Viele Köche verderben den Brei
Der Griechenlandpoker geht in eine weitere Runde
Am Sonntag tagten in Athen ab 15 Uhr zum x-ten Mal die Vorsitzenden der Parteien, die das Kabinett von Loukas Papademos stützen, mit dem immer machtloseren Premier Papademos. Davor hatte Papademos gegen Mittag die Troika-Kreditgeber empfangen. Während er bereits vier Stunden lang mit den Parteiführern stritt, traf Charles Dallara vom Internationalen Bankenverband (IIF) zusammen mit Jean Lemierre ein. Dallara verhandelt mit Papademos über den Schuldenschnitt, den private Anleger für Hellas hinnehmen sollen. Der IIF-Investorenverbandschef hatte beim Warten Gesellschaft. Finanzminister Evangelos Venizelos und Sozialminister Giorgos Koutroumanis waren ebenfalls da. Bei soviel Betrieb traf erneut die alte Volksweisheit zu: "Viele Köche verderben den Brei."
Nach insgesamt fünf Stunden Debatte hatten zumindest die Parteichefs ein Erbarmen mit dem Heer der wartenden Reporter. Sie unterbrachen ihre Marathonsitzung und vertagten sich auf Montag. "Ich werde nicht mitmachen bei einem Aufstand der Entäußerung, der zuerst das Land und dann Europa verwüsten wird", sprach Giorgos Karatzaferis, Parteichef der LAOS, als er den Premierministeramtssitz verließ. Einer modernen Pythia gleich sprach Karatzaferis Wahres, ohne sich auf irgendetwas festzulegen. "Wer macht einen Aufstand?", "Stimmen Sie mit den Forderungen der Troika überein oder nicht", "Ein Ja oder Nein könnten Sie doch sagen", riefen die anwesenden Reporter. Zwecklos. Es gab keine Antwort.
"Man verlangt von uns eine noch tiefere Rezession, etwas, was das Land nicht ertragen kann. Ich kämpfe darum, dies zu verhindern. Zum ersten Mal seit dem IWF-Gang finden Verhandlungen statt", sprach Antonis Samaras, der sich als Chef der Nea Dimokratia bereits als künftiger Premier wähnt. Samaras galt bisher als Bremser der Troika-Sparprogramme. Sehr zur Freude nationalistischer Kreise sucht er aktuell nach Verbündeten jenseits der EU.
Die PASOK möchte sich selbst und das Land retten
Der Dritte im Bunde, Noch-PASOK-Chef Giorgos Papandreou, sprach nicht. Stattdessen schickte er seinen Parteisprecher Panos Beglitis vor. "Wir haben hinsichtlich der Refinanzierung der Banken und den Gehaltskürzungen im Privatsektor Bedenken."
Beglitis verwies auf die bekannten, sozialistischen Grundlagen seiner Partei und kündigte an, dass entsprechende Entscheidungen erst von einer eilig für den Abend einberufenen Politbürositzung und einer morgigen Fraktionssitzung abgesegnet werden müssten. Papandreou sei der Ansicht, dass so weit reichende Entscheidungen nicht von einer einzelnen Person getroffen werden könnten. Dies ist mehr als verständlich, denn Papandreous Ablösung vom Parteivorsitz scheint unmittelbar bevorzustehen.
Venizelos hat sich zusammen mit Gesundheitsminister Andreas Loverdos geeinigt. Gemeinsam möchten sie Papandreou eiligst und natürlich nur "zur Erhaltung der Einheit der Partei" aus dem Amt komplimentieren. Seitens der internationalen Presse werden diese Aktionen Venizelos mit dem mangelhaften Fortschritt in den Reformumsetzungen in Verbindung gebracht. Der nach Ansicht Venizelos ungeheuerliche und schlicht ehrabschneidende Vorwurf lautet, dass er sich mehr um die Partei als um die Staatsfinanzen sorgen würde.
In Griechenland selbst vermuten dagegen zahlreiche Medien, dass Papandreou mit Venizelos die juristischen Rahmenbedingungen für seinen Abgang aushandelt. Denn ganz astrein scheint es bei Papandreous Alleingang zum IWF nicht zugegangen zu sein. Der Ex-Premier muss sich deshalb bald vor einem Untersuchungsausschuss, der nach griechischem Recht als Gericht für Politiker dient, verantworten. Aber auch hier regnet es seitens der PASOK Dementis.
Worum geht es bei den Marathondebatten?
Seitens der Kreditgebertroika stehen einige harsche Forderungen im Raum. IWF-Chef Thompsen sind Tarifverträge ebenso ein Dorn im Auge wie Urlaubs- und Weihnachtsgelder. Die Troikaner wissen, dass nach erfolgreichem Schuldenschnitt die Gesamtheit der griechischen Banken vor dem Ruin steht. Denn einheimische Staatsanleihen zu zeichnen, galt bisher als hellenische Bankerpflicht.
Darüber hinaus mussten die nicht umlagenfinanzierten Rentenkassen per ordre de mufti nahezu all ihr Kapital an den Staat verleihen. Am schlimmsten betroffen sind davon die griechischen Zusatzkassen, die nach einem den Riesterrenten ähnlichen Prinzip das Auskommen im Alter garantieren sollten. Hier sollen umfangreiche Kürzungen der Renten, die vierten innerhalb von zwei Jahren, das Überleben der Versicherungsträger gewährleisten.
Dass die Troika darüber hinaus im Gesundheitswesen, in der Bildung und im Militär weitere Kürzungen vornehmen möchte, ist fast nur noch eine Randmeldung wert. Kaum erwähnt wird ebenfalls, dass neue Abgaben und Steuern auf der Tagesordnung stehen.
Die PASOK möchte, dass die milliardenschwere staatliche Finanzierung mit einem Stimmrecht der Geldgeber verbunden wird. Damit möchte die Partei sicherstellen, dass das Geld einen Weg in die griechische Wirtschaft findet. Denn seit der Lehmann-Pleite haben die griechischen Banken zwar zahlreiche Milliardenhilfen erhalten, die Kreditvergabe an einheimische Industrie aber immer weiter eingeschränkt.
Korrekt, aber recht spät haben die Sozialisten eingesehen, dass eine Wirtschaftsankurbelung und eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit nicht klappt, wenn die griechischen Unternehmer für Kredite mehr als zwölf Prozent Zinsen zahlen müssen, falls sie überhaupt welche erhalten. Die Troika sieht sich selbst als Zahler, obwohl die zu zahlenden Gelder den griechischen Etat und nicht die Kassen des IWF belasten. Sie möchte daher bei den über Staatsgelder verstaatlichten Banken an den hellenischen Finanzminister nur Aktien ohne Stimmrecht ausgeben lassen.
Samaras ist gegen alles, was die Wiederankurbelung der Wirtschaft behindern und die Rezession vertiefen würde. Während er mit dieser Ansicht lange isoliert war, stimmen ihm nun in diesem Punkt immer mehr europäische Beobachter zu. Karatzaferis hingegen hegt zwar ebenso wie Samaras öffentlich Zweifel am Sinn der Maßnahmen. Er vertrat jedoch oft die Ansicht, dass man zum gegenwärtigen Zeitpunkt erst das Geld annehmen solle und später nach Auswegen suchen müsse.
Was erzählen die Politiker ihrer Klientel?
Venizelos verkündete, dass er am Freitag die Urlaubsgelder der privat beschäftigten Griechen vor den Troikanern gerettet habe. Gleiches meinte Samaras, der über sein Pressebüro verbreiten ließ, dass die PASOK den Kampf um die Gehälter bereits aufgegeben habe.
Beglitis versuchte am Sonntagabend die versammelte Reporterschaft davon zu überzeugen, dass die PASOK nun gegen alle wirtschaftsschädlichen Maßnahmen vorgehen würde. Aus Karatzaferis Orakel wurde zumindest am Sonntag niemand wirklich schlau. Meint der Chef, dass ein Volksaufstand der Verarmenden verhindert werden müsse oder ist er gegen den Widerstand seiner Regierungspartner gegen die Troika? Fürchtet er um sein Volk, um den Euro, die EU oder alles zusammen? Schlussendlich vermittelten die drei Parteien das Bild einer heftig geführten Verhandlung, an deren Ende alles andere als eine Einigung stand.
Was meint der Premier?
Nachdem die drei Parteichefs von dannen gezogen waren, eilte kurz nach 21 Uhr ein Pressesprecher des Premiers zu den immer noch auf die angekündigte Stellungnahme Papademos wartenden Journalisten. Es wurden Fotokopien eines Statements verteilt. Demnach hatten sich alle geeinigt, dass:
- neue Maßnahmen (vulgo Steuern und Abgaben) in Höhe von 1,5 Prozent des Staatsetats nötig sind;
- die Lebensfähigkeit der Zusatzkassen gesichert werden muss;
- die Lohnkosten sinken müssen (Der bisher bereits nur eingeschränkt gezahlte Mindestlohn liegt bei 751 Euro brutto. Er soll auf 570 Euro brutto, somit in der Regel 450 Euro netto sinken. Für die Miete einer Einzimmerwohnung sind mindestens 200 Euro zu veranschlagen, Strom und Wasser kosten auch ohne Verbrauch allein an Mindestgebühren 30 Euro pro Monat, die in den überwiegend zu europäischen Handelsketten erhobenen Lebensmittel- und Verbrauchsartikelpreise gehören zu den teuersten in Europa.);
- die Banken so gestützt werden sollen, dass ihre unternehmerische Autonomie gewährleistet bleibt.
Kurzum, des Premiers Verkündigung widerspricht in nahezu allen Punkten den Äußerungen der Parteiverantwortlichen. Nur in einem sind sich alle einig. Am Montag geht es bei den Debatten der Parteichefs ebenso in die nächste Runde wie im Zusammenhang mit den Diskussionen zum Schuldenschnitt (PSI). Letzteres verkündete das Premierministerpresseamt nach Mitternacht. Beim Schuldenschnittpoker dabei waren erneut die Troikaner unter ihrem inoffiziellen Chef Thompsen.
So wie Papademos Tag begann, so endete er dann auch. Fotokopien gab es dafür nicht, denn das Reporterheer war größtenteils bereits davon geeilt. Es galt, sich für die neue Folge des immer gleichen Spiels zu rüsten.