"Volksrepubliken" Donezk und Lugansk: Friedensversprechungen und rauer Alltag

Seite 2: Eine Frau aus Donezk erzählt: Ich höre die Schüsse in der Innenstadt

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Wie das Leben heute in Donezk ist, frage ich Olga. Die etwa 55 Jahre alte Frau, die ihr ganzes Leben in Donezk wohnte, antwortet: "Es ist schwieriger geworden. Es wird wieder geschossen." Gemeint sind die Beschießungen an der sogenannten "Kontaktlinie", der Front also, die am nördlichen Stadtrand von Donezk verläuft.

Olga lebt seit einiger Zeit in Moskau, wo sie sich Geld als Verkäuferin verdient. "Die Stadt Donezk ist leerer geworden", sagt sie. "Viele sind nach Kiew, Moskau, St. Petersburg oder auf die Krim gefahren, um Geld zu verdienen. Immerhin sieht die Stadt gepflegt aus. Die Straßen sind sauber und es gibt gepflegte Rosenbeete."

Schützengraben des Bataillons Schachtjorsk der "Volksrepublik Donezk" nicht weit von Aleksandrowka. Bild: Ulrich Heyden 2018

Anfang Juli war Olga zwei Wochen auf Urlaub in ihrer Heimatstadt Donezk. In ihrem Haus am Nordrand von Donezk konnte sie nicht wohnen. "Das Haus liegt in der Nähe des Flughafens, nicht weit von der Frontlinie. Da ist es zu gefährlich." Deshalb wohnte sie bei einer Freundin im Stadtzentrum.

Womit wird geschossen?, frage ich Olga. Sie antwortet: "Mit schwerer Artillerie. Die Ukraine hat Truppen an die Grenze verlegt. Man hört die Schüsse bis in die Innenstadt. Es geht morgens um vier los, verebbt dann und flammt am Tage immer wieder auf. Und dann gibt es abends nochmal Beschüsse." Ob die Streitkräfte der international nicht anerkannten Volksrepublik Donezk (DNR) zurückschießen? "Vermutlich ja, aber genau kann ich das nicht sagen."

In den beiden "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk leben nach offiziellen Angaben der neuen Behörden 3,6 Millionen Menschen. Wie groß die Bevölkerung im April 2014 war, also zum Zeitpunkt als die Ukraine ihre "antiterroristische Operation" gegen die Separatisten begann, ist schwer zu ermitteln. Denn die "Volksrepubliken" kontrollieren nur den kleineren Teil der ukrainischen Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk. Soviel aber weiß man: 2013 lebten in den beiden Verwaltungsgebieten, in denen sich der wichtigste Teil der ukrainischen Industrie befand, 6,6 Millionen Menschen.

Küchen-Bereich des Bataillons Schachtjorsk in der "Volksrepublik Donezk". Bild: Ulrich Heyden 2018

"114 Euro ist ein guter Monatslohn"

In den "Volksrepubliken" ist der russische Rubel das offizielle Zahlungsmittel. Was die Leute verdienen?, will ich von Olga wissen. "Die Löhne sind erbärmlich niedrig. 8.000 Rubel (114 Euro) im Monat ist schon ein guter Lohn. Ein Abteilungsleiter verdient 20.000 Rubel (285 Euro). Ein Rentner bekommt 3.000 Rubel (42 Euro) im Monat." Bergarbeiter verdienen vermutlich mehr. Als der Autor dieser Zeilen 2015 einen Kohleschacht in der Stadt Makejewka besuchte, berichteten ihm Bergarbeiter, sie bekämen umgerechnet 300 Euro im Monat. Doch nicht immer wurde pünktlich gezahlt.

Wie die Menschen bei solchen geringen Einkommen leben können? Die Preise für Grundnahrungsmittel seien niedrig, sagt Olga. "100 Gramm Speck kosten auf dem Markt 100 Rubel (1,4 Euro). In Moskau kosten 100 Gramm Speck 400 Rubel. Ein Brot kostet zehn oder 20 Rubel (28 Cent), in Moskau 60 Rubel. Eine Fahrt mit der Straßenbahn kostet in Donezk (vier Cent). Für Rentner ist der öffentliche Nahverkehr kostenlos. Drogerie-Artikel sind teurer. Meine Freundin, bei der ich im Stadtzentrum wohnte, hat noch einen Garten. Dort baut sie Gemüse an."

Ob die Menschen noch hinter der Volksrepublik Donezk stehen, will ich wissen. Oder wollen sie zurück in die Ukraine? "Auf keinen Fall! Nur nicht das!" sagt Olga. Viele Menschen stünden Schlange, um einen russischen Pass zu bekommen. Das sei nicht einfach. Man müsse erstmal einen DNR-Pass beantragen. Über einen bestimmten Zeitraum müsse man sich dann immer wieder bei dem zuständigen Amt registrieren lassen, um zu zeigen, dass man auch in der "Volksrepublik" wohnt. "Dann kann man einen russischen Pass beantragen. Das Ganze dauert drei Monate."

Ich will ich von Olga wissen, was sie von dem neuen Präsidenten Selenski hält. Sie überlegt nicht lange. "Er ist wie Poroschonko. Er lässt sich wählen und verspricht den Leuten Frieden und Verständigung. Doch dann ändert er seinen Kurs. Ich glaube Selenski ist noch schlimmer als Poroschenko. Eigentlich ist er ja kein Politiker. Er ist unerfahren. Und ich glaube, er wird von bestimmten Kräften gesteuert."