Vertane Chance für deutsche Außenpolitik: Vietnams strategische Bedeutung bleibt unbeachtet
Staatsbegräbnis in Hanoi. Während USA und China Anteil nahmen, herrscht beim "strategischen Partner" Deutschland Funkstille. Ein Kommentar.
Staatsbegräbnisse sind in Hanoi eher selten. Noch seltener sind nur Staatsbegräbnisse, an denen sowohl der US-Außenminister als auch der kubanische Parlamentspräsident teilnehmen. Wie am gestrigen Freitag, als KP-Generalsekretär Nguyen Phu Trong in der vietnamesischen Hauptstadt zu Grabe getragen wurde. In Deutschland hat man davon fast nichts mitbekommen. Warum eigentlich?
Vietnams "Bambus-Diplomatie"
Mehr als 200.000 Gäste, darunter dutzende hochrangige Vertreter aus zahlreichen Ländern waren gekommen, um dem am 19. Juli Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass der 80 Jahre alt gewordene Trong, bekannt für seine "Bambus-Diplomatie", der international am meisten respektierte Anführer des sozialistischen Einparteienstaates der letzten 30 Jahre war.
Trongs "Bambus-Diplomatie" verband Flexibilität und Pragmatismus mit dem Streben nach Unabhängigkeit und Souveränität – und gilt als ein Erfolgsmodell. Der Ausgleich zwischen den USA und China, den beiden wichtigsten Handelspartnern, mit denen Vietnam jeweils ziemlich genau die Hälfte seines Außenhandels abwickelt, brachte das südostasiatische Land in eine vorteilhafte geopolitische Lage.
2023 stattete US-Präsident Biden Vietnam einen Besuch ab und vereinbarte bei seinem Treffen mit Trong eine "umfassende strategische Partnerschaft". Kurze Zeit später traf Chinas Staatschef Xi Jinping in Hanoi ein und kündigte die Gründung einer "strategischen chinesisch-vietnamesischen Gemeinschaft mit gemeinsamer Zukunft" an.
Selbst Putin war letztens in Hanoi zu Gast und schüttelte Trong, der einst in der Sowjetunion studierte, im Juni als einer der letzten ausländischen Staatschefs die Hände. Die hiernach von manchen Beobachtern befürchtete Verschlechterung des Verhältnisses mit den USA trat nicht ein. Und trotz der anhaltenden Grenzstreitigkeiten mit China bleibt die Volksrepublik einer der größten Investoren. Tiefe Wurzeln machen den Bambus belastbar, wobei er nicht an Geschmeidigkeit einbüßt.
"Brennender Schmelzofen"
Innenpolitisch besteht wohl Trongs größtes Vermächtnis in der Antikorruptionskampagne, der "brennende Schmelzofen", dem in den vergangenen Jahren Tausende Funktionäre und Wirtschaftsleiter zum Opfer fielen. Mit Nguyen Xuan Phuc (2021) und Vo Van Thuong (2023) wurden unter Trongs Ägide als Generalsekretär gleich zwei Präsidenten wegen Korruptionsvorwürfen ihres Amtes enthoben.
Lesen Sie auch
Vietnam kopiert Chinas Inselbau-Taktik im Südchinesischen Meer
Vietnam auf dem Weg zur Halbleitermacht
Konflikt um Südchinesisches Meer: Manilas Schulterschluss mit Berlin und Hanoi
Zwischen Großmächten navigieren: Was (nicht nur) kleinere Länder von Vietnam lernen können
Moskau und Hanoi: Russland ist für viele junge Vietnamesen ein Fremdwort
Die Antikorruptionskampagne brachte Trong große Popularität bei den Vietnamesen ein – trotz Kritik an einer Zunahme der Repression. Er hatte den Ruf eines bescheidenen und nahbaren Politikers, und galt nach dem Tod des legendären Generals Võ Nguyên Giáp zuletzt als letzte moralische Instanz der vietnamesischen Politik.
Was auch dazu geführt hat, dass er als erster vietnamesischer KP-Generalsekretär seit dem Abtritt von Ho Chi Minhs Nachfolger und langjährigem Vertrauten Le Duan mehr als zwei Amtszeiten hatte.
Vertane Chance für Deutschland
Nicht nur die USA und China, auch die Bundesrepublik ist ein "strategischer Partner" Vietnams. Der bilaterale Handel lag im Jahr 2022 bei 18 Milliarden US-Dollar, Tendenz steigend. Vietnam ist Deutschlands zweitwichtigster Kaffeexporteur, mehr als 350 deutsche Unternehmen sind vor Ort in diversen Sektoren vertreten. Auch der deutsche Tourismus spielt eine immer größere Rolle.
Das 100-Millionen-Einwohner Land gilt heute als aufstrebende Wirtschaftsmacht der Region und hat sich mit einem BIP-Wachstum von 8 Prozent im Jahr 2022 und 5 Prozent 2023 deutlich schneller als viele andere Länder von den Folgen der Corona-Pandemie erholt.
Entsprechend wenig verwunderlich, dass sich die Bundesregierung Vietnam als Teil ihrer China-Strategie beim "De-Risking" der Wirtschaftsbeziehungen zur Volksrepublik als wichtigen regionalen Partner auserkoren hat. Bundeskanzler Olaf Scholz stattete Hanoi Ende 2022 einen Besuch ab. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lobte Vietnam nach seinem Staatsbesuch im Januar als "Partner", der "gemeinsame Interessen" mit Deutschland teile.
Während der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell seine Reisepläne kurzfristig änderte, um an Trongs Begräbnis teilzunehmen, schickte Deutschland nur die Botschafterin in Hanoi. US-Präsident Joe Biden übermittelte ein Kondolenzschreiben, aus dem Auswärtigen Amt und vonseiten der Bundesregierung war hingegen lediglich dröhnendes Schweigen zu vernehmen. Meldungen zum Staatsbegräbnis musste man in deutschen Medien förmlich suchen. Der "strategische Partner", so scheint es, spielt in Deutschland keine Rolle.