Vom Videofestival zum Transmedia-Event
Transmedia '97, Berlin, 23. Mai bis 1. Juni
Das gute alte Berliner Videofest heißt jetzt ganz zeitgemäß Transmedia und schließt Internetprojekte und CD-ROMs als feste Veranstaltungselemente ein. Die Vorträge und Paneldiskussionen mit internationalen Gästen zu Themen wie Nanotechnologie und Neuroästhetik, Cyborg Mythos, Internet in Europa und Kommerzialisierung des Netzes unterstrichen, daß es bei Transmedia nicht nur um Filme geht. Der Anspruch der Veranstalter, "... vor allem die Wechselwirkungen und Synergie-Effekte zwischen den einzelnen Medienterritorien ins kritische Blickfeld zu rücken", läßt sich freilich leichter programmatisch formulieren, als praktisch umsetzen, denn von Integrationstendenzen ist allenfalls in Digitalien etwas zu spüren, ansonsten bleibt eine CD eine CD und ein Videoband ein Videoband.
Dafür aber zeigte Transmedia wirklich Bandbreite: Monty Pythons fliegender Zirkus und der Roboterzirkus "Menagerie", eine Installation von Wolfgang Probst, Jörg Nihage und Christian Müller. Zwei Minuten Computeranimation "Les dents de la mere" von Marc Cuenot und von Kathy Rae Huffman & Eva Wohlgemuth das auf drei Jahre ausgerichtete "Face Settings" Kunst- und Kommunkationsprojekt zwischen Frauen in fünf europäischen Ländern. "Grundlehre für neue Medien am Fachbereich 02 der Hochschule der Künste Berlin", "Sex/Maschine", Das Kleine Fernsehspiel, und von Leon Cmielewski und Josephine Starrs ein fröhliches Computerspiel namens "User Unfriendly Interface".
In punkto Besucherbeteiligung erwies sich die diesjährige Terminverlegung in den Mai als nicht ganz glückliche Entscheidung, denn das sonst von der Berlinale zum Videofest zahlreich herüberziehende Publikum fehlte in den Veranstaltungsräumen. Das Fest, das vor zehn Jahren in den Räumen der damaligen Medienoperative (jetzt Mediopolis) gewissermaßen in Wohnzimmeratmosphäre klein anfing, hatte bis zu diesem Jahr seine Besucherzahlen beständig gesteigert. Die zeitgleich in der Volksbühne zelebrierten Jugendmusikfestspiele unter anderem mit Gudrun Guts Ocean Club, Friedrich Kittler und Club Netz sowie auch die atmosphärisch dichte Veranstaltung von The Thing "hart.moderne. Literatur, Virtualität &Medienkampf" im Stillen Museum bildeten mit dem Videofest ein Veranstaltungsdreieck, das zum Pendeln einlud.
Ein Besucherhighlight des Festivals war zweifellos die samstagabendliche Bücherverbrennung. Zur Prime Time, wenn man sich bei Pokalkickern, großer Familienunterhaltung und Bier und Nüßchen gemütlich in den Fernsehsessel lehnt, wurde beim Videofest mit der Performance von Blixa Bargeld und Kain Karawahn an nicht nur ausschließlich positive Emotionen gerührt. Vor vielen Zuschauern erwärmte "7000 Bücherfeuer - Bücherbrand zur Erzeugung eines Branntbuches" die letzte Mainacht und erhitzte nicht wenige Gemüter. Ein australischer Gast kommentierte: "Ihr Deutschen habt scheinbar die schlechte Angewohnheit, Bücher zu verbrennen. Ich muß mir das nicht ansehen".
Kain Karawahn arbeitet mit Feuer und hat in den achtziger Jahren mit Bildern aus einer angezündeten Kamera schon Videofestbesucher erschüttert, denen sich beim Anblick des brennenden guten Stücks (damals waren Videokameras noch richtig teuer) das Herz zusammenschnürte. (siehe dazu das Interview mit Kain Karawahn)
Was lernt uns das? Mitnichten taugen Bücher und die anderen alten Medien bloß noch zum Heizen und Heimleuchten, im Gegenteil konveniert das Alte recht hübsch mit dem Neuen. Und wenn Kombinationen gelingen, dann könnte unter glücklichen Umständen wieder etwas Neues dabei herauskommen - grad so, wie es sich die Transmediaveranstalter auf die Fahne geschrieben haben. Nur einfach zusammenwerfen und umrühren scheint noch nicht das Patentrezept zu sein. Doch Austausch auf tieferer, "molekularer" Ebene (und weitgehender als es beispielsweise Push-Media Internetfernsehen oder Internetradio bislang vorführen) setzt unter anderem auch eine Hirnbewegung voraus und nicht zuletzt ein Heruntersteigen vom hohen Roß der arrivierten Medien, die halt noch "richtige Bücher", "richtige Bilder" und "richtige Filme" produzieren. Werke, die man in die Hand nehmen, aufhängen, ins Regal und - das ist ja nicht ganz unwichtig - ins Museum stellen kann. Die Jodis, deren Arbeit mit dem diesjährigen Internetpreis des Festes ausgezeichnet wurde, berichteten halb verblüfft und halb amüsiert von dem Wunsch der Museen, Netzprojekte archivieren zu wollen, auf Datenträgern zu konservieren für die Sammlungen - grad so, als stünde zu fürchten, daß das Internet schon morgen nicht mehr da sein könne.