Vitaminsegen oder Agrarwüste

Foto: Susanne Aigner

Gesunde Äpfel? Vielfalt ist vom Aussterben bedroht

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Ob rote, gelbe, grüne oder süße und saure Äpfel - weltweit soll es etwa 20.000 Apfelsorten geben, 1.600 davon allein in Deutschland. Nur wenige Apfelsorten (Übersicht hier) werden in den Supermarktregalen angeboten: Sie heißen Granny Smith, Elstar, Glostar, Pink Lady, Golden Delicios und Braeburn.

Vom Aussterben bedroht, weil sie den EU-Normen nicht genügen

Weltweit beschränkt sich die Apfelzüchtung nur noch auf wenige Elternsorten. Die daraus hervorgehenden Kultursorten unterliegen zumeist kommerzieller Nutzung. Jüngere, wie Golden Delicous, der inzwischen als wichtigste gelbgrüne Apfelsorte im Welthandel gilt, sind nicht mehr als 100 Jahre alt.

Jonagold, eine der häufigsten Apfelsorten weltweit, wurde Anfang der 1940er Jahre in den USA aus den Sorten Golden Delicious und Jonathan heraus gezüchtet. Auch Elstar kommt bei uns relativ häufig vor. Als ein Abkömmling von Golden Delicious entstand er Mitte der 1950er Jahre in den Niederlanden.

Dem gegenüber lassen sich alte Kultursorten wie der Gravensteiner bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. In Deutschland einst weit verbreitet, sind viele dieser Sorten vom Aussterben bedroht, weil sie den EU-Normen nicht genügen.

Die Reduzierung auf nur wenige Apfelsorten geht auch mit einem Gen-Verlust einher, der gravierende Folgen haben kann. Werden zum Beispiel Elternsorten von Krankheiten befallen, stehen keine widerstandsfähigen und krankheitsresistenten Gene mehr zur Verfügung.

Lebendiger Genpool im Apfel-Museum

Das Pomarium Anglicum in Schleswig-Holstein will dieser Entwicklung entgegenwirken. Seit Mitte der 1980er Jahre sammelt der Apfelkundler Meinolf Hammerschmidt alte Apfelsorten. In der Nähe von Flensburg gründete er eine Baumschule, anfangs mit alten Sorten, die er im Dorf vorfand. Im Laufe der Jahre entwickelte sich aus der Baumschule ein beachtliches Freilichtmuseum mit 700 Apfel-, aber auch zahlreichen Birnen-, Kirschen- und Pflaumensorten sowie Themengärten, Gartenstuben und Laubengängen.

Der Pomologe will die standortgerechten, oft mehr als hundert Jahre alten Sorten für künftige Generationen erhalten. Da ist zum Beispiel die Perle von Angeln, welche früher von Bauern aus Angeln mit dem Kahn nach Flensburg gefahren und dort auf dem Markt angeboten wurde.

Oder der gutaussehende, jedoch mehlig und säuerlich schmeckende August-Kalvill, der schon im August grün-gelb vom Baum herunter leuchtet. Oder Philippas Apfel, ein Abkömmling des Gravensteiners, dessen aromatische dicke Äpfel ganz am Ende der Zweige sitzen und diese durch ihr Gewicht nach unten ziehen.

Alte Obstsorten sind nicht nur kräftig, hochwachsend und widerstandsfähig gegenüber Schädlingen und Erkrankungen. Sie gedeihen auch an sonnigen bis halbschattigen Standorten. Außerdem bieten sie Nistplätze für Singvögel, die in unseren Gärten immer seltener werden. So ist neben dem Insektensterben auch der Verlust an Lebensräumen eine Ursache für das Verschwinden einheimischer Singvögel.

Breite Sortenvielfalt verlängert die Apfelsaison

Äpfel sind vielseitig verwendbar. Manche entfalten erst nach einigen Wochen Lagerung ihr volles Aroma. Bei optimaler Lagerung sind Winteräpfel wie der schmackhafte Cox Orange auch noch im Februar und März genießbar. Mehlige Sorten sollten möglichst frisch gegessen werden, da sie bald an Geschmack verlieren. Andere, wie der Boskoop, eignen sich zum Backen, wieder andere lassen sich gut zu Saft oder zu Apfelmus verarbeiten.

Um Verarbeitungsprozesse zu erleichtern, sind auf Streuobstwiesen vor allem solche Sorten erwünscht, die möglichst gleichzeitig heranreifen. Der Pomologe Hans Joachim Bannier untersuchte 200 Apfelsorten auf Reifezeitpunkt und Eignung zum Streuobstanbau. Aus den Ergebnissen wird deutlich, wie groß das Erntezeitfenster für Äpfel sein könnte, würde man alle existierenden Sorten kultivieren.

Bereits Anfang August reifen die Klaräpfel heran - gefolgt von Gravensteiner, Reders Goldrenette oder dem Gelbem Richard im September. Die letzten - Undine, Melrose und Ontario - werden erst Anfang November reif. Oft kann man Fallobst noch bis Mitte November hinein auflesen und verarbeiten, bevor es in der herbstlichen Nässe am Boden verfault.

Alte Sorten sind besser verträglich

Äpfel gelten als gesund, denn sie sind voller Vitamine, Mineralien, Spurenelemente sowie kalorien- und fettarm. Allerdings sind die meisten der modernen Apfelzüchtungen auch krankheitsanfällig und pflegeintensiv - und sie können Allergien auslösen.

Rund zwei Millionen Menschen leiden hierzulande unter einer Apfelallergie. Und die ist häufig sortenabhängig. Supermarktklassiker wie Jonagold und Granny Smith führen bei Allergikern öfter zu unangenehmen Juckreizen. Eine Ursache ist ein Mangel an Polyphenol, eine aromatische Verbindung, welche die allergenen Stoffe im Apfel unschädlich macht und die bei neueren Züchtungen zugunsten des Aussehens und der Süße größtenteils herausgezüchtet wurde.

Ältere Sorten hingegen enthalten außer Polyphenol auch einen hohen Anteil an Antioxidantien, die das Immunsystem stärken und freie Radikale bekämpfen. Einer Umfrage des BUND Lemgo von 2017 zufolge lösten alte Sorten wie Boskoop, Gravensteiner, Weißer Winterglockenapfel oder der Finkenwerder Herbstprinz keinerlei allergische Reaktionen aus.

Die Unverträglichkeiten beim Genuss von Braeburn, Elstar, Granny Smith und Golden Delicious dagegen waren deutlich höher. Allergikern wird außerdem geraten, Äpfel möglichst frisch zu essen, denn je länger ein Apfel lagert, desto höher wird der Allergengehalt. Auch sind rote Äpfel offenbar besser verträglich als grüne.