Verfassungswidrig: Ist der Niedriglohnsektor im Gefängnis am Ende?
Deutschlands oberstes Gericht schränkt ungeregelte Ausbeutung in Haftanstalten ein. Zumindest ab Mitte 2025. Können die Gefangenen dann aufatmen?
"Gesetzliche Regelungen zur Vergütung von Gefangenenarbeit in Bayern und Nordrhein-Westfalen sind verfassungswidrig" – so lautet die bürokratische Überschrift einer Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni. Im gleichen Ton geht es weiter:
Die Konzepte zur Umsetzung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots im BayStVollzG und im StVollzG NRW sind in sich nicht schlüssig und widerspruchsfrei. Aus den gesetzgeberischen Konzepten kann jeweils nicht nachvollziehbar entnommen werden, welche Bedeutung dem Faktor Arbeit – im Vergleich zu anderen Behandlungsmaßnahmen – zukommen soll, welche Ziele mit dieser Behandlungsmaßnahme erreicht werden sollen und welchen Zwecken die vorgesehene Vergütung für die geleistete Arbeit dienen soll.
Bundesverfassungsgericht, Ausführungen zum Urteil vom 20. Juni 2023 - 2 BvR 166/16, 2 BvR 1683/17
Auch sei Wesentliches nicht gesetzlich geregelt: In Bayern und Nordrhein-Westfalen fehle es jeweils an einer gesetzlichen Regelung zur Kostenbeteiligung der Gefangenen an Gesundheitsleistungen, in Bayern zusätzlich an gesetzlichen Vorgaben für den Inhalt der Vollzugspläne. Darüber hinaus werde in beiden Bundesländern nicht regelmäßig wissenschaftlich evaluiert, welche Resozialisierungswirkung die Arbeit in den Haftanstalten und deren Vergütung hätten.
Profiteure des Niedriglohnsektors Gefängnis
Da wird die Gefangenengewerkschaft / Bundesweite Organisation GG/BO auf ihrer Homepage schon konkreter: "Gefangenengewerkschaft erwartet Anstieg der Löhne in Haft" heißt es dort.
Die Organisation hat sich 2013 in Berlin gegründet und dann schnell auf das ganze Bundesgebiet ausgeweitet, weil sie zwei zentrale Forderungen hatte: Endlich sollten Mindestlöhne auch in den Gefängnissen erkämpft werden – und alle lohnarbeitenden Gefangenen sollten auch renten- und krankenversichert sein.
Dass die GG/BO so schnell Erfolg hatte, lag auch daran, dass die mehr als 40.000 Gefangenen in Deutschland diese beiden sozialpolitischen Forderungen mit großer Mehrheit unterstützen. Sie wollten es einfach nicht mehr hinnehmen, für ein Entgelt schuften zu müssen, dass sich zwischen 1,37 Euro und 2,30 Euro in der Stunde bewegt. Zudem war ihnen klar, dass sie nach oft langjähriger Gefängnisarbeit in die Altersarmut entlassen werden.
Die GG/BO räumte auch mit dem Vorurteil der tütenklebenden Gefangenen auf, die angeblich im Gefängnis keinen Mehrwert schaffen. Die Realität ist eine anderer: es gibt viele Firmen, die vom Niedriglohnsektor Gefängnis profitieren.
"Deutsche Gefängnisse lassen ihre Insassen für private Firmen arbeiten – zu einem Bruchteil des Mindestlohns. Die Justiz will geheim halten, wer davon profitiert", heißt es in einer Recherche von Correctiv. Das es viele andere Artikel in der bürgerlichen Presse gibt, die den Niedriglohnsektor Gefängnis kritisch beleuchten, ist ein Erfolg der GG/BO.
Sie hat eben deutlich gemacht, dass das Gefängnis auch ein Feld des Arbeits- und Klassenkampfs ist. Dass wollten die Staatsapparate zunächst verhindern. Gleich nach dem sich die GG/BO gegründet hatte, gab es bei den beiden Initiatoren Zellenrazzien, auch die Listen mit den ersten GG/BO-Mitgliedern wurden zunächst beschlagnahmt.
Das große und durchaus auch positive Medienecho auf die Gründung der Gefangenengewerkschaft führten dazu, dass die Staatsapparate sich mit weiteren Reaktionen zurückhielten. Die GG/BO wurde wie ein Briefmarkenverein behandelt. Die Gefangenen konnten sich dort bestätigen, aber als Gewerkschaft wurde sie nicht anerkannt.
Denn der Gesetzgeber steht immer noch auf dem Standpunkt, es gäbe im Gefängnis keine Lohnverhältnisse. Daher gehörte zu den zentralen Forderungen der GG/BO auch die Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern. Die GG/BO hat ein Stück weit die Situation verändert. Während es immer wieder Berichte über Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen gibt, wird aber nach wie vor oft nicht erwähnt, dass der Zwang zur Arbeit in den Gefängnissen der meisten Bundesländer noch immer praktiziert wird.
Als Rechtsgrundlage dient Absatz 3 des Grundgesetz-Artikels 12, der eigentlich die freie Wahl von Beruf und Arbeitsplatz regelt – aber eben mit Ausnahmen: