Verbales Schiffeversenken in der Euro-Krise?

Merkel: "Der Euro ist in Gefahr", Zustimmung von SPD zum Rettungspaket ist unklar

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Am Dienstag ging es dann auf einmal sehr schnell: In Brüssel einigten sich die Finanzminister der Europäischen Union gegen den Widerstand Großbritanniens darauf, Hedgefonds strengen Regulierungen zu unterwerfen, die Bafin überrascht mit einem Verbot von ungedeckten Leerverkäufen bei bestimmten Wertpapieren und Frank Schäffler gibt seinen Rücktritt als Obmann der FDP im Finanzausschuss bekannt, weil er der Ansicht ist, dass die Politik derzeit "unsere Marktwirtschaft pervertiert", wie Schäffler im Morgenmagazin erklärte. Der Liberale stimmte bereits gegen das Rettungspaket für Griechenland und wird auch seine Zustimmung für das Rettungspaket für den Euro verweigern, welches noch in dieser Woche verabschiedet werden soll. Zudem lehnt er das Umschwenken der eigenen Partei in Sachen Finanzmarktsteuer ab.

In ihrer Regierungserklärung zur Rettung der Währung sagte die Kanzlerin, dass die Krise des Euros eine existenzielle Bewährungsprobe sei. Wenn die Gefahren für den Euro nicht abgewendet werden würden, dann seien die Folgen für Europa und darüber hinaus nicht absehbar. Deshalb forderte die Kanzlerin die Abgeordneten auf, auch einmal die "technischen Aspekte" des Gesetzentwurfes, mit dem der Weg für die Gründung einer Zweckgesellschaft zur Rettung von finanziell angeschlagenen Euro-Staaten frei gemacht werden soll, beiseite zu legen.

Die technischen Aspekte, das sind die Kosten: Bis zu 440 Milliarden Euro an Krediten soll die Zweckgesellschaft im Bedarfsfall ausreichen, die Euroländer müssen für diese Kredite garantieren und bei Zahlungsausfall einspringen. Der deutsche Anteil an den Garantien liegt bei 123 Milliarden Euro. Falls das alles nicht reichen sollte, enthält der Gesetzentwurf auch bereits die Möglichkeit, die Garantieermächtigung um 20 Prozent, das heißt um 24,6 Milliarden Euro, zu überschreiten. Dazu müsste, sollte das Gesetz in der jetzigen Form verabschiedet werden, nicht mehr der Bundestag, sondern nur noch der Haushaltsausschuss zustimmen.

Merkel ermahnte in ihrer Regierungserklärung auch die Mitgliedsstaaten der EU, sie müssten jetzt die Konsolidierung ihrer Haushalte beschleunigen. Die Kanzlerin stellte sich ausdrücklich hinter den unter Ökonomen umstrittenen Sanierungsplan für Griechenland. Die Einbindung des IWF gewährleiste effektive Entschuldung. Zudem nannte sie eine ganze Reihe von Maßnahmen, die zur Stabilisierung notwendig seien. Merkel forderte schnellere und straffere Sanktionen gegen EU-Staaten wie beispielsweise den Entzug von Stimmrechten, das Streichen von Mitteln aus dem EU-Haushalt für jene Länder sowie die Möglichkeit einer geordneten Insolvenz für Staaten, sollten diese die Stabilitätskriterien nicht einhalten.

Zudem stellt sich für die Kanzlerin die Frage, wie das Primat der Politik durchzusetzen sei. In der sozialen Marktwirtschaft sei der Staat Hüter der Ordnung, plädierte sie für eine verstärkte Finanzmarktregulierung. Der nächste Schritt sei, mehr Transparenz an den Derivatemärkten zu schaffen und die Ratingagenturen unter Aufsicht zu stellen.

Über die Vor- und Nachteile einer Finanztransaktionssteuer wollte Merkel ausdrücklich nicht sprechen, diese seien "allen bekannt", so die Kanzlerin. Die Bundesregierung werde sich für eine Finanzmarktsteuer einsetzen, sagte Merkel. Wie diese aussehen sollte ließ sie offen. Da sie in ihrer Rede jedoch an die Kritik des IWF an der Transaktionssteuer erinnerte, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie sich letztlich für die Finanzmarktaktivitätssteuer einsetzen wird, welche nicht den Kauf und Verkauf von Wertpapieren, sondern vor allem Gewinne und Gehälter von Banken belastet. Auf der Expertenanhörung zu den unterschiedlichen Modellen der Besteuerung vom Montag kritisierten Vertreter von Genossenschaftsbanken und Sparkassen, dass diese Regelung vor allem die regional verwurzelten Institute treffen würde, da diese, anders als Großbanken, ihre Gewinne nicht ins Ausland verlagern könnten (Zahlen sollen die Anderen!.

Frank-Walter Steinmeier warf der Regierung vor, sie habe "weder Linie noch Richtung" und machte die Zustimmung seiner Partei zu dem neuen Rettungspaket davon abhängig, dass es "schwarz auf weiß" Zusagen von Seiten der Bundesregierung für eine strengere Regulierung der Finanzmärkte und eine Finanzmarktsteuer gibt. Schon im Vorfeld der Debatte hatte der parlamentarische Geschäftsführer Oppermann (SPD) die Zustimmung der Sozialdemokraten von der Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer abhängig gemacht.

Bundesbankpräsident Axel Weber. Foto: S. Duwe

Demokratie im Takt der Märkte

Der Haushaltsausschuss beschäftigte sich gestern in einer Expertenanhörung mit dem Gesetzentwurf. Einigkeit herrschte bei den Experten darin, dass der Gesetzentwurf dringend noch in dieser Woche angenommen werden müsse. Bundesbankpräsident Axel Weber betonte, dass das angekündigte Euro-Rettungspaket bereits im Markt "eingepreist" sei. Wichtig sei, dass am Montag eine Entscheidung aus Deutschland stehe. Das schnelle Durchpeitschen immer neuer Rettungspakete steht in der Kritik nicht nur bei den Bürgern, sondern auch bei den Abgeordneten selbst. Dazu sagte Weber, die Politik müsse sich künftig mit der Taktfrequenz der Entscheidungen an die Märkte anpassen.

Die Art und Weise, wie die Entwicklungen an den Finanzmärkten zuverlässig in der Lage sind, politische Entscheidungsträger vor sich her zu treiben, zeigt, wie notwendig eine durchdachte Finanzmarktregulierung ist. Dr. Heiner Flassbeck, Direktor der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD), brachte dies mit der Forderung nach einer Entmachtung der Märkte auf den Punkt. Man dürfe nicht immer neue Rettungspakete machen, sondern müsse Casinogeschäfte ächten oder zumindest vom Bankgeschäft trennen. Gleichzeitig kritisierte er, dass gerettete Banken keinerlei Auflagen hätten, was sie mit dem billigen Geld von der Zentralbank tun dürfen und damit gegen die Staaten wetteten, die ihnen das Geld geliehen haben.

Trotzdem erkannte auch er die Notwendigkeit der aktuellen Milliardenhilfe an. Gleichzeitig sprach er sich für die Angleichung der wirtschaftlichen Situation innerhalb des Euro-Raumes aus, da zwischen diesen Ländern keine Möglichkeit des Ausgleichs über Wechselkurse besteht. Flassbeck forderte die Angleichung der Lohnstückkosten und einen ausgeglichenen Außenhandel für die Euro-Länder. Zudem warnte er, dass sich die Länder nicht "tot sparen" dürften, sondern es einen Splitt zwischen sparenden und nicht sparenden Staaten geben müsse, um Wachstum zu ermöglichen. Damit widersprach er Weber, der Haushaltskonsolidierung als dringend geboten ansieht.

UNCTAD-Direktor Heiner Flassbeck. Foto: S. Duwe

Auch Angela Merkel sprach in ihrer Regierungserklärung davon, dass Europa eine Stabilitätskultur brauche, um die Konsolidierung der Staatshaushalte zu erreichen. Während Merkel die Konsolidierung beschleunigen will, spricht sich Flassbeck für eine "Konsolidierung mit Augenmaß" aus rät, diese zeitlich zu Strecken. Zudem müsse Rücksicht auf jene Bevölkerungsschichten genommen werden, die einen großen Teil ihrer Einkommen ausgeben. Weber hingegen sprach sich für eine "maximale Härte" der Regelungen zum Schuldenabbau aus.

Am liebsten nicht mehr aufwachen

Jochen Sanio, Präsident der BaFin, zeigte sich im Haushaltsausschuss besorgt. Der Euro werde angegriffen, so Sanio, der sich vor dem Ausschuss scherzhaft als "fast schon bekennender Bellizist" bezeichnete. An der Chicago Mercantile Exchange gebe es seit Monaten ständig neue Rekordzahlen im Bereich der Netto-Short Positionen gegen den Euro. Das heißt, dass vermehrt mit Leerverkäufen auf sinkende Euro-Kurse spekuliert wird. Diese Spekulationen fänden im non-commercial-Bereich statt, an dem keine Absicherungen für die Realwirtschaft getätigt werden, so Sanio.

Jochen Sanio, Präsident der BaFin. Foto: S. Duwe

Trotz hoher der hohen Kreditgarantien, die das aktuelle Rettungspaket enthält, gebe es keine Gewähr dafür, dass das Programm diesmal für längere Zeit Wirkung an den Märkten zeigt. Sanio sagte, er sei überzeugt gewesen, dass das Rettungspaket für Griechenland die Märkte überzeugen würde – dies war nicht der Fall. "Die Märkte haben dieses Paket aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann, nicht gekauft", so der BaFin-Präsident. Nach der Verabschiedung hätten sich die Dinge in einem "irrwitzigen Tempo" beschleunigt. Die Situation sei so schlimm gewesen, dass Lehman im Vergleich nur ein "laues Lüftchen" gewesen wäre.

Am 7. Mai, am selben Tag, als der Bundesrat das Griechenland-Rettungspaket verabschiedet hat, kam es deshalb zu einer Telefonkonferenz des Financial Stability Forum, so Sanio. Die Summen, die zur Rettung Griechenlands in die Hand genommen wurden, hatten den Präsidenten der BaFin nach eigener Aussage bereits erschreckt. Doch die Lage an den internationalen Märkten war ernst. Am 7. Mai habe es eine um sich greifende Vertrauenskrise an den Interbankenmärkten gegeben. "Es war schaurig am 7. Mai, es war schaurig", macht Sanio seinen Sorgen Luft. Wären keine Maßnahmen ergriffen worden, er hätte am Montagmorgen nicht aufwachen mögen.

Schiffe versenken

Das Verbot von Leerverkäufen europäischer Staatsanleihen und Aktien von deutschen Banken verteidigte Sanio gegen Kritik aus Brüssel und von den Finanzmärkten. Die Entscheidung sei nicht aufgrund eines Tagesereignisses getroffen worden und kein Zeichen der Schwäche des deutschen Bankensystems. Alle an der Börse notierten deutschen Banken seien solvent, versucht er die Märkte zu beruhigen.

Nachdem das Verbot der Leerverkäufe bekannt wurde, verlor der DAX um 2,7 Prozent, auch der Euro gab nach. Außer einer Beunruhigung der Märkte dürfte der deutsche Alleingang jedoch nicht viel gebracht haben – die gleichen Papiere können an internationalen Handelsplätzen wie gehabt leer verkauft werden, wie ein Portfoliomanager der Commerzbank gegenüber N-TV erklärte. Dabei hatte Sanio selbst betont, wie wichtig es ist, gerade angesichts der hohen Beträge, die für die Rettung des Euroraumes bereitgestellt werden müssen, für Optimismus am Markt zu sorgen: "Loose lips can sink ships", zitierte Bellizist Sanio einen Slogan aus dem 2. Weltkrieg.

Auch die Bundesregierung selbst scheint mit ihrem Agieren verbales Schiffeversenken zu spielen: Merkels starke Worte bei ihrer Regierungserklärung selbst könnte weitere Unsicherheit an den Märkten auslösen. Zudem ist Europa von einem einheitlichen Vorgehen im Umgang mit den Finanzmärkten noch weit entfernt, wie der Alleingang bei den Leerverkäufen gezeigt hat: Die anderen EU-Staaten waren im Vorfeld nicht einmal informiert worden und sind nun teilweise sauer.

Doch selbst innerhalb der Regierung scheinen die einzelnen Akteure in unterschiedliche Richtungen zu arbeiten – während Merkel sich nicht eindeutig zwischen Finanztransaktionssteuer und Finanzaktiviätssteuer entscheiden will, erklärte Finanzminister Schäuble im Europaausschuss, er werde sich für eine weltweite Finanztransaktionssteuer einsetzen, machte aber zugleich wenig Hoffnung, dass dies durchsetzbar sei. Jedoch: auch eine EU-weite Lösung, notfalls gar ohne Großbritannien, könne er sich vorstellen. Mit wie viel Unterstützung aus der Koalition er dafür rechnen darf, bleibt allerdings weiter ungewiss.