Vertrauensverlust in Medien: So streitet die Journalistik darüber
Seite 2: Üben alternative Medien nur "fundamentale Systemkritik"
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- Üben alternative Medien nur "fundamentale Systemkritik"
- Warum können alternative Medien keine Bereicherung sein?
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Seither sind ja Propaganda-Debatten in praktisch allen Medien nicht gerade zurückgegangen. Weischenbergs Vorwurf dürfte, aus seiner Sicht, mittlerweile eher noch aktueller (geworden) sein: Dass nämlich "das Wirken der AMK (…) auf eine fundamentale Systemkritik" abziele (S.200 und 201). Ob das so ist, sei dahingestellt – spannend erscheint, warum diese Annahme bei Weischenberg offenbar auf ziemlich "fundamentale" Ablehnung stößt.
Wenig überraschend wiederum, dass Weischenberg Noam Chomsky (und dessen Aussagen zu Propaganda im Interesse von Staat oder auch Wirtschaft) eher unironisch den "Säulenheiligen" der AMK nennt (S.201). Und Chomsky geradezu folgerichtig "verschwörungstheoretische" Unterstellungen (S.203) mit Blick auf den US-Eintritt in den Ersten Weltkrieg, nun ja, unterstellt.
Zumindest "widersprüchlich" folgende Modellierung Weischenbergs: Er beklagt (S.207), die AMK thematisiere nicht den "doch auffälligen Widerspruch" zwischen "dem immer wieder (wohl mit Recht) beklagten Neoliberalismus als Grundmelodie der 'Mainstream-Medien'" einerseits und andererseits "der empirisch gut belegten Tatsache, dass es schon traditionell eine 'Linkslastigkeit' in den politischen Einstellungen der Journalistinnen und Journalisten in Deutschland" gebe.
Da Weischenberg zumindest an einem Teil dieser Empirie ziemlich direkt beteiligt gewesen sein dürfte, ist ihm sicher gewärtig, dass es hier "traditionell" ganz klar um eine "Grünlastigkeit" in vielen deutschen Redaktionen geht. Was – vorsichtig formuliert – sicher nicht (mehr) dasselbe ist wie "Linkslastigkeit". "Grünlastigkeit" scheint, das ist meine Beobachtung und These, zumindest immer besser vereinbar mit "Neoliberalismus" (und aktuell nicht zuletzt mit Militarisierung).
Siegfried Weischenberg hält dem Buchautoren Marcus Klöckner vor, dieser äußere sich "voller Zynismus" (S.210) und mache "insbesondere bei seiner Abrechnung mit der Corona-Berichterstattung (…) in der Rolle des Wutbürgers keine Gefangenen". In diesen Passagen darf die Kritik Weischenbergs nicht zuletzt als schlicht moralisierend infrage gestellt werden.
Immerhin kommt der Autor dann (wieder) auf die zentrale Frage: Inwieweit findet gerade in gesellschaftlichen Krisenzeiten (Klima, Pandemie, Krieg) gesamtgesellschaftlich offener, vielfältiger, kontroverser Diskurs (noch) statt?
Kritische Stimmen wie jene von Wernicke, Klöckner oder Meyen scheinen dies (deutlich) zu verneinen – während Weischenberg schon das Auftreten der – von ihm sogenannten – "Außenseiter"-Virologen Streeck, Schmidt-Chanasit und Kekulé bei Markus Lanz offenbar als Beleg für einen relativ breiten Themen- und Meinungskorridor bei zentralen sozialen Fragen zu gelten scheint. Nun ja.
Insgesamt wird immer wieder deutlich, dass Weischenberg kaum anders kann, als Medien im Sinne von "System" zu fassen – was deren relative Eigenständigkeit (zum Beispiel gegenüber Konzernen oder auch Staatsapparaten) theoretisch behaupten und betonen soll, wie immer das empirisch zu belegen wäre.
So bleibt seiner Perspektive bestenfalls, theoretisch wie praktisch, eine Reform-Forderung, "die Organisation des Mediensystems in einer kapitalistischen Gesellschaft so zu gestalten, dass es demokratischen Ansprüchen gerecht werden" könne (S.208f.).
Dass "eine kapitalistische Gesellschaft" beispielsweise keineswegs grundgesetzlich festgeschrieben oder legitimiert ist – diese schlichte Feststellung mag aus einer systemtheoretischen Sicht wie jener Weischenbergs vermutlich schon (so etwas wie) "fundamentale Systemkritik" sein. Vielleicht auch daher seine ganz spezielle Kritik an "alternativen Medien" und hier vor allem an "alternativer Medienkritik".