Vernichten statt veröffentlichen

Wie die Bundesregierung mit vertraulichen Akten umgeht

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Trotz Informationsfreiheitsgesetz im Bund und mittlerweile auch in den meisten Bundesländern, sollen Geheimakten auf alle Zeit auch geheim bleiben. Was in den Bundesländern einmal zu einer Verschlusssache gestempelt wurde, soll auch gegenüber der Öffentlichkeit verschlossen bleiben. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung hervor, die die FDP-Fraktion erhielt.

Stempelwut mit Folgen

In Behörden wie etwa dem Bundeskanzler- oder dem Auswärtigen Amt wird gerne mal der"VS"- oder sogar "Geheim"-Stempel geschwungen. Nicht selten erwischt es dabei auch völlig harmlose Papiere.

So fanden sich in verschiedenen Untersuchungsausschüssen des Bundestages schon Spiegel-Artikel oder auch vollkommen leere Seiten aus Ministerien, die als "Verschlusssache" gekennzeichnet waren oder den meist knallroten "Geheim"-Stempel trugen. Wahrscheinlich war der Stempelschwinger so richtig in Fahrt und schwang den Stempel in solch höllischer Geschwindigkeit, dass er auch noch einige Male die leere Schreibtischauflage ebenfalls zur Geheimsache erklärte, bevor er zur Ruhe kam. Anders sind manche Stempelexzesse nicht zu erklären, die besonders in Untersuchungsausschüssen die Arbeit der Parlamentarier erschweren. Es bedarf oft einer langatmigen Prozedur, eine Freigabe für die angeblich so immens vertraulichen Akten zu erwirken.

Der Autor hatte das Vergnügen, während einer Tätigkeit als Fraktionsreferent in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Kopien seiner eigenen Rechercheanfragen, gerichtet an das Bundeskanzleramt, als "VS-Sache" auf seinen Schreibtisch zu bekommen. Grund für die Einstufung war die Tatsache, dass das Kanzleramt den BND um Auskunft zu Einzelfragen gebeten hatte. Weil der BND aber ein Geheimdienst ist, wird die mit ihm zusammenhängende Korrespondenz nach amtlicher Logik auch gleich geheim.

Die FDP-Fraktion hat einmal nachgefragt, wie es um die "Freigabe von Akten der Bundesregierung" so steht. Und was die dazu erklärt, dient nicht eben der Transparenz des Regierungshandels.

Bis zur Neufassung der Verschlusssachenanweisung (VSA) vom 29. April 1994 war eine Einstufung als Verschlusssache zeitlich nicht begrenzt. Lediglich für den (geringsten) VS-Grad "Nur für den Dienstgebrauch" war eine Frist von grundsätzlich 30 Jahren vorgesehen.

In der 1994 neu gefassten VSA wurde bestimmt, dass vor dem 1. Januar 1995 herausgegebene VS in der Regel unbefristet eingestuft blieben, bei danach entstanden Verschlusssachen die VS-Einstufung nach 30 Jahren automatisch aufgehoben war. Es bestand die Möglichkeit der einmaligen Verlängerung. Es gab in den Folgejahren weitere Änderungen, so dass es derzeit vom Ergebnis der jeweiligen Einzelfallprüfung abhängt, ob alte VS-Akten zugänglich gemacht werden oder nicht. Dabei zeigt die Praxis, dass besonders staatstragenden, man kann auch sagen: konservativen Wissenschaftlern eher der Zugang zu Verschlussakten geebnet wird, als, kritischen, linken Wissenschaftlern und Publizisten.

Ihre Geheimniskrämerei sieht die Bundesregierung auch durch das Informationsfreiheitsgesetz keinesfalls bedroht. Schließlich bestimmt die Ministerialbürokratie, was sie rausgibt und was nicht. In Amtsdeutsch ließt sich das so: "Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) schafft zwar einen Anspruch auf Zugang zu Informationen bei Behörden des Bundes, dieser kann jedoch durch öffentliche Belange beschränkt sein."

Verkehrte Welt oder orwellsches Neusprech

Die amtliche Abschottung vor der Öffentlichkeit wird zu "öffentlichen Belangen" umgedichtet. Der Regierungsantwort zufolge werden Geheimakten auch gerne mal vernichtet, statt sie für die Öffentlichkeit freizugeben. Frei nach dem Motto: Was weg ist, ist weg. Umfangreiche Aktenvernichtung gehört zu den Ritualen bei jedem Regierungswechsel. Beim Wechsel zwischen den Kanzlern Kohl und Schröder wurde sie zwar öffentlich diskutiert, blieb aber straffrei (Journalisten vor Gericht - Datenvernichter frei).

Das so etwas nicht nur bei Regierungswechseln passiert, mussten mehrere Antragsteller in verschiedenen Ministerien feststellen. In der Regierungsantwort heißt es bezüglich der beantragten Einsichtnahme in VS-Akten, die über 30 Jahre alt waren: "(...) Beim Bundesminister der Finanzen sind zwei Anträge eingegangen. Da die Originalakten –VS bereits vernichtet waren, wurden Kopien der entsprechenden VS bei den anfragenden Behörden erbeten..." Beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie gab es zwei Fälle. In einem Fall waren die Akten, deren Sperrfrist 2006 abgelaufen ist, bereits vernichtet. Bei dem zweiten Fall waren die Akten herabgestuft und in das Zwischenarchiv in Hangelar abgegeben worden.

Diese Praxis stößt bei der FDP-Opposition auf Kritik. Die innenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Gisela Piltz erklärte dazu gegenüber Telepolis:

Informationsfreiheit gehört zu einem demokratischen Staat unabdingbar dazu. Die Bundesregierung aber betreibt Informationsfreiheit sehr zögerlich. Als Verschlusssachen eingestufte Akten auch nach Jahren nicht freizugeben oder in vielen Fällen lieber zu vernichten als beispielsweise Wissenschaftlern zugänglich zu machen, zeigt dies exemplarisch. Die Praxis im Umgang mit geheimen Akten muss dringend auf den Prüfstand gestellt werden. Die Flucht in die Vernichtung von Akten ist genau das Gegenteil von Informationsfreiheit.

Bis sich deutsche Beamte aber an die Informationsfreiheit als Normalität gewöhnt haben und dies entsprechend umsetzen, werden noch viele Tausend amtliche Schriftstücke als "VS" klassifiziert werden.