Völkerrecht: Sittenregel für Gewalthaber
Seite 3: Das Völkerrecht ist auf der Seite der "Guten"
- Völkerrecht: Sittenregel für Gewalthaber
- Gewaltverbot für Staaten? Alle unterschreiben es, aber keiner hält sich dran
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Aber auch diese Aussage von Ex-US-Präsident Barack Obama aus dem Jahr 2014 über Russland kam nicht ohne den Hinweis aufs Völkerrecht aus. Das militärische Vordringen auf der Krim und ihre Abtrennung von der Ukraine sei ein Bruch des Völkerrechts. Und sein russischer Amtskollege verwies acht Jahre später auch auf das Völkerrecht. Es sei um die Verhinderung eines Genozids gegangen.
Dabei handelt es sich auf beiden Seiten zwar auch um mehr oder minder gelungene Public Relations. Der eigene Staat gehört zu den Guten in der Welt. Er sorgt dafür, dass den Bösen das Handwerk gelegt wird. Und da mit den Bösen nicht zu reden ist – deswegen sind es ja Böse! – bleibt nur die Sprache der Gewalt.
Von Zwecken, die Staaten in der Konkurrenz gegeneinander verfolgen, um wirtschaftlichen Erfolg und den dafür nötigen machtvollen Einfluss, ist, wenig überraschend, nicht die Rede.
Freibrief zum Zuschlagen: das "Recht auf Selbstverteidigung"
Die Argumentation geht indes über Propaganda hinaus: Wer auf der Seite des Völkerrechts steht, ist zur Anwendung von Gewalt gegen die Rechtsverletzer berechtigt. Er sorgt doch nur dafür, dass das Völkerrecht beachtet wird! Das dort verankerte "Recht auf Selbstverteidigung" stellt sich dabei als sehr nützlich heraus.
So segnete der Sicherheitsrat 2001 den Angriff der NATO unter Führung der USA auf Afghanistan ab, mit den Stimmen von Russland und China – die sich beide damals noch nicht im offenen Gegensatz zur beherrschenden Weltmacht stellen wollten.
Der Anschlag von Terroristen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 wurde als "Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" verurteilt. Also durften die US-Amerikaner einen Staat überfallen, der ihnen zwar keinen Krieg erklärt hatte und auch nicht hinter den Attentaten stand. Der aber nicht der ultimativen Forderung der USA Folge geleistet hatte, den mutmaßlichen Kopf des Attentats, Osama bin Laden, auszuliefern.
So buchstabierte sich für die Weltmacht Nr. 1 eben "Weltfrieden", und tut es bis heute: Wer die Freiheit dieser Nation infrage stellt, mit ihrem Kapital und ihrer es flankierenden Gewalt die Staatenwelt in ihrem Sinne zu "ordnen", sprich auf Linie zu bringen, bekommt es zu spüren.
Börse der Diplomatie UNO: Wer ist für uns, wer ist gegen uns?
Die Bühne der "Vereinten Nationen" bietet dazu die praktische Abfrage, welche Staaten bei welchen laufenden Konflikten Position im eigenen Sinne beziehen, und welche eher neutral sind, oder, schlimmer, eine abweichende Haltung einnehmen. Die Bemühungen zum Beispiel, in der UNO eine Mehrheit für die Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine zu bekommen, haben darin ihren Grund. Die Versammlung fungiert als diplomatische Börse.
Faktisch sind diese Resolutionen, gleich, wie sie ausgehen, nicht von Belang. Der Krieg geht weiter. Aber das Bild ist klar: Wer ist für uns, wer laviert, wer steht auf der falschen Seite? Entsprechend wird auf Abweichler "zugegangen", mit dem Hinweis auf politische und wirtschaftliche Nachteile, falls die Abweichung Bestand hat.
Wenn man kein Mandat der "Völkergemeinschaft" zum Zuschlagen im "gemeinsamen Interesse" erhält, kann man sich auch darüber hinwegsetzen – im Namen des Völkerrechts. Man gibt sich als eigentlicher Wahrer des Völkerrechts, kritisiert eine unfähige UNO.
Das kann sich natürlich nur eine Weltmacht leisten dank einer Streitkraft, die keinen Widerspruch duldet. So geschehen durch die NATO im Jugoslawien-Krieg 1999, später durch die USA im Irak, unterstützt von ihren westlichen Verbündeten.
Es könnte so schön sein: Kriegsziel ohne Krieg erreichen
Das Völkerrecht erscheint im Angesicht einer Welt, in der Nationen erbarmungslos um Macht und Reichtum konkurrieren, als schlechter Witz: Bei der Verfolgung ihrer einander ausschließenden Interessen sollen die Nationen möglichst auf den Einsatz von Waffen verzichten.
Sonst ist alles erlaubt und gilt als "friedlich" – also die Ausbeutung von Ressourcen und Menschen, die Verarmung der Mehrheit auf dem Globus, Hunger- und Umweltkatastrophen. Um diesen "friedlichen" Zustand allerdings zu erhalten, ist eine Menge Gewalt vonnöten – damit sich die Verlierer der Konkurrenz in der Staatenwelt das alles gefallen lassen.
Vor allem aber wird die Gewalt von den Gewinnern gebraucht: Denn die streiten ja untereinander unablässig gerade darum, wer die meisten Pfründen aus der Benutzung der Staaten der zweiten bis letzten Reihe bezieht. Derzeit also die USA, in deren Schlepptau die EU mit Deutschland sowie China und Russland.
Das letzte Mittel bleibt die Gewalt
Als Sittenregel für das Benehmen von Staaten formuliert das Völkerrecht ein Ideal: Konflikte sind ohne Krieg zu klären, auch wenn sie noch so kriegsträchtig sein mögen. Und das ist kein Witz, sondern ernst gemeint.
Schließlich bedeutet Krieg für jeden Staat ein enormes Risiko. Selbst bei einem Sieg hat der Gewinner Schaden erlitten, sich verschuldet, Geld unproduktiv ausgegeben, und Teile seines Volks haben ihr Leben gelassen, fallen für weitere staatsdienliche Benutzung aus. Bei einer Niederlage fällt diese Bilanz entsprechend schlechter aus.
Da ist es doch umso erstrebenswerter, sich diese Kosten zu sparen – und ganz friedlich Widerstände unbotmäßiger Nationen gegen natürlich immer gerechtfertigte eigene staatliche Interessen zu überwinden. Die Legitimation liefert das Völkerrecht. Das letzte Mittel aber bleibt die Gewalt.
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