Verbrechen der Hamas in Israel: Cool bleiben, ohne kalt zu sein
Zunehmend werden die Islamisten in Medien als "Terroristen" bezeichnet. Das ist nicht falsch und dennoch problematisch. Über unseren Blick auf den Israel-Krieg. Ein Kommentar.
Die Erschütterung über die Brutalität des Angriffs auf Israel hat auch im hiesigen Journalismus Spuren hinterlassen. Was in der Politik üblich, ja geradezu notwendig ist, Wertung und Zuspitzung, wird nun auch in den Medien mit Blick auf den Nahen Osten offen praktiziert.
Da gibt es die offensichtlichen Fälle wie den einer großen Boulevardzeitung, die von "Hamas-Barbaren" schreibt. Ein nicht minder diskursstarkes Nachrichtenportal schreibt in den Headlines seit Wochenbeginn konsequent von "Terroristen", wenn es um den bewaffneten Arm der Hamas geht – wobei zur Partei kein Unterschied gemacht wird.
Viele Medienkonsumenten werden dieser Einordnung angesichts der Bilder der Opfer des islamistischen Massakers, die von den Medien zwar vornehm zensiert werden, aber über Social Media und Messenger-Dienste dennoch viele Menschen erreichen, intuitiv bis nachdrücklich zustimmen.
Dennoch ist der Trend falsch und fragwürdig. Denn er zeugt von einer Distanzminderung, vor der sich Journalisten hüten sollten. Fast vergessen scheint angesichts zunehmender Krisen und Kriege die Mahnung der westdeutschen Journalisten-Ikone Hanns Joachim Friedrichs:
Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein.
Hanns Joachim Friedrichs, 1995
Dazu gehört auch, dem Druck der politischen Akteure und Meinungsmacher standzuhalten. Und der wurde nach dem Hamas-Angriff umgehend spürbar, zum Beispiel über den Kurznachrichtendienst X: "All diejenigen, und manchmal auch Sie, die sie (die Hamas) 'militant' oder 'Kämpfer' nennen: Das sind Terroristen", sagte der israelische Botschafter Ron Prosor im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Der CSU-nahe ÖRR-Blog, der sich gegen Rundfunkgebühren positioniert, schreibt: "Das ZDF bezeichnet die Hamas Terroristen, die das Nova-Musikfestival angriffen, als ‚Kämpfer‘." – und versieht diesen Kommentar mit dem interessengeleiteten Tag "#ReformOerr".
Der Nato-nahe Militärexperte Carlo Masala rügte gegenüber dem privaten Nachrichtensender n-tv: "Ihr fallt alle auf die Narrative der Hamas rein, wenn ihr sie Kämpfer nennt. Sie sind und bleiben Terroristen."
Israel-Krieg: Journalisten sollten besonnen bleiben
Die Herausforderung für Medien ist und bleibt, in Krisensituationen professionell zu bleiben. Das heißt, über die schrecklichen Taten der Islamisten zu berichten, ohne Stellung zu beziehen. So wie etwa die Deutsche Presse-Agentur (dpa), die detailliert und nah am Geschehen und dennoch mit der nötigen professionellen Distanz berichtet:
Die Hamas, die von den USA, der EU und Israel als Terrororganisation eingestuft wird, hatte am Samstag vom Gazastreifen aus bei einem Großangriff auf das Grenzgebiet zu Israel das schlimmste Blutbad unter Zivilisten seit Israels Staatsgründung angerichtet.
dpa
Selbst das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) verliert diesen notwendigen Abstand, den es zu Wochenbeginn noch gewahrt hatte:
Der Hohe Kommissar sagte, er sei "zutiefst schockiert und entsetzt über die Behauptungen über summarische Hinrichtungen von Zivilisten und in einigen Fällen über entsetzliche Massentötungen durch Mitglieder bewaffneter palästinensischer Gruppen".
"Es ist entsetzlich und zutiefst erschütternd, Bilder zu sehen, die zeigen, wie von bewaffneten palästinensischen Gruppen gefangene Menschen misshandelt werden, sowie Berichte über Tötungen und die Schändung ihrer Leichen", sagte er. "Zivilisten dürfen niemals als Druckmittel benutzt werden".
"Ich fordere die bewaffneten palästinensischen Gruppen auf, alle Zivilisten, die gefangen genommen wurden und noch festgehalten werden, unverzüglich und bedingungslos freizulassen. Die Entführung von Geiseln ist nach internationalem Recht verboten", so der Hohe Kommissar.
Erklärung des OHCHR
Die Beschreibung der Verbrechen, die Erschütterung, die Einordnung – all das ist da enthalten.
Eine Wertung würde das Urteil nur schwächen.
Medien müssen das ganze Bild zeigen
Die teils erzwungene, teils freiwillige Parteinahme im Journalismus ist problematisch, weil sie das Bild des Geschehens verzerren kann.
Terror ist per definitionem "die Verbreitung von Angst und Schrecken durch gewaltsame Aktionen, insbesondere zur Durchsetzung politischer Ziele".
Das trifft natürlich auf die Gräueltaten und Massaker der palästinensischen Islamisten zu. Sie sind gezielt in Israel eingefallen, um zu morden, um eben Angst und Schrecken zu verbreiten. Das muss benannt und am besten bestraft werden.
Aber was ist mit der militärischen Reaktion Israels, dessen Armee in diesen Stunden im Gazastreifen mit Bomben und Raketen Hochhäuser dem Erdboden gleichmacht?
Wenn der israelische General Ghassan Alian, der unter anderem für die militärischen Aktivitäten in Gaza verantwortlich ist, die Einstellung der Wasserversorgung für fast zwei Millionen Menschen ankündigt und sagt: "Ihr wolltet die Hölle, ihr werdet die Hölle bekommen"?
Wenn der israelische AI-Experte Eli David ein Bild des zerbombten Dresdens im Mai 1945 postet und dazu schreibt: "So macht man Frieden mit den Nazis. Bald in Gaza."
Auf palästinensischer Seite wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza bisher mehr als 1.050 Einwohner getötet und fast 5.200 verletzt.
Der Blick auf dieses offenkundig völkerrechtswidrige Vorgehen droht im Westen nun bei denen verloren zu gehen, die das ganze Geschehen zu zeigen verpflichtet sind: den Journalisten.
Sie zeichnen, auch durch ideologische Sprache, zunehmend ein Bild, das nicht falsch, aber unvollständig ist – und versperren sich selbst die Sicht.
Es sind nicht nur nichtstaatliche Gruppen wie die Hamas, der Islamische Dschihad oder die Hisbollah, die Angst und Schrecken, also Terror verbreiten. Es sind auch staatliche Akteure und Armeen.
Dies zu erkennen und zu benennen, ist angesichts des bevorstehenden Flächenbrandes wichtiger denn je.
Im Rest der Welt, bei der Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten, und bei der Mehrheit der Weltbevölkerung, vor allem im Globalen Süden, hat sich diese Erkenntnis längst durchgesetzt.
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