Digital Services Act und Trusted Flagger: Was heißt das auf Deutsch?

FRafki: Junge Menschen, die mit vielen Händen und Sprechblase auf Megaphon sitzen. Meinung der Gesellschaft.

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Meinungsfreiheit: Wenn EU-Recht auf deutschen Übereifer trifft. Diskussion um erste Meldestelle gegen illegale Netzinhalte. Eine kommentierte Medienschau.

Die "Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen" hat am 1. Oktober "den ersten Trusted Flagger, einen vertrauenswürdigen Hinweisgeber, gemäß dem Digital Services Act (DSA) zugelassen" (Pressemitteilung).

Dieser Sonderstatus sieht unter anderem vor, dass Meldungen dieser Einrichtungen von Plattformbetreibern wie YouTube, Instagram, TikTok oder X besonders schnell abgearbeitet werden müssen.

Falk Steiner, Heise.de

Kubicki: "Grüne Zensuranstalt"

Christoph Koopmann flaggte in der Süddeutschen Zeitung den Vizepräsidenten des Bundestags Wolfgang Kubicki in seinem Kommentar als "das FDP-Enfant-terrible" (zu Deutsch: schreckliches Kind).

Kubicki hatte der Bild laut seines X-Profils mitgeteilt:

Die europäischen Vorgaben sind in dieser Frage schon problematisch. Die Bundesnetzagentur geht aber ganz offensichtlich noch einmal deutlich darüber hinaus und schafft eine grüne Zensuranstalt, die den Meinungskorridor einseitig einschränkt.

Ich halte die Beauftragung eines privaten Dritten, der über ein zentrales Element unserer freiheitlichen Demokratie richten soll, für unerträglich.

Wolfgang Kubicki

Hochsensible Zone Meinungsfreiheit und der "Untergang des Abendlandes"

Journalistische Kommentatoren sind sich sehr uneins, ob mit den europäisch vorgeschriebenen Meldestellen nun die Meinungsfreiheit im Netz bedroht ist.

Medienjournalist Steffen Grimberg kann Andreas Rosenfelders Empörung in der Welt, auf die hier schon verwiesen wurde, nichts abgewinnen.

Rosenfelder schrieb unter anderem:

Doch statt für eine funktionierende Infrastruktur zu sorgen, sieht der ehrgeizige Netzagenturchef Klaus Müller, ein alter Parteifreund und Schützling von Habeck, seinen Job darin, digitale Debatten inhaltlich zu regulieren – und damit einen hochsensiblen Kernbereich der demokratischen Öffentlichkeit anzutasten, für den seine Infrastrukturbehörde gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Meinungs- und Pressefreiheit vor staatlichem Zugriff schützt, nicht den Hauch einer Zuständigkeit reklamieren dürfte.

Andreas Rosenfelder, Welt

Grimberg meint dazu in der taz, gegen Entscheidungen einer Behörde wie der Bundesnetzagentur könne "natürlich auf dem Rechtsweg vorgegangen werden". Ohne den Text des Welt-Kollegen zu verlinken, resümiert er:

Warum konstruiert die Welt aus einem völlig normalen rechtsstaatlichen Vorgang den Untergang des Abendlandes? Ja, euer Feind steht grün! Friedrich Merz ist doch schon Kanzlerkandidat. Mit wem regiert Kretzsche in BaWü nochmal?

Steffen Grimberg

Welche Netzinhalte sind eigentlich melde- und sanktionsfähig?

Zur Uneinigkeit in der Bewertung dürfte beitragen, dass unklar bleibt, welche Netzinhalte eigentlich melde- und sanktionsfähig sind.

Klaus Müller, Präsident der bislang zuständigen Bundesnetzagentur, sagt in der Mitteilung seiner Behörde:

Plattformen sind verpflichtet, auf Meldungen von Trusted Flaggern sofort zu reagieren. Illegale Inhalte, illegaler Hass und illegale Fake News können sehr schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden.

Klaus Müller

Wenn es also nicht um die gebräuchliche Kurzformel "Hass und Hetze" geht, sondern nur um "illegale" Äußerungen (was nur strafbare meinen kann, keine, gegen die man privatrechtlich vorgehen könnte wie bei Urheberrechtsverletzungen), ist zu Recht nach der Notwendigkeit eigener Meldestellen zu fragen, wie dies die Deutsche Polizeigewerkschaft Hamburg tat.

Denn zur Sanktionierung von Straftaten gibt es bereits eine sehr feingliedrige Infrastruktur.

Die nun zertifizierte Meldestelle "REspect!" der Jugendstiftung Baden-Württemberg äußert sich in ihren FAQ vage:

Sollte deine Meldung eine strafrechtliche Relevanz beinhalten, die wir als Meldestelle REspect! anzeigen können, leiten wir die Informationen an das Bundeskriminalamt weiter und informieren dich auch fortlaufend, sollte es neue Erkenntnisse geben.

Bei der gegenwärtigen Rechtslage ist nicht jede Form von Hass und Hetze strafrechtlich relevant. Wenn wir etwas als strafrechtlich nicht relevant einschätzen, heißt das nicht, dass ein gemeldeter Inhalt unserer Ansicht nach in Ordnung wäre.

Es bedeutet nur, dass wir unserer Einschätzung nach in diesem Fall nicht strafrechtlich gegen einen Inhalt vorgehen können. Nichtsdestotrotz werden wir auch hier unser Bestes tun, dir weitere Möglichkeiten und Informationen an die Hand zu geben.

REspect! Gegen Hetze im Netz

Von Mitteilungen ihrer Bewertung an die Plattformbetreiber steht in diesen FAQ nichts.

Nius hingegen machte mit dem Leiter der REspect!-Meldestelle Ahmed Gaafar Deutschlands obersten "Zensor" aus.

Uneinigkeit in Berichterstattung besteht auch bei der Eigeninitiative der Meldestelle, die es bereits seit 2017 gibt und die laut Website bisher über 20.000 Strafanzeigen erstattet hat.

Das Internet im Auftrag der Bundesregierung durchsuchen?

Vielfach ist davon die Rede, Trusted Flagger durchsuchten das Internet im Auftrag der Bundesregierung nach unliebsamen Meinungen, so bei der Neuen Zürcher Zeitung.

Eine solche Tätigkeit bestreitet aber die Vorsitzende der Jugendstiftung, Petra Densborn, gegenüber der SZ. Um Unliebsames gehe es nicht und aktiv könne man schon aus Kapazitätsgründen nicht nach irgendetwas suchen.

"Was soll denn Trusted Flagger auf Deutsch bedeuten?"

Christian Bartels sieht in der Medienkolumne MDR Altpapier auch die Bundesnetzagentur in der Verantwortung für das Interpretationsdurcheinander.

Sichereres Internet, immer gut. Bloß wäre nicht schlecht, wenn man schon eine längliche, selbstbewusste Pressemitteilung raushaut, darin zu skizzieren, was der bislang weitestgehend unbekannte Begriff "Trusted Flaggers" denn auf Deutsch bedeuten soll.

Christian Bartels

Für die weitere Diskussion dürfte es dann vor allem Zahlen brauchen: Wie viele Meldungen gehen ein, wie viele führen zu Strafanzeigen, wie viele Strafanzeigen zu Verurteilungen oder Strafbefehlen – und wie viel wird von den Plattformen gelöscht oder verborgen, ohne dass es (später) noch eine rechtsstaatliche Prüfung gibt.

Denn darin könnte die eigentliche Änderung liegen. In den Worten eines FAZ-Redakteurs:

Ja, es entscheiden die Plattformen. Aber die werden den Flaggern 1:1 folgen, weil ggf. Ärger mit der Netzagentur größer ist als mit Usern.

Michael Spehr

Und die Behörde kann Bußgelder bis zu sechs Prozent des Umsatzes einer Plattform fordern – erstmal ganz ohne Gerichtsverfahren.

Das könnte danach die betroffene Firma beantragen – und warten, bis ein Verwaltungsgericht entscheidet.