Völkischer Zorn
Seite 2: Angriffe und Anschläge nehmen zu, die virtuellen Brandstifter verstärken den Gewaltkontext
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- Angriffe und Anschläge nehmen zu, die virtuellen Brandstifter verstärken den Gewaltkontext
- Die Feindbilder austauschbar
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Binnen weniger Monate schienen sich im Zuge von Pegida und HoGeSa teilweise seit langem als Neonazis und Hooligans bekannte Personen einer "Old School Society" via Web zu radikalisieren, so dass die Behörden die Gruppe hochnahm. Es hieß, dies sei geschehen, weil man Angst habe, dass die Kleingruppe bald völlig durchdreht.
Attacken und Anschläge nehmen zu, im ersten Halbjahr 2015 erreichten sie schon das Niveau von 2014 und "Spiegel Online" publiziert nun eine Karte mit den Orten der Schande. Zuvor schon hatten Neonazis eine Karte via Google verbreitet, auf der sie markiert hatten, wo etwa alles Asylbewerberunterkünfte zu finden sind in Deutschland. Egal, wie jene Karte gedacht war, für Menschen, die nach Zielen suchten, um ihrer Wut - wie auch immer - freien Lauf zu lassen, war sie ein nützlicher Wegweiser und machte den prähistorisch über Telefonbücher und später mittels des frühen Internets zusammengetragenen NSU-Zettelkasten überflüssig.
Auch die Agitation rechter Parteien und Gruppen oder von Vertretern aus dem Pegida-Umfeld in Freital beruhigt keineswegs die Lage, sie stachelt etwaigen "Volkszorn" nur weiter an. Längst sind diese besorgten Bürger nicht mehr vom Personaltableau eines echten Naziaufmarschs zu unterscheiden. Wer nicht beim Straßenkampf aktiv wird, sitzt am heimischen Rechner und läuft Amok mittels eines Shitstorms.
Til Schweiger hatte erst kürzlich mit diesem "empathielosen Pack" seine helle Freude, wobei manche Medien tatsächlich glaubten, der Schauspieler habe seine "Fans beschimpft" - dabei dürften die meisten, die via Facebook Schweiger den Krieg erklärten, einer virtuellen Reisegruppe rassistischer Schreibtischtäter angehören, die von Profil zu Profil, von Gruppe zu Gruppe jumpen.
Jener "Schwarm", der nahezu in Sekundenschnelle mobilisiert werden kann und echte oder vermeintliche Gegner virtuell niederknüppeln will, ist nämlich das, was Zink, der Leiter des Instituts für inderdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, gegenüber dem WDR beschrieb als Selbstradikalisierung von Menschengruppen via Internet. "Es ist eigentlich so, dass sie meinen, die Volksmeinung zu vollstrecken und ihre Community die Wahrheit gepachtet hat", umschrieb der Extremismusforscher das Phänomen. In dem Falle fliegen also weder Fäuste noch Brandsätze, hierbei will man gemütlich und irgendwie anonymer als üblich vom heimischen Küchentisch oder dem Schreibtisch im Büro aus verbal jene vernichten, die einem selbst nicht ins Weltbild passen.
Es sind oft also jene Leute, die behaupten, Medienvertreter seien ständige Lügner, die aber selbst keine Probleme damit haben, zu verbreiten, dass Anschläge wie in Tröglitz ein Versicherungsbetrug gewesen seien und bar jeder Realität verbreiten, "Biodeutsche" hätten heute in Deutschland keine Rechte mehr und seien eine unterdrückte Minderheit.
Tatsächlich trifft man in jenen Kreisen auch Frauen an, die in Facebook-Gruppen fast jedes Katzenfoto mit "süß" kommentieren oder liken, jede Nachricht über ein entlaufenes Tier als sehr schlimm für die Halter und das Tier einstufen - zugleich aber über Asylbewerber im menschenfeindlichen Duktus herziehen und teils befürworten oder sogar dazu aufrufen, dieses "Pack" zu bekämpfen. Beate Zschäpe in virtuell sozusagen.
Der Begriff Terror kann vielerlei Bedeutungen haben. Die Serie von Brand- und Mordanschlägen im Deutschland der 1990er Jahre waren streng genommen schon eine Terrorserie. Wörterbücher erklären zum Begriff "terrorisieren", dieses Handeln sei einerseits das Durchsetzen des eigenen "Willens" mit Gewalt, das Schaden von anderen durch Gewalt und das Stören von Menschen durch "penetrante Aufdringlichkeit". So gesehen hat Zink also Recht, längst agieren rechte Parteien und die Internet-SA im Sinne des Terrors.