Verlieren wir Russland?

Die Basilius-Kathedrale in Moskau. Bild: Ulrich Heyden

Russland steht seit Jahren unter einem erheblichen politischen und medialen Druck des Westens. Wird sich das Land deshalb isolieren? (Teil 1)

Russland befindet sich in einer äußerst schwierigen Situation. Das Verhältnis zwischen dem Land und dem Westen ist gespannt. Immer häufiger wird darüber spekuliert, ob es zu einem Krieg kommt. Die diplomatischen Kontakte sind abgebrochen. Die Wortwahl in diesem Konflikt wird immer maßloser.

Die neue deutsche Verteidigungsministerin, Christine Lambrecht (SPD), will Putin "ins Visier" nehmen, wie sie kürzlich sagte. Ihre Vorgängerin hatte mit einem Angriff auf Russland gedroht: Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), erklärte, die Nato müsse angesichts zunehmender Herausforderungen durch Russland "sehr deutlich machen", dass sie auch zu militärischen Maßnahmen bereit sei.

Niemand dürfe auf die Idee kommen, Nato-Partner anzugreifen. Vonseiten Russlands gäbe es "Verletzungen des Luftraums über den baltischen Staaten, aber auch zunehmende Übergriffigkeiten rund um das Schwarze Meer". Solche Worte hörte man von deutschen Politikern zuletzt in den 1960er-Jahren.

Meine Erfahrungen als Moskau-Korrespondent

Als Russland sich 1992 öffnete, fasste ich den Entschluss, als freier Journalist in Moskau zu arbeiten. Ich hoffte, dass sich dort eine Gesellschaft entwickelt, die Bewährtes bewahrt und vom westlichen Kapitalismus nicht alles übernimmt. Diese Erwartungen haben sich nicht ganz erfüllt, geblieben bin ich trotzdem.

Ich fühlte mich in Russland von Jahr zu Jahr mehr heimisch und begann bei Besuchen in Deutschland, die Russen zu erklären und zu verteidigen. Je mehr Russland vom Westen dämonisiert wird, desto mehr fühle ich mich als Journalist und Mensch herausgefordert, dieser Dämonisierung zu widerstehen und neue Brücke zwischen Russland und Deutschland zu schlagen, indem ich Reportagen schreibe und indem ich in meinen Texten und Videos Russen und Deutsche vorstelle, die einander im konstruktiven Sinne etas zu sagen haben.

Nach 20 Jahren Tätigkeit als freier Moskau-Korrespondent für Mainstream-Medien bekam ich ab 2013 große Probleme, meine Texte weiterhin zu verkaufen, weshalb ich begann, nur noch für Alternativ- und linke Medien und gelegentlich für RT DE zu schreiben.

Die großen deutschen Medien veröffentlichen, wie ich finde, seit Jahren kaum mehr Berichte über das reale Russland. In die großen deutschen Zeitungen schafften es fast nur noch Beiträge, die zeigten, wie sehr Russen westliche Einstellungen, Lebensweisen und Marken schätzen, wie sehr sie "unter Putin leiden" und wie russische Oppositionelle für ihre Tätigkeit in Russland bestraft werden.

Es wird ein Bild erzeugt, dem zufolge Russland rückständig und unberechenbar-aggressiv, ultrakonservative und xenophob ist. Es wird so getan, als ob Putin und der russische Geheimdienst alles seien, was Russland ausmache. Aber das geht komplett an der Realität vorbei, wie ich sie erlebe: Russland ist vielschichtiger und interessanter, als dass man die russische Politik mittels ein, zwei Politikern erklären könnte.

Das Vertrauen zwischen Russland und dem Westen ist zerrüttet. Doch gelegentlich gibt es Hoffnungszeichen. Im Februar wurde zwischen den USA und Russland der New-Start-Vertrag über die Verminderung strategischer Waffen um fünf Jahre verlängert. Mitte Oktober war Viktoria Nuland zu Gesprächen in Moskau. Und am kommenden Montag sollen in Genf Gespräche zwischen Russland und dem Westen über Sicherheitsfragen in Europa beginnen.