Völkermord an den Armeniern
Seite 2: Die Planung und Beteiligung der Deutschen am Genozid
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Im seinem oben genannten Buch lässt der Autor Jürgen Gottschlich auch ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte lebendig werden. Er reiste an die Orte der damaligen Ereignisse, befragte Nachkommen der betroffenen Familien und durchforstete türkische und deutsche Archive. In seiner historischen Reportage zeigt er, wie die Deutschen von Anfang an in das Geschehen involviert waren und den Genozid mit vorangetrieben haben.
Kein Deutscher wurde jemals für seine Beteiligung am Völkermord zur Verantwortung gezogen, im Gegenteil, viele der Protagonisten brachten ihre 'Erfahrungen' im NS-Staat bei der Judenverfolgung ein. Deutschland bot später den türkischen Hauptverantwortlichen Schutz, indem sie nach dem 1. Weltkrieg in Deutschland untertauchen konnten.
Nachdem zur Kolonialzeit England und Frankreich große Territorien in Asien, Afrika und im Orient erobert hatten und Deutschland mit Togo und Deutsch-Südwestafrika in ihren Augen nahezu leer ausgegangen war, strebte Deutschland im Ersten Weltkrieg die Vorherrschaft im Vorderen Orient an. Dazu bediente es sich seines Bündnispartners, des Osmanischen Reiches. Das Osmanische Reich hatte schon lang geschwächelt und zudem gab es britische Überlegungen, dieses Reich zu zerschlagen.
Mit dem Bau der Bagdadbahn unter Beteiligung der Deutschen Bank, konnte Deutschland sein Konzept umsetzen, im Osmanischen Reich als ökonomischer und militärischer "großer Bruder" zu agieren.
Durch den Bündnisvertrag zwischen dem Deutschen Kaiserreich und dem Osmanischen Reich für die Waffenbrüderschaft im Kriege wurden der deutschen Militärmission weitgehend die osmanischen Streitkräfte unterstellt. Die Macht über die Truppe lag damit beim jungtürkischen Kriegsminister Enver Pascha - einem der Hauptverantwortlichen für den Völkermord - und einer Gruppe zum Teil äußerst anti-armenisch eingestellter deutscher Generäle und Admiräle.
Nikolaus Brauns
Die Armenier-feindliche Haltung der osmanischen Regierung und des Militärs wurde von den Deutschen unhinterfragt übernommen und die Deportation mit organisiert.
Auch an der Logistik der Deportationen war das deutsche Militär beteiligt: Oberstleutnant Böttrich, der Chef des Verkehrswesens der Eisenbahnabteilung unterzeichnete im Oktober 1915 einen Deportationsbefehl armenischer Arbeiter der Bagdadbahn, die schon Anfang 1915 als Transportmittel für Deportationen diente. Franz Günther, Vizepräsident der Anatolischen Eisenbahn-Gesellschaft, schrieb denn auch am 17. August 1915 an den Sprecher des Vorstandes der Deutschen Bank6:
Man muss in der Geschichte der Menschheit weit zurückgehen, um etwas Ähnliches an bestialischer Grausamkeit zu finden wie die Ausrottung der Armenier in der heutigen Türkei.
Wenige Jahre später haben die Deutschen im Nationalsozialismus diese Grausamkeiten zur Perfektion gebracht. Jürgen Gottschlich zitiert in seinem Buch den Leiter der Operationsabteilung im türkischen Großen Hauptquartier, Otto von Feldmann, der nach dem Krieg im Juni 1921 einer Zeitung berichtete, was er und andere deutsche Offiziere mit den Deportationen zu tun gehabt haben:7
Es soll und darf aber nicht geleugnet werden, daß auch deutsche Offiziere - und ich selbst gehörte zu ihnen - gezwungen waren, ihren Rat dahin zu geben, zu bestimmten Zeiten gewisse Gebiete im Rücken der Armee von Armeniern freizumachen. Die Pflicht der Selbsterhaltung der türkischen Front zwang einfach dazu.
Gottschlich reiste auch im Rahmen seiner Recherchen nach Zeitun, dem heutigen Süleymanli, ein damals armenisches Dorf in der Nähe von Kahramanmaras. Anfang April 1915 leisteten ca. 600 Armenier, die sich in einem Kloster verschanzt hatten, vergeblich Widerstand gegen 4000 Soldaten. Major Eberhard Graf Wolffskeel von Reichenberg, Stabschef des stellvertretenden Kommandeurs der IV.Armee, Fahri Pascha, war mit vor Ort. "Fahri Pascha ordnete dabei die Deportation der gesamten armenischen Bevölkerung von Zeitun und den umgebenden Dörfern an, deren Augenzeuge Wolffskeel anschließend wurde...Zeitun wurde so zum Ausgangspunkt für die Tragödie der Armenier im Osmanischen Reich."8
Wolffskeel widmete sich nach Gottschlich der "Niederschlagung angeblicher armenischer Aufstände mit besonderer Hingabe. Es gab nur fünf Orte im gesamten Osmanischen Reich, an denen sich Armenier 1915 dem drohenden Genozid ernsthaft widersetzten, und an dreien davon war Wolffskeel entscheidend bei der Niederschlagung des Widerstands beteiligt..."9
Anfang Juli 1915 war Wangenheim klar, dass es bei der Deportation um Vernichtung ging. Pro Forma protestierte er beim Großwesir, gleichzeitig teilte er dem Reichskanzler mit, dass dieser förmliche Protest nur für die Akten sei, damit es nicht den Anschein gewänne, die Deutschen seien an der Vernichtung der Armenier beteiligt.
Graf von Metternich, Botschafter in Konstantinopel, war der Ermordung der Armenier kritisch gegenüber eingestellt. Er schlug dem Reichskanzler vor, der Türkei mit Sanktionen zu drohen, wie bspw. den Nachschub an Waffen zu stoppen und wenigstens in der deutschen Presse den Unmut über die Armenier-Verfolgung zum Ausdruck kommen zu lassen. Reichskanzler Bethmann hat dies zurückgewiesen mit der Begründung, die Türkei sei als Verbündeter wichtiger als die Armenier. "...Unser Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht."10
Die Vernichtung der Armenier war bis Herbst 1917 weitgehend vollzogen. Von zwei Millionen Armeniern im Osmanischen Reich waren rund 1,5 Millionen tot und die meisten Überlebenden nach Russland, Libanon oder Palästina emigriert.