Vitaminsegen oder Agrarwüste

Seite 2: Industrielle Apfelproduktion geht nur mit Pestiziden

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Obwohl das Klima für den Apfelanbau hierzulande ideal ist, deckt Deutschland seinen Bedarf an Äpfeln nur etwa zur Hälfte selbst. Während jedes Jahr zahllose Äpfel in Gärten, an Landstraßen oder auf verwilderten Streuobstwiesen vergammeln, kaufen die meisten Menschen ihre Äpfel noch immer im Supermarkt.

Die Früchte kommen aus dem industriellen Anbau in Italien, Neuseeland, Chile und Südafrika. Wichtiges Anbaugebiet in Deutschland ist die Region rund um den Bodensee. Von hier kommt knapp ein Drittel der deutschen Obstversorgung - 300.000 Tonnen Äpfel im Jahr, von denen sich etwa 12 Millionen Konsumenten ernähren.

Dies entspricht etwa einem Drittel der Produktion in Südtirol. Mit einer Million Tonnen Äpfel im Jahr werden etwa 300 Millionen Euro Umsatz erzielt. Tausende Apfelbäumchen stehen, an Spaliere gebunden, in Reih und Glied. Ihre Stämme sind bis auf einen kümmerlichen Rest weggezüchtet.

Die Äpfel sind sauber und makellos, werden sie doch bis zu 20 Mal im Jahr mit Pestiziden behandelt. Im größten geschlossenen Apfelanbaugebiet Europas setzen der Südtiroler Bauernbund mitsamt den rund 8000 Apfelbauern auf "Integrierten Pflanzenschutz". Die Dosis werden auf den Schädlingsbefall abgestimmt, heißt es. Weil ab 25° C die thermische Abdrift größer ist, werden manche Mittel nachts ausgebracht, denn dann ist es kühler und vor allem windstill. Doch auch der Integrierte Anbau funktioniert nicht rückstandsfrei.

Im Gegenteil - er hinterlässt Spuren im Obst, Gemüse und Getreide. Eine Greenpeace-Studie von 2015 wies Pestizidrückstände in 90 Prozent von 126 Apfelproben aus europäischen Anbaugebieten nach. Im Gegensatz dazu enthielten die untersuchten Bio-Äpfel keinerlei Rückstände.

Die Chemikalien stehen nicht nur im Verdacht, das Erbgut zu schädigen, sie werden auch mit einer Reihe chronischer Erkrankungen in Verbindung gebracht. Außerdem sind sie eine weitere Ursache für allergische Reaktionen. Oft zeigen die ausgebrachten Mittel erst nach Jahrzehnten gesundheitsschädliche Auswirkungen. Ungewiss ist auch, ob die Pestizide Auswirkungen auf nachfolgende Generationen haben.

Mals: Pestizidfreies Dorf inmitten von Monokulturen

Lange Zeit galt die Gemeinde Mals mit seinen zehn Ortsteilen im nördlichen Vinschgau als idyllisches Urlaubsparadies - bis die Obstbauern mit ihren Apfel-Plantagen immer näher ans Dorf heranrückten. Immer mehr Weiden und Wiesen wurden in Obstplantagen umgewandelt. Betonsäulen, Hagelschutznetze und Folien würden die Landschaft komplett verändern, fürchten die Einwohner.

Denn die Spuren des feinen Nebelstaubs werden kilometerweit vom Wind transportiert, bis hoch in die Gletscherregionen trägt ihn der Sog der Thermik. Auch das Wasser, über Beregnungsanlagen verteilt, spült Pestizidrückstände in den Boden, wo es das Grundwasser gefährdet. Selbst das Heu der ansässigen Biobauern wies Spuren von Chemikalien auf.

In Laboruntersuchungen wurden in den Anbaukulturen rund um Mals bis zu zehn verschiedene Pestizide nachgewiesen. Neben den Äpfeln seien Erdbeeren am schlimmsten belastet, klagt der ortsansässige Apotheker im Interview mit dem SWR.

Das Problem besteht vor allem darin, dass überall dort, wo die Abdrift von Chemikalien auf umliegende Bio-Äcker fällt, ein ökologischer Anbau von Getreide, Gemüse und Kräutern nicht mehr möglich ist. Zwar erließen die Behörden entsprechende Regelungen: So muss ein Landwirt einen Sicherheitsstreifen von drei Metern Breite unbehandelt lassen.

Im Gegenzug darf der angrenzende Bio-Bauer seine Produkte, die auf den ersten drei Metern wachsen, nicht als "Bio" verkaufen. Auf diese Weise aber seien die Biobauern gezwungen, konventionell zu arbeiten, kritisiert Ulrich Veith, Bürgermeister in Mals, im Interview mit dem SWR.

Die Malser ließen nichts unversucht, um mit den konventionellen Apfelbauern ins Gespräch zu kommen. Unterm Strich hat es nichts gebracht: Es wurde weiter gespritzt. Nach langer Überlegung führte die Gemeinde im Jahr 2014 eine Volksabstimmung durch. Bürgerinnen und Bürger entschieden sich damals mit großer Mehrheit gegen die Anwendung von Pestiziden.

Mit der neuen Verordnung des Pestizid-Verbotes haben sie ein Zeichen gesetzt. Nicht nur gegen die Pestizide - die Gemeinde gilt seither auch als Bastion der Basisdemokratie. Von weither reisen Menschen an, um ihren Widerstand zu bewundern. Doch das Lob kommt vorwiegend aus dem Ausland. Von der einheimischen Apfelindustrie werden die Malser eher angefeindet.