Videoüberwachung und Demokratie
Seite 3: Überwachung und Demokratie
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Kann ein vollständig überwachter öffentlicher Raum seine Funktion für die Demokratie noch erfüllen? Das ist eher zweifelhaft. Menschen ändern sich und ihr Verhalten, wenn sie sich nicht mehr unbeobachtet und unidentifizierbar fühlen (können). Demokratie funktioniert deshalb nur, wenn es ein Minimum an Anonymität gibt. Warum ist das so?
Menschen neigen zur Konformität. Sie tendieren im Zweifel dazu, sich in ihrem Denken und Handeln der Mehrheit anzuschließen. Für eine lebendige Demokratie ist das ein Problem. Wenn alle Bürger sich unkritisch dem Mainstream anschließen, entsteht kein demokratischer Diskurs. Denn der demokratische Diskurs funktioniert nur, wenn auch unterschiedlichste Minderheitsmeinungen artikuliert und debattiert werden (können). Nur dann besteht eine Chance, dass gute Lösungen gefunden werden. In der Demokratie müssen Menschen dem Gruppendruck widerstehen und der Mehrheitsmeinung tatsächlich widersprechen (können). Kurz gesagt: Sie müssen sich auch mal was trauen.
Wie lässt sich das sicherstellen und erleichtern? Von grundlegender Bedeutung dafür sind sicher die demokratischen Beteiligungsrechte, die die Verfassung gewährleistet. Das reicht aber nicht aus. Menschen brauchen auch die Zivilcourage, diese Grundrechte immer in Anspruch zu nehmen - auch wenn es unbequem oder schwierig ist.
Dazu ist ein Minimum an Anonymität notwendig. Sie schafft zusammen mit einer intakten Privatsphäre den Schutzraum, in dem sich abweichende, irritierende, innovative Einstellungen, Meinungen und Verhaltensmuster entwickeln können. Das ermöglicht dann ungewöhnliche Debattenbeiträge, die dem Mainstream widersprechen - und den demokratischen Diskurs bereichern und weiter bringen.
Sicherheit durch Überwachungskameras
Und was ist mit der Sicherheit? Müsste nicht die Sicherheit der Bevölkerung über allem stehen? Müsste dazu nicht die Videoüberwachung lückenlos ausgebaut werden?
Diese Forderung wird in der politischen Diskussion erhoben. Das ist aber nicht die Konzeption der deutschen Verfassung. Das Grundgesetz will beides: Sicherheit und demokratische Freiheit. Völlige Sicherheit, aber ohne Freiheit wäre verfassungswidrig.
Und umgekehrt gilt das auch: Grenzenlose Freiheit ohne Sicherheit ist ebenfalls nicht mit der Verfassung zu vereinbaren. Das ist wie immer ein ganz schwieriger Balanceakt. Aber wer hat gesagt, dass eine lebendige Demokratie einfach ist?
Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler ist Jurist und Politikwissenschaftler an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg.
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