Verwaiste Atomgeneratoren

Auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion liegen radio-thermoelektrische Generatoren unkontrolliert im Gelände herum - jeder könnte sich bedienen

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Seit dem Zusammenbruch der ehemaligen UdSSR gehen von dort aus radioaktive Stoffe auf Reisen. Immer wieder werden Personen festgenommen, die Nuklearmaterial bei sich führen. Jetzt erinnerte die Washington Post an die kleinen radio-thermoelektrischen Generatoren (radiothermal generators, RTGs), die aus radioaktiven Stoffen Strom erzeugen und in der UdSSR verwendet wurden, um Raumfahrtzeuge, Schiffahrtssignale oder auch Kommunikationseinrichtungen in entlegenen Gebieten mit Energie zu versorgen. Bis vor sechs Monaten waren diese Generatoren nicht mehr als Müll, der verwaist herumlag und höchstens Umweltschützer auf den Plan rief. Seit dem 11. September mehren sich jedoch die Befürchtungen, dass Terroristen radioaktives Material in die Hände bekommen könnten, um damit gefährliche Waffen für weitere Terroranschläge zu bauen, und das scheint nirgends so leicht zu gehen wie im Gebiet des ehemaligen Sowjetreichs.

Mehr als 300 solcher radio-thermoelektrischer Generatoren wurden zu Sowjetzeiten gebaut. Heute liegen sie praktisch für jeden zugänglich in der Landschaft verstreut, regelmäßige Kontrollen gibt es nicht. Theoretisch kann sich jeder an dem radioaktiven Material bedienen. Die betroffenen ehemaligen Sowjetrepubliken wissen oft nicht genau, wo sich wie viele solcher Generatoren befinden. Und selbst wenn man wüsste, wie die Dinger zu entsorgen sind, fehlte doch das Geld dazu.

Im Gebiet Tschukotka im russischen Fernen Osten wurden in den 60er- und 70er-Jahren wahrscheinlich 85 Atomgeneratoren deponiert. Dort liegen sie immer noch herrenlos und deutlich sichtbar herum. 1997 wurde das letzte Mal ein Inspektion durchgeführt. Dabei stellte sich heraus, dass die Maschinen, in die einige Generatoren eingebaut waren, teilweise nach Metallteilen ausgeschlachtet worden waren, einige Generatoren ins Meer gerollt und mindestens sechs davon so schwer beschädigt waren, dass Radioaktivität freigesetzt wurde. Außerdem fehlte vermutlich mindestens ein Generator. Schon damals kam die beteiligte russische Kommission zu dem Schluss: "Sie (die Generatoren, Anm. d. Verf.) wären ein einfaches Ziel für Terroranschläge, mit außerordentlich gravierenden Folgen."

In Georgien stolperten im vergangenen Dezember drei Waldarbeiter über einen radio-thermoelektrische Generator und nahmen ihn aus Neugierde mit. Schon nach wenigen Stunden wiesen sie schwere Verbrennung auf, zwei der Arbeiter liegen bis heute im Krankenhaus, ihr Zustand ist immer noch kritisch. Die georgischen Rechtsschutzorgane und Mitarbeiter des Ministeriums für Umweltschutz fahnden außerdem nach zwei weiteren Atomgeneratoren, die Anfang der 80er-Jahre beim Bau eines Wasserkraftwerks genutzt wurden. Im Fall von Georgien hat sich jetzt die International Atomic Energy Agency (IAEA) eingeschaltet. Sie drängt darauf, dass die Atomgeneratoren mit internationaler Hilfe gesucht und abgesperrt werden sollen.

Die russischen Generatoren enthalten hochradioaktives Strontium und Cäsium. Damit kann man zwar keine Atombombe bauen, doch schon ein Bruchteil wirkt tödlich auf den menschlichen Organismus. Besonders gefährlich wird es, wenn die Stoffe zusammen mit konventionellem Sprengstoff in einer Bombe verwendet werden. Ein so genannte dirty bomb könnte in einer Großstadt mehrere Häuserblocks unbewohnbar machen und zu Todesfällen führen.

Einziger Trost: Die Generatoren liegen zwar für jeden frei zugänglich im Gelände herum, doch es ist nicht so einfach sie zu bergen. Wer nicht weiß, wie er damit umzugehen hat, bringt mit Sicherheit sein Leben in Gefahr. Die Spezialisten der IAEA, die die Generatoren in Georgien bargen, benutzten dazu eine speziell gefertigte Schutzvorrichtung. Während der Bergung durfte sich jeder der Arbeiter nur jeweils 40 Sekunden dem Generator nähern.

Das russische Ministerium für Notfallsituationen wies, wie Interfax meldete, die Behauptung der Washington Post überdies zurück, dass einige der Atomgeneratoren in der Region von Tschukotka vermisst würden. Sie würden nur im Sommer zu den Fahrzeiten gebraucht, manche seien tatsächlich abgenutzt und müssten ersetzt oder repariert werden.