Vom Sexguru zum Staatsfeind
Antonin Svobodas "Der Fall Wilhelm Reich"
Ein "Wolkenmacher", ein "Sexguru", ein "Paranoiker" - die schräge Karriere von Wilhelm Reich, der als Ex-Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg und Jurastudent zum Freud-Schüler und Junggenie der Psychoanalyse wurde, steht jetzt im Zentrum von Antonin Svobodas Film, der von dessen letzten Lebensjahren erzählt. Der Film zeigt einen hochsympathischen, wissenschaftlich prophetischen Intellektuellen, der seiner Umwelt nur als alter Mann mit versponnenen Absichten erscheint.
I hope that someone at some time in the future will listen to this with respect.
So Wilhelm Reich auf einem seiner letzten Tonbänder, kurz vor seinem Tod im November 1957. Ein Mann am Ende, als Sektierer und Verschwörer im US-Knast kaltgestellt. Wir kennen Reich, der 1897 im zum Kaiserreich Österreich-Ungarn gehörenden Galizien geborenen wurde, als den Sigmund-Freud-Schüler und Freud-Widersacher aus Wien. Wir kennen ihn als Sexualforscher, der bereits in den Zwanziger Jahren die freudsche Libidotheorie zur Orgasmustheorie radikalisierte, als Sozialpsychologen, der zunächst eine bahnbrechende Massenpsychologie des Faschismus verfasste, später dann Neurose als Massenerscheinung diagnostizierte, und die Befreiung der Gesellschaft vom "Triebstau" propagierte. Im letzten Lebensjahrzehnt wurde Reich zum Esoteriker und führte obskure parawissenschaftliche Forschungen im Grenzbereich der Materie durch, die er Orgonologie nannte. Energie sei, so Reich, in "Orgonakkumulatoren" konzentrierbar und biophysikalische Grundlage seiner Therapie.
Reich war immer umstritten: In den 70er Jahren wurde er im Zuge der sexuellen Revolution als Sexguru und Entlarver des alltäglichen Faschismus wiederentdeckt, heute ist er nahezu vergessen.
Der österreichische Regisseur und Produzent Antonin Svoboda hat bereits 2009 eine Fernseh-Dokumentation mit dem Titel "Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?" gedreht. Jetzt setzt er in seinem Spielfilm "Der Fall Wilhelm Reich" dieses Interesse fort: Im Zentrum stehen die letzten Lebensjahre Reichs im Exil in den USA. Kaum einer weiß heute, was damals geschah: Im Zuge der McCarthy-Hexenjagd und im allgemeinen Klima amerikanischer Paranoia wurde Reich die Forschung an der Organologie verboten und man forderte, seine "Orgon-Akkumulatoren" sowie alle seine Bücher zu vernichten. Kaum vorstellbar - aber zehn Jahre nach dem Sieg über den Faschismus wurden in den USA Reichs Schriften öffentlich verbrannt, unter Aufsicht der Lebensmittel- und Arzneizulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA). Die bestand auf der Verbrennung fast aller publizierten Schriften Reichs. Er selbst wurde zu einer zweijährigen Haftstrafe wegen "Missachtung des Gerichts" verurteilt und starb während der Haft unter ungeklärten Umständen - eine Autopsie fand nicht statt.
Dieses traurige Finale von Reichs Leben stellt Svoboda ins Zentrum. Angesichts dieser schrägen (insgesamt merkwürdigen, im Einzelnen aber hochspannenden) Geschichte und angesichts Svobodas Vita als Produzent von immerhin Jessica Hausner, Ulrich Seidl, Barbara Albert und vielen anderen ästhetisch radikalen Filmern seiner Firma coop99 ist dieses Biopic ungemein bieder geraten - geradezu lahmes Kunsthandwerk und jedenfalls ein traditioneller Kostümfilm, keine permanente Revolte, wie sie dem Rebell Reich gebührte. Der Film wirkt wie ein deutsches Fernsehdokudrama, nicht wie die frechen, sarkastischen Provokationen, die wir von österreichischem Kino seit Jahren gewohnt sind.
Das liegt nicht an Klaus Maria Brandauer der dem alternden Reich Charme und Schmäh, mitunter sogar bittere Ironie gibt. Auch nicht an Julia Jentsch als seine Tochter oder Jeanette Hain oder Birgit Minichmayr - wenn auch diese Fülle der Theaterschauspieler dem Film etwas Theatralisches, Statisch-Starres, Getragenes gibt, das ihm nicht gut tut.
Inhaltlich zeigt Svoboda das interessante Bild eines Mannes, den man (je nach Sichtweise) konsequent nennen kann - oder besessen. Ein sturer Unbelehrbarer, der auf wohlgemeinte Ratschläge nicht hört, auch wenn sie von einem Albert Einstein stammen. Allerdings gelingt es dem Film zu wenig, Hintergründe deutlich zu machen, zu erklären, was kulturgeschichtlich eigentlich hinter den obskur anmutenden Ideen Reichs stand
Was in Svobodas Film in jedem Fall bleibt, ist das Bild eines heroischen Einzelkämpfers, eines Mannes, der keine faulen Kompromisse schließt. Ein antitotalitärer Widerständler, der weiß, dass er an einer verlorenen Sache festhält, und es gerade darum mit Stolz tut.
Vom Sexguru zum Staatsfeind (11 Bilder)
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