einfach, wäre seine Antwort. Ich habe ihm oben zwei Ärmchen ausgerissen und unten ein Beinchen umgeknickt. — Brav, würde man ihm sagen. Und wie lange hast du dafür gebraucht? Drei Sekunden!

Also fragt man sich doch, wieso in Deutschland und überhaupt, auf der ganzen Welt, dieses 50 Jahre lang niemandem aufgefallen ist?

Der Grund dafür ist natürlich leicht zu erraten. Wo es um VW ging, ließ man den kritischen Verstand außen vor, man gab ihn an der Garderobe ab. In Amerika liebte man den Beetle so sehr, dass man ihm sogar einen ganz persönlichen Namen gab, so wie Fluffi oder Schnuffi, bloß, dass er in diesem Fall eben Herbie genannt wurde. Und diesen Herbert ließ man dann alle möglichen Abenteuer bestehen. Mochten die Beach Boys einen T-Bird besingen - bei Disney war es Herbie, der Jahr um Jahr bei den Kiddies punktete.

Das Mädchen, das im letzten Herbie-Film die andere, die menschliche Hauptrolle spielte, hatte dann nochmal einen super-quietschsauberen Part in "Mean Girls", dem High School-Film mit dem tollen Soundtrack. Sie war auch ein superschnuckeliges "Doppeltes Lottchen" gewesen. Aber als Lindsay Lohan dann im realen Leben sich als Oberschlampe gerierte und auch fast schon punk-hafte Schmuddel-Songs einspielte ("I Want to Come First") — da konnte man sich leicht denken, dass es mit dem squeaky-clean Image von VW auch bald vorbei sein würde.

Das neue Flaggschiff

Die Amerikaner — d.h., die amerikanische Dependance von VW — hatte erkannt, dass jede Marke ein Flaggschiff benötigt. Man konnte nicht einfach den Käfer absägen. Rolls Royce mochte Flugzeugmotoren bauen, sein Autosortiment mochte an der Pleite entlangtorkeln, aber nie könnte Rolls Royce aufhören, Luxusautos für arabische Scheichs zu basteln. VW brauchte einen Käfer, und deshalb musste der alte Käfer in Amerika als New Beetle wiederauferstehen.

Was man natürlich übersah, bei der Sache, war, dass die Zeiten vorbei waren, als Harvey Earl noch seine Karosserien aus Ton formte, wie ein Bildhauer, und dann Millimeter um Millimeter mit einem Küchenmesser runterschabte, bis er die ideale Form gefunden hatte. Einfach den alten Beetle aus Mexiko wiederaufleben lassen, ging natürlich auch nicht. (Wobei man nochmal auf das Feingefühl der Teutonen aus Wolfsburg hinweisen muss, die den letzten mexikanischen Käfer nicht etwa in einem schönen Glassarg in Mexico City unterstellten — nein, sie ließen ihn unter den Klängen einer Mariachi-Band aus der Firma geleiten — und nach Burgo de Lupo, Alemania, überführen.)

Also die Amerikaner mussten einfach ihren eigenen New Beetle designen. Ich möchte gar nicht einmal raten, bei welcher Firma sie dafür den Grafik-Computer bestellt haben mögen. Nur so viel ist klar. Die Japaner konnten es besser.

Die Firma Nissan brachte 1987 ein Sechziger-Jahre-Nostalgie Autochen heraus, den Pao, der quasi ein paar Riffs aus VW, Citroen und anderen Klassikern von früher anklingen ließ, aber darunter solide die moderne Technik von 1987 einspielte. "Sieht ein bisschen aus wie ein Mini von Citroen mit VW Anklängen - liab", meinte jemand, dem ich ein paar Fotos schickte.

Den Pao gab es bei Nissan gerade mal ein paar Monate lang. Eine Serie von etwas über 50.000 Stück. Seit 30 Jahren wird er nicht mehr gebaut. Der moderne kleine Oldie ist bis heute heißbegehrt. "Wenn man 40 Millionen Stück davon bauen würde und an jeden Menschen, der einen haben will, einen umsonst verteilen würde, hätte man den ewigen Frieden auf Erden," meinte ein anderer Kommentator, der den Pao dito überhaupt nur auf ein paar Fotos zu sehen bekam.

Bisschen Mini mit Citroen und VW. Liab. Fotos: Tom Appleton

Wie um VW den Schneid abzukaufen, machte sich dann auch die Firma Chrysler an die Arbeit und präsentierte ihrerseits kurz vor der Jahrtausendwende den noch besseren New Beetle, unter dem Namen P.T. Cruiser — ein reizendes Nostalgie-Auto, das auch prompt als spannendste Design-Neuigkeit seines Jahrgangs bejubelt wurde. Der New Beetle von VW wurde erstmal für seine neckische kleine Blumenvase gelobt, die angeblich auch so im ersten echten VW zu sehen war. Bei Oldie-Shows wurde dann ein solches Väschen nachträglich hineingeschraubt (siehe Foto.)

Innenansicht VW-Oldie mit nachgetragener Vase. Foto: Privat

In Amerika wurde die Vase wieder abgeschafft, angeblich, weil sie "zu unmännlich" war. D.h., weil sie männliche Käufer vom Kauf abhielt. Das nächste Problem war, dass der New Beetle zu klein war, denn die Amerikaner waren zwischenzeitlich alle sehr viel größer (=umfangreicher) geworden, so dass nach einiger Zeit der Riesen-Beetle auf dem Markt erschien. Der eigentlich die Kakerlake heißen müsste. Auf alle Fälle ist klar, welcher mexikanische Hit bei der Grablegung dieses Models gespielt werden wird.

VW in der Edsel-Phase

Wer sich heute irgendwo auf der Welt eine riesige Werbewand für den "Tiguan" betrachtet (der Tiguan ist ein Auto der VW-Modell-Palette, falls Sie's nicht wussten), der mag sich fragen, ob dieser Name eine Mischung aus "Tiger" und "Jaguar" bedeuten könnte. Oder, man könnte sich fragen, wer wohl auf die Idee gekommen ist, den Jaguar hinten mit einem "N" abzurunden? Oder ähnliches mehr. Aber haben Sie sich vielleicht fünf Sekunden lang mit dem eigentlichen Auto beschäftig? Es mal angesehen?

Das Interesse an VW ist fast urplötzlich erloschen, man kann sagen, die Firma steckt in einer tiefen Edsel-Phase. Edsel, Auto-Historiker werden es wissen, war der größte kreative Kollaps der Ford-Automobilfirma in Amerika.

Es war auch dort der Einbruch der Kunst in die Technik, nur dass die Kunst sich hier an Edvard Munchs Der Schrei orientierte.

Es geht Volkswagen heute ein wenig wie dem Komiker Bill Cosby, der immer noch ein brillanter Entertainer ist und immer noch auftritt. Aber bei fast allen seiner Shows gibt es die Zwischenrufer, die ihn fragen, wie er sich als 38-facher Vergewaltiger eigentlich immer noch so schamlos auf einer Comedy-Bühne tummeln kann?

Das Dieselgate hat dem beliebtesten amerikanischen Auto-Konzern buchstäblich das Genick gebrochen. Und dabei kann Volkswagen bisher noch von Glück sagen, dass es den deutschen und anderen europäischen Behörden offenbar egal ist, ob VW-Dieselfahrzeuge den konzentrierten Feinstaub in die Lungen ihrer Bevölkerungen pressen. Ab 2018 müssen sich Dieselfahrer im grünen Stuttgart immerhin auf Fahrverbote in der Innenstadt einstellen. Die Feinstaubbelastung überschreitet seit vielen Jahren in gut 90 deutschen Städten häufig die Grenzwerte. Deutschland ist deswegen bereits von der EU verklagt worden. Und Stuttgart ist von der Lungenbelastung besonders betroffen, weil in einem Talkessel gelegen. Aber, anders als in Amerika, wird es in Deutschland für VW keine Milliardenklagen geben.

Und ähnlich wie beim Vatikan — wo die 750-Millionen-Dollar-Strafe für amerikanische Kinderschändung aus deutscher Kirchensteuer lukriert werden musste — wird nun auch die amerikanische Milliardenstrafe des Dieselgate aus den gutmütigen deutschen Käufern abgesogen werden müssen, denen Volkswagen in einer jüngsten Werbung drei anonyme Autos (sorry, es sind Touran, Sharan und Passat Variant) um 3000 Euro verbilligt anbietet, mit dem Spruch:

Neu ist, was Ihr Leben besser macht.

Jeder mag Neu. Neu kann das nächste große Ding sein. Neu kann begeistern und eine Überraschung sein. Ein Neu, das besser und schlauer ist, über das man sich wundert, wie man nur so lange ohne es leben konnte. Ein Neu, mit dem man sich sicher fühlt. Erleichtert. Frei. Lebendig. Wichtig. Sogar cool. Neu ist, was Ihr Leben besser macht.

Tja. VW-Werbung ist eben auch nicht mehr das, was sie mal war. Jetzt ist sie selber schon eine Art "Lemon" geworden.

Fortsetzung folgt