Virengefahr für unser täglich Brot
Pflanzenviren bedrohen Roggen- und Weizenernten - Ernteausfälle von 50-70 % befürchtet
Der deutsche und europäische Getreideanbau steht möglicherweise vor einer handfesten Herausforderung, wenn nicht Bedrohung. In den nächsten Jahren könnten die Ernteerträge von Roggen und Weizen erheblich, und zwar bis zu 50 - 70 %, durch Pflanzenviren geschmälert werden. Dies behauptet zumindest ein Pflanzenvirologe der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA), Dr. Winfried Huth, in der aktuellen Ausgabe des "Nachrichtenblattes des Deutschen Pflanzenschutzdienstes" (Heft 8/2000), und damit immerhin in der Publikation einer staatlichen Einrichtung. Bereits in der Überschrift des Artikels heißt es warnend: "Im Getreidebau in Deutschland und in Europa wird eines der größten phytopathologischen Probleme erwartet: die bodenbürtigen Viren des Weizens und Roggens".
Der am BBA-Institut für Pflanzenvirologie, Mikrobiologie und biologische Sicherheit tätige Wissenschaftler hat die Ausbreitung von Pflanzenviren im Boden seit Ende der 80er Jahre kontinuierlich verfolgt. In einigen Roggenanbaugebieten Deutschlands sind die Felder vollständig mit zwei Arten von Pflanzenviren verseucht, die den Roggenertrag etwa um die Hälfte drücken. Bisher wurden die Viren in sieben Bundesländern festgestellt. Die weitere Ausbreitung der Viren auf andere Regionen werde nicht aufzuhalten sein. Huth geht davon aus, dass sie früher oder später in sämtlichen Roggenanbaugebieten auftauchen werden.
Bei den Viren handelt es sich um sogenannte Mosaikviren, das Wheat-spindle-streak-mosaic-virus und das Soil-borne-cereal-mosaic-virus, die meist gemeinsam im Boden auftreten und von einem Pilz, dem Polymyxa graminis, übertragen werden. Mosaikviren befallen den Erdboden bis in eine Tiefe von 70 Zentimetern. Wenn beim Pflügen die Erde aufwühlt wird, kommen die Pilze samt einsitzenden Viren an die Oberfläche der leichten Roggenböden, und mit einigen kräftigen Windstößen fliegen die Erreger übers Feld. Die Pilze dringen über die Wurzeloberfläche in die Getreidepflanzen ein und schleppen dabei die Viren mit ein. In die Getreidepflanzen eingedrungen wandern die Erreger bis in die oberirdischen Pflanzenteile und entziehen dem Stoffwechsel die Nährstoffe. Dadurch bilden die Pflanzen kürzere Halme aus und die Ähren tragen weniger Korn. Äußere Symptome der Krankheit sind hellgrüne Striche auf den Blättern.
Die Viren mindern nicht nur die Ernteerträge durch den direkten Nährstoffentzug, sondern verursachen auch eine geringere Frostresistenz des Getreides im Winter. Litten bisher vor allem Roggenpflanzen unter dem Virenbefall, so sieht der Wissenschaftler jetzt auch vermehrt Weizen im Visier der gefährlichen Erreger. Zur Einordnung: In Deutschland wird etwa dreimal mehr Weizen (auf 2,45 Mio. Hektar) als Roggen (747 000 Hektar) angebaut (1999). Bei Weizen beziffert Huth die möglichen Ernteausfälle obendrein noch höher als bei Roggen: auf 70 Prozent.
Begünstigt wird der Virenbefall durch mehrere, einander verstärkende Tendenzen. Der Viren-Transporter, der Pilz Polymyxa graminis, breitet sich naturgemäß bei wärmeren Temperaturen schneller aus (weshalb Weizenkulturen in wärmeren Ländern wie Italien und Frankreich auch bereits weitaus stärker befallen sind). In der Landwirtschaft geht der Trend hingegen ausgerechnet zu einer immer früheren Aussaat des Winterweizens. Ein übriges dürften die insgesamt immer milder werdenden Winter hinzutun.
Ein wirksamer Schutz vor den Mosaikviren ist bisher nicht in Sicht. In 70 Zentimeter Bodentiefe ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln weder ökologisch noch wirtschaftlich vertretbar. Anders als bei Gerste, die ebenfalls unter Pflanzenviren (Gelbmosaikviren) zu leiden hat(te), sind beim Weizen keine resistenten Sorten bekannt. Beim Weizen ist laut Huth eine Resistenzbildung kaum möglich, da es sich hier um zwei verschiedene Viren handelt, die ähnlich wirken, aber komplett unterschiedlich gebaut sind. Auch mit gentechnischen Methoden ist in den nächsten Jahren keine Züchtung resistenter Sorten zu erwarten.
Beim Roggen sieht es hingegen schon wieder etwas besser aus. Hier bieten virentolerante Sorten wie "Esprit" und "Fernando" möglicherweise Chancen zur Kreuzzüchtung. Die Züchtung solcher virenresistenten Roggensorten wird jedoch Jahre dauern. Beim Kampf gegen die Gelbmosaikviren im Gersteanbau wurden z.B. resistente Gerstesorten rein zufällig entdeckt. Die neuen Sorten sollen natürlich nicht nur virenresistent, sondern auch ertragreich sein: Die nachfolgende Züchtung zu einer auch ertragreichen Sorte dauerte bei der Gerste zehn Jahre. Für den menschlichen Organismus selbst sind die Viren ungefährlich, bei mangelnder agronomischer Gegenwehr können sie sich aber natürlich zu einem ernsthaften Nahrungsschädling und Nahrungskonkurrenten des Menschen ausweiten.
Noch handelt es sich bei dieser neuen Veröffentlichung im wesentlichen um Warnungen eines einzelnen Wissenschaftlers, die in Forschung, landwirtschaftlicher Praxis, Politik und Medien noch auf wenig Resonanz gestoßen sind. Weitere Ergebnisse und Erfahrungen müssen also abgewartet und beobachtet werden.
Für Panik sieht zum Beispiel Dr. Volker Zahn vom Pflanzenschutzamt Hannover keinen Anlass: "Viren tauchen im Getreideanbau immer wieder auf. Aber ihre Wirkung können wir nicht genau vorhersagen, da zu viele Faktoren zu berücksichtigen sind." Faktoren wie Klima, natürliche Selektion, Viren-Mutation könnten die Erreger wieder zurücktreiben. "Ich bin mit Prognosen generell vorsichtig, bisher hat sich die Natur immer zu wehren gewusst." Sorglos ist er jedoch über Huths Ergebnisse beileibe nicht: "Bisher galt Polymyxa graminis als Roggen-fixiert, sollte sich das geändert haben, wäre das natürlich bedenklich."