Verlage klagen über Macht der Mediaagenturen und Tech-Riesen
Werbegelder für Qualitätsjournalismus brechen dramatisch ein. Mediaagenturen und Tech-Konzerne lenken die Geldströme zu ihren Gunsten, so der Vorwurf.
Da braut sich was zusammen: Das Geld wird knapp, die Auseinandersetzungen werden schärfer, die Klagen und Angriffe auch. Dass Medien mit den Plattformen der Tech-Riesen bis dato übermächtige Konkurrenten haben, die ihnen große Stücke der Werbeeinnahmen abspenstig machen, weiß jeder, seit Jahren. Weniger bekannt ist allerdings, welche Rolle dabei Mediaagenturen spielen.
Wer entscheidet über die inhaltliche Qualität?
Auf deren Wirken konzentriert sich nun eine Erklärung des Medienverbands freie Presse (MVP), überschrieben mit dem wohlklingenden Satz:
"Es obliegt allein den Leserinnen und Lesern, über die inhaltliche Qualität journalistischer Arbeit zu urteilen."
Dieser Satz ist das Schwungrad der Attacke des Verbandes, der nach eigenen Angaben die "publizistischen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Interessen von rund 350 Mitgliedsverlagen und knapp 7.000 Zeitschriften- und Medienangeboten" vertritt.
Seine Klage: Die für die Finanzierung des unabhängigen Journalismus nötigen Werbeeinnahmen fließen in enormen Mengen an Plattformen.
Allein von 2019 bis 2023 sind die Werbeinvestitionen in die Plattformen der drei Technologiekonzerne Google, Amazon und Meta in Deutschland um etwa 66 Prozent gestiegen.
Erklärung des MVFP
Eine Entwicklung zum Nachteil der Presse: 2024 werden laut MVFP mehr als die Hälfte der globalen Werbegelder auf nur fünf Plattformen konzentriert sein.
Der Verband unter Vorsitz von Philipp Welte (Hubert Burda Media) ist diese dramatische Entwicklung Anlass, um die Rolle der Mediaagenturen auf den Tisch zu bringen. Sie spielen nach Ansicht des Verbandes eine unangemessen große Rolle als Gatekeeper.
"Zynische Mediaagenturen"
Mediaagenturen – die sich in ihrer Eigendarstellung im Netz mit "kreativ" und "Performance-Enhancer" ("Potenzial voll ausschöpfen") beschreiben –, würden sich mit ihren Ratings zunehmend zu moralischen Bewertern von Journalismus erheben, lautet der Vorwurf.
Diese Entwicklung wird vom MVFP als anmaßend und schädlich für die Demokratie gewertet.
90 Prozent dieser Werbeinvestitionen von Unternehmen werden in Deutschland von Mediaagenturen verteilt, und von den 26 Milliarden des gesamten deutschen Werbemarktes fielen 2023 über 10 Milliarden Euro in die Hände von Google, Amazon und Meta – Unternehmen also, die keinerlei inhaltliche Verantwortung für die von ihnen publizierten Inhalte übernehmen.
Einzelne dieser Mediaagenturen oder von ihnen initiierte Konsortien maßen sich jetzt an, bei der Verteilung der für journalistische Medien übrigbleibenden Reste der Werbegelder zwischen "gutem" und "schlechtem" Journalismus zu unterscheiden, zwischen "hochwertigen" und "minderwertigen" redaktionellen Produkten. Das ist in hohem Maße zynisch und unangemessen.
Solche willkürlichen Eingriffe in die Freiheit der Presse und die einseitige Bewertung oder sogar Sanktionierung von Berichterstattung oder verlegerischen Geschäftsmodellen durch wirtschaftlich motivierte Marktteilnehmer lehnen wir ab.
Erklärung des MVFP
Namen von Mediaagenturen werden vom Medienverband nicht genannt.
Die Attacke bleibt im Allgemeinen, man appelliert, wie derzeit häufig, an eine generelle Verantwortung – mit dem deutlichen mahnenden Hinweis darauf, dass sie Geld an Player bringen, die mehr Regulierungen bräuchten.
Die politische Forderung
In diesem Appell steckt letztendlich die eigentliche politische Forderung der Erklärung. Sie ist in der Begründung laut herauszuhören.
Die Verlage machen geltend, dass sie für die Verlässlichkeit und Richtigkeit jeder Zeile, die sie publizieren, "verantwortlich im Sinne des Presserechts" seien und damit rechtlich geradestehen müssten für ihre publizistische Arbeit.
Währenddessen hätten die Tech-Riesen dagegen viel freien Spielraum und würden in der Konsequenz der Demokratie Schaden zufügen.
Wenn Mediaagenturen oder von ihnen initiierte Konsortien wirklich etwas für die Stabilität der liberalen Demokratie in Deutschland und für den freien und verlässlichen Austausch von Information und Meinung erreichen wollten, müssten sie dort ansetzen, wo manipulative und manipulierte Inhalte, wo Lüge und Hetze massenhaft verbreitet werden, finanziert aus den massiven Finanzströmen der Mediaagenturen.
83 Prozent der Menschen in Deutschland vermuten Fake-News in den sozialen Netzwerken der Tech-Plattformen; 80 Prozent halten guten Journalismus für wichtig oder sehr wichtig für das Funktionieren von Gesellschaft und Demokratie.
Erklärung des MVFP