Völkermord an den Armeniern

Seite 3: Die Bundesrepublik heute: Wie steht es mit der Aufarbeitung?

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Die Nichtanerkennung dieses Völkermordes reiht sich ein in die deutsche Geschichte der Vernichtung und Diskriminierung anderer Völker, erinnert sei hier z.B. an die Leugnung des Genozids an den Hereros. Die rot-grüne Bundesregierung erklärte 2001 auf eine Kleine Anfrage der PDS, dass "die Frage der Bewertung der Massaker an den Armeniern 1915/1916 im Wesentlichen eine historische Frage und damit Gegenstand der Geschichtswissenschaft und in erster Linie Sache der betroffenen Länder Armenien und der Türkei" sei.11

Auch in der gemeinsamen Resolution von SPD, CDU/CSU, FDP und Grünen im Jahre 2005 zum 90 jährigen Gedenken an das Armenier-Massaker, wurde mit Rücksichtnahme auf den NATO-Partner Türkei der Genozid nicht als solcher bezeichnet und die deutsche Beteiligung nicht erwähnt, lediglich "die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das angesichts der vielfältigen Informationen über die organisierte Vertreibung und Vernichtung von Armeniern nicht einmal versucht hat, die Gräuel zu stoppen" wurde in der einleitenden Entschließung erwähnt.12

Gottschlich hält dazu abschließend fest, dass der Bundestag zwar eingesteht, dass Deutschland als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reiches in 'diese Vorgänge tief involviert war.', dieses Kapitel der Geschichte aber auch in Deutschland bis heute nicht befriedigend aufgearbeitet wurde.13 Der Autor und Historiker Michael Hesemann konstatiert 2014 in seiner Ansprache anlässlich des Gedenktages in der Armenischen Kirche in Köln:

…Umso größer ist heute die Verantwortung, das Versagen der damaligen Reichsregierung schonungslos aufzuklären. Gerade weil unser damaliger Verbündeter, die Türkei, diese Verbrechen beging, dürfen wir uns heute nicht von eben dieser Türkei verbieten lassen, ihrer Opfer zu gedenken. Der Völkermord von 1915, der Adolf Hitler das Vorbild zu dem größten Verbrechen des Nationalsozialismus, der Schoa, lieferte, ist zu wichtig und zu schrecklich, um in den Geschichtsbüchern zu fehlen. Ihn zu leugnen hieße, auch weiterhin die islamofaschistischen Täter zu schützen. Das aber muss endlich ein Ende haben, das sind wir mutigen Männern wie Kardinal von Hartmann schuldig, die damals schon kein Blatt vor den Mund nahmen und die Mächtigen aus der Politik aus ihrem christlichen Gewissen heraus mit der unbequemen Wahrheit konfrontierten. Dass diese immer noch verschwiegen wird, aus falscher Rücksicht auf das Regime in Ankara, ist eine Schande und befleckt nach wie vor den deutschen Namen. Nie mehr darf dieses bestialische Menschheitsverbrechen geleugnet werden. Nie wieder!"

Heute, da sich der Genozid zum 100sten Mal jährt, und sich die Bundesregierung in der Beantwortung einer kleinen Anfrage der Linkspartei zur Aufarbeitung der Ereignisse 1915/1916 wiederholt damit herausredet, dass eine Bewertung der Ergebnisse Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vorbehalten bleiben sollte und in erster Linie Sache der betroffenen Länder Türkei und Armenien sei, zeigt, dass sich die Bundesregierung nach wie vor dieser Verantwortung entzieht. Dies zeigt sich auch darin, dass sie niemand nach Jerewan/Armenien zur diesjährigen 100 jährigen Gedenkfeier schickt.

Am 24.4.2015 - dem offiziellen Jahrestag des Beginns des Genozids - wird im Bundestag ein Antrag der Fraktion der Linken debattiert werden, worin der Bundestag aufgefordert wird, die Vernichtung der Armenier als Völkermord zu bewerten, so wie dies auch schon Schweden, die Schweiz, Griechenland und die Slowakei tun.

Die europäische Volkspartei, die größte politische Gruppe des Europaparlaments, hat am 7.3.2015 eine Resolution verabschiedet, die den Völkermord an den Armeniern verurteilt, und die Türkei aufruft, ihn als solchen anzuerkennen. Die Bundesregierung könnte diese Resolution unterstützen.

Allerdings besteht wenig Hoffnung, dass sie sich der historischen Verantwortung stellt, - schon allein deswegen, damit keine Entschädigungsforderungen und damit Kosten auf die heutige Regierung zukommt. Insofern ist es nachvollziehbar, aber zu kritisieren, dass sich die Bundesregierung in der Armenierfrage herauswindet.