Viel heiße Luft um die US-Klimapolitik

Seite 2: Die moderne Pilgerfahrt oder die Logik des Verzichts

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Die Kehrseite ist die Logik des Verzichts und des Entsagens, die vor allem für die Subalternen mit dem Welt- und Klimarettungsdiskurs geschaffen wird. Da lädt die Linksjugend Solid unter dem Motto Global denken und lokal handeln mit Raphael Fellmer einen Guru der Verzichtslogik ein, der vor über 100 vor allem jungen Menschen begeistert berichtet, wie er fünf Jahre ohne Geld durch die Welt gezogen ist.

Dass er nach der modernen Pilgerreise Geld doch nicht mehr ganz so sehr verabscheut und in die Startup-Branche gegangen ist, führte zumindest im Publikum nicht zu größeren Nachfragen. Wenn Fellmer dann bis ins Detail erklärte, wie man ohne Geld lebt und als Beispiel anführte, man könne statt Toilettenpapier die Papierservietten, die täglich in vielen Restaurants unbenutzt entsorgt werden, als Ersatz benutzen, hätte doch eigentlich auf der Veranstaltung eines Verbands, der sich Linksjugend nennt, mal die Frage kommen müssen, was die totalsanktionierten Hartz IV-Empfänger, die zwangsweise ohne Geld leben müssen, zu solchen Vorschlägen sagen.

Das Publikum hätten sich auch fragen können, ob nicht die Verzichtsideologie eines Teils des Bürgertums, das temporär freiwillig auf einen Teil des ihnen zur Verfügung stehenden Geldes verzichtet, den Druck auf diejenigen erhöht, die nicht die Wahl haben und die schon heute zwangsweise zu einem Leben mit wenig Geld gezwungen sind. Theorie war aber in Fellmers Ausführungen nicht mal in Spurenelementen vorhanden.

Als jemand mehr zum Thema Staatsschulden wissen wollte, fragte Fellmer ins Publikum, ob jemand eine Zahl parat habe. Sonst müsste er selber ins Internet gehen. Dabei war es doch ein Erfolg, dass vor 170 Jahren andere vermögende Bürgerliche ihr Geld dafür verwandten, um wenn schon nicht die Welt besser zu machen, diese zumindest besser zu erkennen. In den auch mit Unterstützung des Fabrikantensohns Friedrich Engels ermöglichten Schriften von Karl Marx, gibt es wichtige Hinweise auf die Rolle des Geldes im Kapitalismus.

Lebensreform statt Gesellschaftsveränderung

Sie zeigen auf, dass eine reine Ablehnung des Geldes, ohne den Kapitalismus auch nur zu erwähnen, Menschen vielleicht ein gutes Gewissen verschafft, aber gesellschaftlich rein gar nichts bringt. Denn auch die Güter, die nach Fellmer eben ohne Geld besorgt werden sollen, müssen produziert werden und das ist im Kapitalismus ohne Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft nicht möglich.

Dass auf einer Solid-Veranstaltung diese moderne Pilgerreise beworben wird, zeigt auch den Zustand einer Linken, bei der es eher um Lebensreform als um Gesellschaftsveränderung geht. Dazu braucht es aber keine Linke, da kann man auch ein Gerät namens Amphiro kaufen, das einen beim Warmduschen durch ein Bild mit einem Eisbären auf einer schrumpfenden Scholle immer an den ökologischen Fußabdruck erinnert.

Damit ist nicht das Klima sondern der eigene Gefühlshaushalt wieder in Ordnung gebracht. "Ich habe etwas für das ich kämpfen kann, meinen persönlichen Eisbär", beendet die Deutschlandfunk-Journalistin ihren Beitrag.

So sichert man die Profite eines neuen kapitalistischen Akkumulationsmodells, während es gleichzeitig die ideologischen Vorarbeiten für neue Verzichtsideologien liefert. Dabei wäre beim gegenwärtigen Stand der Produktivkräfte ein schönes Leben für Alle, das nicht gleichzusetzen ist mit Prunk und immer schnelleren Autos, aber auch nicht damit, um Servietten zu betteln, möglich.

Dazu müsste man sich aber vielleicht die Mühe machen, auch mal Bücher zur Hand zu nehmen, die nicht gleich das individuelle Lebensglück und die perfekte Balance im Gefühlshaushalt versprechen.

Kapitalistische Verwertungslogik müsste in der Kritik stehen

Dagegen haben es Ansätze schwer, die sich wirklich anstrengen, die Klima- und Umweltthematik durch die Brille von Marx zu betrachten. "Kapitalistische Naturverhältnisse. Ursachen von Naturzerstörungen - Begründungen einer Postwachstumsökonomie", heißt das Buch des Sozialwissenschaftlers Athanasios Karathanassis, der überzeugend darlegt, dass die kapitalistische Verwertungslogik und nicht die individuelle Lebensführung im Fokus der Kritik stehen müsste, wenn es um Natur- und Klimaverhältnisse geht.

Dass davon die Lobbyisten des modernen Akkumulationsregimes nichts wissen wollen, ist verständlich. Es verstößt gegen ihre Interessen. Dass aber die vielen Menschen, die ihren persönlichen Eisbären retten und sich auf moderne Pilgerfahrten begeben wollen, auch nicht solche Fragen an sich heranlassen, liegt an ihrem Gefühlshaushalt.

Der könnte schließlich durcheinander geraten, wenn man erfährt, dass all die vielen Rettungsprogramme zur Klimarettung vor allem heiße Luft sind und dass der Unterschied zwischen Trump und Obama in zwei unterschiedlichen Akkumulationsmodellen des Kapitalismus besteht.