Vom Krieg zum Ökozid in der Ukraine: Das sind die globalen Folgen

Der Krieg führt zum Ausverkauf des Landes. Zudem drohen ökologische Ewigkeitslasten. Eine Besonderheit des Bodens macht das zum globalen Problem.

Trotz des andauernden Krieges in der Ukraine wurde mehrfach auf Expertenkonferenzen, vor allem auf EU-Ebene, über den Wiederaufbau des Landes gesprochen. Dabei nennen die Verantwortlichen Summen, die den EU-Haushalt um ein Mehrfaches übersteigen. Neben den kaum wieder gutzumachenden sozialen und wirtschaftlichen Schäden in der Ukraine müssen aber auch die irreparablen ökologischen Schäden thematisiert werden.

Medienberichten zufolge hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seinem jüngsten Aufenthalt in New York mit hochrangigen Vertretern der Wall Street über Gelder für den Wiederaufbau gesprochen. Selenskyj versprach potenziellen Investoren vor allem gute Verdienstmöglichkeiten in der Landwirtschaft, die seit geraumer Zeit im Ausverkauf begriffen ist.

Landgrabbing und ökologische Zerstörung

Die Ukraine befindet sich schon lange vor 2022 in einer wirtschaftlichen Notlage mit akuten Zahlungsschwierigkeiten, weshalb auf Drängen der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Entwicklungsbank im Jahr 2020 ein Gesetz verabschiedet wurde, das den Verkauf großer Landflächen an ausländische Investoren erlaubt. Der Vorsitzende des ukrainischen Kleinbauernverbandes bezeichnete dies als erpresserisches Ultimatum.

Bislang wurden 28 Prozent des Ackerlandes von Oligarchen, teils Einzelpersonen und großen Agrarunternehmen kontrolliert. Der Rest wurde bisher von mehr als acht Millionen ukrainischen Bauern bewirtschaftet. Die größten Landbesitzer sind eine Mischung aus Oligarchen und einer Vielzahl ausländischer Investoren, vor allem aus Europa und Nordamerika.

Die NZZ am Sonntag, die hierüber berichtete, zitierte dazu die ukrainische Nationale Akademie der Wissenschaften:

Heute kämpfen und sterben Bauern und Bäuerinnen im Krieg. Sie haben alles verloren. Die Prozesse des freien Landverkaufs und -kaufs werden zunehmend liberalisiert und beworben. Dies bedroht die Rechte der Ukrainer auf ihr Land, für das sie ihr Leben geben.

Damit ist vorgezeichnet, dass sich in der Ukraine ein industrielles Landwirtschaftsmodell durchsetzen wird, das auf großflächigem Monokulturanbau und intensivem Pestizideinsatz basiert. Dies wird zu einem großen Teil auf Ackerflächen geschehen, die bisher weltweit als besonders hochwertig galten.

Kornkammer Ukraine durch fruchtbare Schwarzerde

Die Ukraine galt bereits im letzten Jahrhundert als Kornkammer – auch für Deutschland. So galt die Ukraine im Ersten Weltkrieg Anfang 1918 nach dem "Brotfrieden" mit den Mittelmächten kurzzeitig als Rettungsanker für die prekäre Lebensmittelversorgung des Deutschen Reiches. Später spielte die Ukraine für Adolf Hitler eine zentrale Rolle in seiner Ideologie vom "Lebensraum im Osten". Heute steht der gelbe Streifen in der Flagge der Ukraine für die Kornfelder als Symbol des Landes.

Diese Bedeutung verdankt die Ukraine der sogenannten Schwarzerde (Tschernozem), einem schwarz gefärbten Boden mit hohem Humusgehalt und hohen Anteilen an Phosphor- und Ammoniakverbindungen. Dieser Boden kann aufgrund seines hohen Wasserspeichervermögens dauerhaft hohe landwirtschaftliche Erträge liefern.

Daten: World Reference Base for Soil Resources (WRB). Bild Naevius Varius / CC BY-SA 4.0 Deed / Bearbeitung: Karl-Heinz Peil und TP

Tschernozeme bedecken eine Fläche von etwa 230 Millionen Hektar. Es gibt zwei "Tschernosem-Gürtel" in der Welt. Der eine ist die eurasische Steppe, die sich von Ostkroatien (Slawonien) entlang der Donau (Nordserbien, Nordbulgarien, Donauebene), Süd- und Ostrumänien (Walachische Ebene und Moldau-Ebene) und Moldawien bis in den Nordosten der Ukraine über die zentrale Schwarzerdegebiete Zentral- und Südrusslands bis nach Sibirien erstreckt.

Die andere erstreckt sich von den kanadischen Prärien in Manitoba über die Great Plains der USA bis in den Süden von Kansas. Aufgrund dieser regionalen Gegebenheiten sind die Ukraine und Russland wichtige internationale Lieferanten von Weizen, Mais, Sonnenblumensaatgut und Düngemitteln. Umso dramatischer sind die Folgen des Ukraine-Krieges, der schwerpunktmäßig in dieser Bodenregion erfolgt.

Kumulierte Kriegseinwirkungen auf die Umwelt

Der tschechische Militärexperte Jaroslav Štefec fasste die gesamthaften Wirkungen kürzlich wie folgt zusammen:

Die anhaltenden Kämpfe führen zur Zerstörung riesiger Flächen von Feldern und einheimischer Vegetation und zur Verseuchung des Bodens mit Schwermetallen und anderen hochgiftigen Stoffen, die durch die Explosionen der Munition oder der ganzen Lagerhäuser, in denen sie gelagert wird, freigesetzt werden. [...]

Auch nicht von den Bränden zerstörter Kampfausrüstung und den Emissionen der hunderttausenden von Litern Diesel und Benzin, die beim Betrieb einsatzbereiter Geräte verbrannt werden.

Anhand von Daten aus europäischen und US-amerikanischen Satellitenbildern schätzten Forscher bereits Anfang 2023, dass der Konflikt mehr als 6.000 Brände verursacht hat, die fast 5.000 Quadratkilometer Land beschädigten – hauptsächlich Ackerland, aber auch große Waldgebiete und natürlich auch städtische Gebiete. In dem Bericht wird auch darauf hingewiesen, dass über 70.000 Häuser zerstört und über 60.000 weitere beschädigt wurden.

Das Conflict and Environment Observatory (Ceobs) hat dokumentiert, dass zahlreiche Industriestandorte – darunter Anlagen für fossile Brennstoffe, chemische und nukleare Anlagen – ebenfalls angegriffen wurden und große Mengen an Schadstoffen freigesetzt haben.

Der Vorsitzende des Agrarausschusses des ukrainischen Parlaments, Oleksandr Haydu, bezifferte, dass bereits mehr als fünf Millionen Hektar Ackerland durch Minen, Verseuchung mit Sprengstoffresten oder anhaltende Kämpfe unbrauchbar geworden seien. Statt auf 7,7 Millionen Hektar wie im Vorjahr konnte zuletzt nur auf 4,5 Millionen Hektar die Wintersaat ausgebracht werden.

Raketen, Marschflugkörper und Minen zerstören Gebäude und setzen Asbest frei. Werden Lagertanks für Schweröl, Raffinerien und Industrieanlagen getroffen, sickern Öl und Chemikalien in den Boden und können das Grundwasser verseuchen. Auch Munition enthält giftige Chemikalien, warnen Umweltexpertinnen und -experten wie Wim Zwijnenburg von der niederländischen Friedensforschungsorganisation Pax.

Wenn ein Gebiet über Monate jeden Tag beschossen wird, häufen sich Schwermetalle aus der verschossenen Munition im Boden an.

Zwijnenburg im Gespräch mit dem RND

Noch gravierender und großflächiger sind die spezifischen Umweltzerstörungen, die mit jüngsten Waffen- und Munitionslieferungen von Nato-Staaten befeuert werden.

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