"Volksrepubliken" Donezk und Lugansk: Friedensversprechungen und rauer Alltag
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In den letzten Wochen gab es nach Angaben aus der "Volksrepublik Donezk" zunehmende Beschießungen durch die ukrainische Armee. Von dem am Mittwoch vereinbarten Waffenstillstand verspricht sich Präsident Selenski offenbar einen Schub für seine Partei bei den Parlamentswahlen
Am Mittwoch hatte die die Kontaktgruppe in Minsk, an der Vertreter der Ukraine, der "Volksrepubliken" Lugansk und Donezk, Russlands und der OSZE teilnehmen, eine ihre "ertragreichsten Sitzungen", meldete die russische Nachrichtenagentur Ria Novosti. Die Kontaktgruppe vereinbarte, dass in der Nacht auf den 21. Juli für die umkämpfte Region um Donezk und Lugansk eine "vollständige" und "zeitlich unbegrenzte" Waffenruhe beginnen soll. Wenn eine Seite die Waffenruhe verletzt, soll sie sich vor der OSZE verantworten müssen.
Auf der Sitzung der Kontaktgruppe vereinbart wurde außerdem der Austausch von Gefangenen. Zurzeit befinden sich 69 Gefangene aus der Ukraine in den "Volksrepubliken" und 208 Gefangene aus den "Volksrepubliken" in der Ukraine.
Vereinbart wurde außerdem die Reparatur des 2015 von der Ukraine zerstörten Brückenteils am Grenzkontrollpunkt Staniza Luganskaja. Durch die teilweise Zerstörung der Brücke war es vor allem für ältere Menschen ohne Hilfe unmöglich geworden, die Grenze zu überqueren (OSZE-Video).
Es sollen auch befestigte militärische Anlagen an dem Grenzkontrollpunkt abgerissen und eine neutrale Zone eingerichtet werden. Bereits Anfang Juli war es unter Vermittlung der OSZE gelungen, dass beide Seiten ihre schweren Waffen vom Grenzkontrollpunkt Staniza Luganskaja abziehen.
Wird die Waffenruhe auch nach den Parlamentswahlen halten?
Waffenruhen waren in Minsk schon häufiger beschlossen worden, doch man hielt sie nach kurzer Zeit nicht mehr ein. Dass es am Mittwoch zu dieser Einigung kam, hat wohl vor allem mit den ukrainischen Parlamentswahlen am 21. Juli zu tun. Für die vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski gegründete Partei "Diener des Volkes", welche nach Umfragen fast die Hälfte der Stimmen bekommt, ist die Ankündigung einer Waffenruhe ein starkes Argument, um Wähler an die Wahlurne zu mobilisieren.
Zu der vereinbarten Waffenruhe erklärte Dmitri Peskow, der Sprecher des russischen Präsidenten: "Das ist sehr wichtig. Wir hoffen, dass diese Vereinbarung gefestigt wird durch konkrete Maßnahmen gegen den Bruch des Waffenstillstands und für die Sicherstellung der allgemeinen Waffenruhe."
Am 11. Juli hatten Putin und der ukrainische Präsident Selenski telefoniert. Bei dem Telefongespräch welches auf Initiative von Selenski zustande kam, ging es um eine Regulierung des Konfliktes in der Ost-Ukraine.
Beschießungen durch ukrainische Streitkräfte waren in letzter Zeit intensiver geworden
Der Präsident der "Volksrepublik Donezk" (DNR) Denis Puschulin sagte am 11. Juli, es gäbe, obwohl die ukrainische Armee ihre Truppen nahe dem Grenzkontrollpunkt Staniza Luganskaja von der "Kontaktlinie" abgezogen habe, an den übrigen Abschnitten der Kontaktlinie "massiven Beschuss von Wohnhäusern und Objekten der zivilen Infrastruktur" durch die ukrainische Armee. Die Situation habe sich sogar "verschlechtert".
Das Dorf Krasnoarmejskoje im Süden der DNR sei aufgrund "ununterbrochener Beschießungen fast vollständig zerstört. Auf diesen Ort habe die ukrainische Armee "in den letzten Tagen 71 Artilleriegeschosse vom Kaliber 152 Millimeter abgeschossen". Am 14. Juli meldeten die DNR-Militärs, die ukrainische Seite habe 40 Granaten auf die Vororte der im Norden der DNR gelegene Stadt Gorlowka abgeschossen.
Ukrainische Spezialeinheit entführt Kommandeur aus der Volksrepublik Donezk
Gefahr droht den Volksrepubliken nicht nur an der "Kontaktlinie", welche die "Republiken" von der Ukraine trennt, sondern auch im Innern. Ukrainische Spezialeinheiten haben - nach Angaben der DNR-Sicherheitsbehörden - in den vergangenen drei Jahren drei bekannte DNR-Kommandeure liquidiert, Arsen Pawlow (genannt "Motorola"), Michail Tolstych ("Givi") und DNR-Präsident Aleksandr Sachartschenko.
Möglich sind diese Terrorakte, weil es zu den "Volksrepubliken" vom Gebiet der Ukraine einen freien Zugang und Abzug gibt. An den Grenzkontrollpunkten gibt es täglich regen Verkehr. Zivilisten aus der Ukraine können die "Volksrepubliken" zu Fuß oder mit dem Auto über Grenzkontrollpunkte besuchen. Auch Bürger der "Volksrepubliken" besuchen ihre Verwandten in der Ukraine oder holen sich in der Ukraine ihre Renten ab. Viele DNR-Bewohner haben auch Datschen auf der anderen Seite der "Kontaktlinie".
Am 27. Juni 2019 feierte der ukrainische Geheimdienst einen neuen Triumph. Im Gebiet der international nicht anerkannten "Volksrepublik Donezk" (DNR) wurde der ehemalige Kommandeur der DNR-Luftabwehr, Wladimir Zemach, von einer ukrainischen Spezialeinheit gefangen genommen und nach Kiew entführt, wo er sich seitdem in Haft befindet (Spektakuläre Geheimdienstaktion).
Wladimir Zemach wohnte in der Stadt Sneschnoje. Nicht weit von dieser Stadt wurde am 17. Juli 2014 das malaysische Passagierflugzeug MH 17 abgeschossen. Der gefangen Genommene ist nach Meinung ukrainischer Sicherheitsorgane "ein Zeuge" im Fall des abgeschossenen malaysischen Passagierflugzeuges MH 17.
Die ukrainischen Behörden werfen dem Entführten "die Bildung einer terroristischen Gruppe" vor. Zemach wurde vorerst zu zwei Monaten Haft verurteilt. Vertreter des internationalen Roten Kreuzes wurde ein persönliches Treffen mit Zemach verwehrt, teilte die Tochter des Entführten mit.
Der Name von Zemach findet sich nicht unter den vier von den niederländischen Behörden für den Abschuss der malaysischen Passagiermaschine genannten Verdächtigen. Die russischen Behörden gehen davon aus, dass das Passagierflugzeug von einer ukrainischen Buk abgeschossen wurde. Die Entführung von Zemach - drei Wochen vor dem fünften Jahrestag des Absturzes der MH 17 - legt nahe, dass die ukrainischen Behörden erneut "beweisen" wollten, dass Russland und pro-russische Separatisten für die Katastrophe vom 17. Juli 2014 verantwortlich sind.
Am 15. Juli hielt DNR-Präsident Puschilin eine Beratung mit Vertretern der DNR-Sicherheitsorgane ab, auf der er erklärte, die Tätigkeit des ukrainischen Geheimdienstes habe sich "wesentlich verstärkt". Die Ereignisse der letzten Tage zeigten, "dass der Feind uns näher ist, als wir denken". Diese Äußerung war offenbar eine Anspielung auf die Entführung des ehemaligen DNR-Kommandeurs Wladimir Zemach.