Verteidigt die Globalisierung!
Die Mission des Jagdish Bhagwati
Etwas, was hier etwas Schlechtes ist, kann anderswo etwas Gutes sein. Deshalb wurde die Verwendung von DDT in den reichen Ländern verboten, wo man seit Rachel Carsons berühmter Dokumentation davon ausging, dass diese Substanz der Umwelt nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügt. In armen Ländern wie Indien, wo die Malaria bisher noch nicht ausgerottet wurde, ist der Einsatz von DDT (mit einem gesundheitlichen Nutzen verbunden, der nach allgemeiner Einschätzung schwerer wiegt als die Umweltschäden. [..] Auf solche Beispiele trifft nun wirklich zu, dass ein Verkaufsverbot im Inland nicht automatisch auf das Ausland erweitert werden sollte [..].
Jagdish Bhagwati, „Verteidigt die Globalisierung“, S. 300/301
Jagdish Bhagwati, gebürtiger Inder und seit 1991 Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, gilt international als einer der prominentesten Verfechter der sogenannten freien Marktwirtschaft und seit Jahren als Anwärter für den Wirtschaftsnobelpreis. Was er seinem Beispiel nicht hinzufügt: Malaria, bzw. Sumpffieber, ist eine Krankheit, unter der vor allem arme Menschen in den Ländern der sogenannten „Dritten Welt“ leiden. Längst gibt es Medikamente zur Prophylaxe und Therapie. Die Pharmaindustrie hat allerdings kein Interesse an ihrer Weiterentwicklung, sondern gibt weltweit doppelt so viel Forschungsmittel im Kampf gegen Haarausfall und Erektionsstörungen aus.
Aber Bhagwati ist kein Mediziner, sondern Ökonom. Er doziert an der US-amerikanischen Universität Columbia, sitzt im wissenschaftlichen Beirat der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (Asia), ist einer der Architekten der indischen Marktöffnung und Berater der Welthandelsorganisation (WTO). Auf einer Lesereise in Deutschland stellte er sein neu erschienenes Buch „Verteidigung der Globalisierung“ vor, unter anderem im Kölner Fünf-Sterne Hotel Excelsior.
Moralische Triebkraft der Globalisierung
„Jagdish, Du hättest Dir keinen besseren Tag aussuchen können, um hier nach Köln zu kommen“, begrüßte ihn sein Freund, der Unternehmer Peter Jungen. Die aktuelle Krise an den Finanzmärkten hatte die Erwartungen an seinen Besuch hoch geschraubt. Regelrecht beschwörend wirkte Jungen, als er zu seiner Begrüßungsrede anhob: „Wir sollten keine Angst vor der Globalisierung haben; sie ist eine Maschine, die Wohlstand erzeugt für die armen Menschen in der Welt, sie ist ein Wettrennen an die Spitze des Erfolgs, sie hat ein humanes Gesicht, wie Du in Deinem Buch geschrieben hast, sie hat eine moralische Triebkraft.“
In Zeiten der Krise stehen Propheten hoch im Kurs. Vor allem solche, die wie Bhagwati von sich behaupten, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen und die richtigen Rezepte dagegen in der Tasche zu haben. Er setzt auf Verbraucherkampagnen, soziale und ökologische Selbstverpflichtungserklärungen von Unternehmen, er kritisiert die schlimmsten Auswirkungen ungebremster Finanzspekulation und findet, dass „geistige Eigentumsrechte“ nicht Sache der Welthandelsorganisation sein sollten. Er zitiert Naomi Klein, Immanuel Wallerstein, Pierre Bourdieu und Edward Said, ja sogar die Thesen Rosa Luxemburgs zur Nationalökonomie als „eine der wichtigsten ideologischen Waffen der Bourgeoisie“.
Dennoch finden seine Thesen Anerkennung bei Unternehmern wie Peter Jungen, bei Otto Graf Lambsdorffei Freiherrin und Freiherr von Oppenheim, denen die gleichnamige und größte Privatbank Europas im Familienbesitz gehört. Sie waren gekommen, um andächtig der „Verteidigung der Globalisierung“ durch Jagdish Bhagwati zu lauschen.
Weil es schwer ist, in einer akuten Systemkrise eine Brücke zur „moralischen Triebkraft“ der Globalisierung zu schlagen, zog der Wirtschaftsprofessor zunächst einen Trennstrich, um die vermeintlich gute von der schlechten Globalisierung zu unterscheiden.
„Ich bin ein bisschen besorgt wegen der Finanzkrise, auch aus persönlichen Gründen“, erklärte Jagdish Bhagwati. Das Publikum lachte wohlwissend. „Zufällig gibt es in meinem Buch ein Kapitel über den internationalen Kapitalverkehr und das Finanzsystem. Das dürfte gerade heute als politisch korrekt durchgehen, denn ich zeige darin die Probleme auf, die der Finanzsektor verursacht und die man beim Handel und den Investitionen der multinationalen Konzerne so nicht findet“, führte Bhagwati weiter aus, denn „wirtschaftliche Globalisierung, mit Handel und Konzernen, erhöht das Einkommen und die Nachfrage nach Arbeitskräften. Die Globalisierung ist also gut und nicht schlecht. Beinahe 90 Prozent aller Wirtschaftswissenschaftler sind dieser Meinung.“
Der Staat steht für Bhagwati im Dienste der Wirtschaft
Ein Vorteil der Globalisierung sei zum Beispiel der „Konsumgewinn“ durch billigere Waren. Auch gebe es „keine Anhaltspunkte für den Rückgang arbeitsrechtlicher Standards“, es handele sich folglich nicht um einen „Wettlauf nach unten, sondern nach oben.“ Dafür Zeugnis ablegen würden die Sonderwirtschaftszonen in sogenannten Entwicklungsländern, die er für einen wichtigen Motor der Weltwirtschaft hält. Er zitiert gerne China als Beispiel, um die „menschlichen Erfolge“ der Globalisierung zu unterstreichen: Dort würden junge Wanderarbeiterinnen freiwillig mehr als zwölf Stunden arbeiten, das würden zahlreiche Studien belegen, das sei doch keine Ausbeutung, sondern mache die Frauen in einer traditionell geprägten Gesellschaft unabhängiger. Auf solche Beobachtungen gründet Bhagwati seine Überzeugung: „Die Globalisierung hat ein menschliches Gesicht.“ Und der Grund für den Verlust von Arbeitsplätzen in den Industrieländern sei nicht die Globalisierung, sondern der technische Fortschritt.
Zwar hätte die Produktion von bestimmten Waren bisweilen Nebenwirkungen, wie z.B. an den Küsten Asiens, wo Shrimps-Farmen die Mangrovenwälder und damit wichtige Biotope zerstören. Aber „im Fall der Shrimpsfarmen ist es beispielsweise kaum vernünftig zu sagen, die Umweltgesichtspunkte seien von so überwältigender Bedeutung, dass keinerlei Umweltschäden in den Mangrovenwäldern akzeptiert werden dürften“, doziert Bhagwati. „Diese Schäden müssen vielmehr gegen die Verluste aus entgangenen Exporteinkünften im Shrimps-Geschäft abgewogen werden.“ Die Ökonomie, daran lässt Bhagwati keinen Zweifel, betrachtet er als die höchste der Wissenschaften.
Kleinbauern in den Ländern der sogenannten Dritten Welt empfiehlt er, auf Exportmärkte zu setzen und so endlich die „Gelegenheit zu Einkommenszuwächsen“ wahrzunehmen. Hier fließt in seine Berechnung allerdings nicht mit ein, welchen Wert die kleinbäuerliche Nahrungsmittelproduktion für den eigenen Bedarf hat. Seine Definition von Armut gleicht der fast aller Ökonomen: Sie orientiert sich am Einkommen und der Armutsdefinition der Weltbank: Alle Menschen mit weniger als 1,25 Dollar Tageseinkommen – Tauschwaren und Subsistenzprodukte ausgeschlossen - gelten als absolut arm. So definiert, ist die monetäre Armut in den Jahren der Globalisierung prozentual tatsächlich leicht zurückgegangen. Aber was bedeutet das? Gleichzeitig sind viele Millionen Kleinbauern vertrieben worden und leben jetzt in den Slums der Megacities, wo sie vielleicht 1,50 Dollar am Tag verdienen, aber nichts mehr für sich selbst anbauen können.
Im Zeitalter von Niedriglöhnen, Massenentlassungen und Nahrungsmittelkrisen arbeitet die bittere Wirklichkeit gegen die Thesen Bhagwatis. Er will aber keinen Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Globalisierung und sozialen Missständen sehen, sondern schreibt letztere dem Fehlverhalten nationaler Regierungen zu. Die Globalisierung müsse durch Reformen unterstützt werden, meint er.
„Wenn wir nicht einige Dinge tun, die sich auf die moderne Wirtschaft von heute beziehen, mit all ihren Veränderungen, dann kommen wir in Schwierigkeiten“, erklärt Bhagwati seinem Publikum im Hotel Excelsior. „Denn die Leute werden dann einfach dicht machen. Das kann man bereits beobachten, zum Beispiel beim politischen Wahlverhalten.“
Bhagwati spricht sich deshalb dafür aus, die Löhne der Beschäftigen notfalls aufzustocken und Arbeitslosen finanzielle Unterstützung zu gewähren – ohne dass daraus allerdings eine „soziale Hängematte“ werden dürfe, wie er anmahnt. Er will die menschlichen Kosten des unternehmerischen Profits lindern. Der Staat steht bei ihm im Dienste der Wirtschaft – wie derzeit im Bankensektor.
Die Mittel zur Senkung der „menschlichen Kosten“ sollen jedenfalls nicht von multinationalen Unternehmen kommen. Diese seien ohnehin „in vielerlei Hinsicht nützlich, was die Geschenke in Form von Steuervergünstigungen und andere Vorteile wie die kostenlose Nutzung von öffentlichem Grund und Boden aufwiegen sollte“. Stattdessen setzt Bhagwati auf Arbeitslosenversicherungen, in die abhängig Beschäftigte einzahlen sollen. Darum könnten sich zum Beispiel die Gewerkschaften kümmern, denen er noch eine weitere Aufgabe zugedacht hat: Sie sollen Umschulungsprogramme organisieren und damit die abhängig Beschäftigten den Bedürfnissen der Wirtschaft anpassen.
„Risikokapital ist das Geheimnis des US-amerikanischen Erfolgs"
Soziale Ungleichheit bewertet Bhagwati positiv, denn sie stimuliere Konkurrenz. Sie könne „bei den Menschen am unteren Ende der Hierarchie Ehrgeiz und Hoffnung wecken“. Für Globalisierungskritiker, die neben der Umweltzerstörung vor allem die soziale Ungleichheit als augenfällige Folge der Globalisierung kritisieren, hat er folglich nicht viel übrig. Für Bhagwati sind Globalisierungskritiker wahlweise „Pedanten“ oder „Phrasendrescher“, um nur einige Attribute zu benennen, die er in seinem Buch bemüht.
Auch wenn er vordergründig das Gebaren einiger Finanzmarktjongleure und deren individuelle Gier kritisiert, weist er doch eine internationale Besteuerung von Kapitaltransaktionen zurück, die Tobin Tax, wie sie z.B. die Globalisierungskritiker von Attac fordern.
Einige Finanzmarktprodukte seien zwar riskant, aber nichtsdestotrotz auch notwendig, innovativ und wichtig vor allem für die Wirtschaft in den USA, deren Pragmatismus Bhagwati so sehr bewundert. Die 700-Milliarden Dollar Spritze für die US-Banken hält er für die richtige Maßnahme. Denn: „Risikokapital ist das Herz des Systems, das ist das Geheimnis des US-amerikanischen Erfolgs“, erklärte er gegenüber Telepolis.
2