Verliebt, verlobt, verheiratet
Bei eBay Live in Berlin wurden die Teilnehmer mehr oder weniger freiwillig zu Werbeträgern
Man erkannte sie schon von weitem, die Besucher von eBay-Live, die sich am vergangenen Samstag im Berliner Tempodrom getroffen haben. An den Pappkartons. Kein Berliner läuft mit aufgefalteten Packsets durch die Gegend, während 10.000 Skater durchs Brandenburger Tor rasen. Entweder er macht mit, jubelt zu, oder versteckt sich zu Hause, pardon: in seinem Kiez. Für die Besucher von eBay-Live schien es nichts Dolleres zu geben als diese weiße Pappen, die hier und da mit Smartie-Farben bedruckt waren. Je später der Abend, desto dicker wurden die Stapel, die sie von dannen schleppten. Ein nützliches Geschenk für den Verkäufer von morgen. Offenbar war man drinnen im Tempodrom großzügig. Zu beobachten waren nämlich nicht nur leere Kartons, sondern auch eBay-Live-Tütchen, eBay-Live-Halsbänder und vor allem bunte Plastikarmbändchen. An der Farbe konnte man sofort erkennen, ob man es mit einem stinknormalen Teilnehmer (rot), einem Powerseller (blau), einem Partner (grün), einem Medienschaffenden (gelb) oder aber einem leibhaftigen eBay-Mitarbeiter (lila) zu tun hatte.
Über 2000 eBay-User, Journalisten und Zaungäste waren dem Sog des Mega-Fun-Events erlegen und hatten sich aufgemacht ins zeltartige Tempodrom. Denn dies war nicht nur die größte eBay-University aller Zeiten, sondern auch das erste Get-Together seiner Art. eBay zum Anfassen sollte es geben, und in der Tat wuselten an die 250 eBay-Mitarbeiter - etwa die Hälfte der deutschen Belegschaft - auf dem Gelände herum, gut erkennbar an ihren hellblauen Hemden und Blusen und den fehlenden Kartons unterm Arm.
Freilich konnte man schon bei den eBay-Universities eBay-Mitarbeiter und vor allem andere eBay-User hautnah erleben. Allerdings ging es da in erster Linie um die Fortbildung und nur nebenbei um das Erlebnis. Weil aber genau das am meisten Spaß macht, tauchte immer öfter die Frage auf, ob man denn nicht mal eine Riesenveranstaltung mit erhöhtem Spaßfaktor ins Leben rufen könnte. In den Vereinigten Staaten fand eBay Live bereits zwei Mal statt, zuletzt im Juni in Orlando, Florida. Jetzt endlich wurden auch die Deutschen ganz formell zum informellen Austausch animiert. Der Vorteil gegenüber einer selbst initiierten eBay-Party liegt auf der Hand: Merchandise.
Klar wurde auf der eBay-Live auch geplaudert. Vorzugsweise mit der Begleitung, nicht etwa mit irgendwelchen Fremden. Einige hatten sich vorab verabredet mit ihren eBay-Bekanntschaften, auf der Veranstaltung selbst jedoch beließ man es beim Namensschild-Belinsen. Wer jedoch nicht gerade Vorträgen lauschte, Ereigniskarten tauschte oder Quizfragen beantwortete, war schwer beschäftigt mit dem Abgreifen von eBay-Pins, eBay-Münzen, DHL-Feuerzeugen und Auctionmaster-Plüschhammern. Und weil ein Vollblutverkäufer nichts anbrennen lässt, kann man die Ausbeute bereits bei eBay ersteigern. Sogar die Seminarunterlagen werden verhökert.
Wer den zusammengerafften Schnickschnack nicht nach Hause schleppen wollte, konnte im Post/DHL-Zelt den kostenlosen Versand-Service in Anspruch nehmen. Das Logistikunternehmen spendierte zur Feier des Tages nicht nur Kartons in limitierter Auflage, sondern auch das Porto. Damit die werte Zielgruppe die Vorzüge des Pluspäckchens kennen lernt. Schon Wochen vorher hatte der eBay-Live-Partner Deutsche Post/DHL mit Gutscheinen, einem Weitersagen-Service und einem Erinnerungs-Service gelockt. Immerhin wurden im vierten Quartal 2002 17 Prozent der Privatkundenpakete von fleißigen eBay-Händlern verschickt. Auch in Zukunft rechnet Postchef Klaus Zumwinkel mit steigenden Umsätzen dank eBay und Co.
Damit auch jeder begreift, wie wunderbar Post/DHL und eBay schon heute zusammenpassen, wurde die eBay-Live-Veranstaltung vom Post/DHL-Maskottchen Thomas Gottschalk eröffnet. Und wer weiß, ob nicht eines Tages die Post/DHL-Sparte Versand - ähnlich wie der Online-Bezahldienst PayPal - von eBay geschluckt wird. Schon jetzt stellen sich Beobachter der eBay-Maschinerie die bange Frage, wohin die Expansion des quasi-Monopolisten noch führen wird.
Die Anwesenden waren jedoch nicht gekommen, um solchen Fragen nachzugehen. War ja auch nicht der Sinn der Veranstaltung. Aber was genau war der Sinn der Veranstaltung? Unternehmenssprecherin Maike Fuest beantwortete diese Frage mit freundlichen Hinweisen auf die Entstehungsgeschichte von eBay-Live. Und schwieg sich aus über die Ziele. Natürlich muss man kein Marketing-Spezialist sein um zu ahnen, dass es um Kundenbindung geht. Die entsteht nicht zuletzt durch Nähe. Das Dumme ist nur: bei eBay ist sich jeder selbst der Nächste. Egal, ob man als Käufer oder Verkäufer agiert. Genau deshalb konnte eBay mehrere Gebührenerhöhungen durchsetzen, ohne jemals ernsthafte Probleme zu bekommen. Weil die viel beschworene ‚Community' am Ende doch nur eine Masse von Einzelkämpfern ist. Das kann man eBay natürlich nicht vorwerfen. Ebenso wenig wie man eBay vorwerfen kann, dass die Plattform allein in Deutschland inzwischen mehr als 10.000 Menschen als Lebensgrundlage dient. Irgendwie merkwürdig, dass es keine öffentliche Diskussion über diese neuartige Form der wirtschaftlichen Verstrickung gibt.
Natürlich gibt es jede Menge Berichte über das Wirtschaftswunder eBay und über all die Powerseller, die dank eBay eine neue Existenz oder zumindest einen neuen Vertriebsweg aufgebaut haben. Auch die Liebesgeschichte von Roswitha Endert und Frank Albrecht, die sich via eBay verliebt verlobt verheiratet haben und spätestens seit ihrem Auftritt bei eBay-Live einem breiten Publikum bekannt sind, ist ganz rührend. Trotzdem steht fest: eBay ist kein Wohltätigkeitsverein, und das wissen die User. Wahrscheinlich pflegen deshalb so viele ein etwas gebrochenes Verhältnis zu eBay, das von Skepsis bis Hassliebe reicht. Sie wissen, dass sie eBay den Erfolg nicht vorwerfen können, schließlich sind sie, die User, diejenigen, die eBay zu dem gemacht haben, was es heute ist. Vielleicht rührt daher die Begeisterung für die weißen Kartons und alles andere, auf dem das eBay-Logo prangt: Die Illusion, endlich ein Stückchen eBay zu besitzen und frei darüber verfügen zu können, macht die Werbeträger unwiderstehlich. Dass man vor lauter Begeisterung selbst zum Werbeträger wird, illustriert die Macht der Symbiose. Mit anderen Worten: auf der eBay-Live konnte man beobachten, wie die User leibhaftig Teil des eBay-Systems wurden. Ob diese physische Annäherung auch zu einer emotionalen führt, bleibt abzuwarten.