Von Gaza bis Assange: Kann Joe Biden sich aus der Wahlschlinge befreien?

Seite 2: Lässt Biden die Spionage-Anklage gegen Assange fallen?

Es gibt noch eine zweite Meldung, die auf einen Kurswechsel der Biden-Regierung hindeuten könnte. So erwägt das Weiße Haus Berichten zufolge, dem Wikileaks-Gründer und Journalisten Julian Assange einen Deal anzubieten. In einem Artikel des Wall Street Journal von gestern heißt es, dass von der US-Regierung ein Plan beraten werde, nach dem die aktuell 18 Anklagepunkte gemäß dem Espionage Act (Spionagegesetz von 1917) fallen gelassen werden sollen.

Assange müsste sich im Gegenzug für kleinere Ordnungswidrigkeiten, die die fehlerhafte Handhabung von als geheim klassifizierten Dokumenten betreffen, für schuldig erklären. Assange könnte das Geständnis aus der Ferne von London aus abgeben und wäre wahrscheinlich schon bald nach der Einigung frei, da er bereits fünf Jahre in Großbritannien in Haft verbracht hat.

Das juristische Team von Assange hat jedoch bisher noch keine Hinweise dafür erhalten, dass die Strategie der Strafverfolgung sich geändert habe. Assange drohen bis zu 175 Jahre Haft in den USA.

Es wird erwartet, dass der Oberste Gerichtshof in Großbritannien in den nächsten Wochen entscheidet, ob Assange ein weiteres Recht auf Einspruch gegen seine Auslieferung eingeräumt wird. Assange, der im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh festgehalten wird, soll auf Verlangen der USA an sie ausgeliefert werden.

Wikileaks unter Assange hatte geleakte Dokumente öffentlich gemacht, die u.a. Kriegsverbrechen der USA im Irak belegen. Bekannt wurde insbesondere das Video "Collateral Murder" ("Begleiterscheinung Mord"), in dem ein US-Kampfhubschrauber Zivilisten ins Visier nimmt und zwölf von ihnen, darunter auch zwei Reuters-Journalisten, tötete, während die Soldaten lachten und fluchten.

Die Veröffentlichung führte zu einer internationalen Entrüstung. In den USA schädigte es das Image der US-Kriegsführung.

Australien, Deutschland positionieren sich gegen Auslieferung

Die damalige demokratische Regierung unter Barack Obama beschloss am Ende, Assange nicht anzuklagen, weil man befürchtete, dass damit gegen den ersten Verfassungszusatz verstoßen würde, der die Pressefreiheit garantiert.

2019 erhob die Trump-Regierung Anklage auf der Grundlage des Spionagegesetzes von 1917. Auch unter Bidens Amtszeit wurde die Anklage gegen Assange weiter fortgesetzt. Doch die Auslieferung, die die USA verfolgen, erweist sich politisch gesehen für den amtierenden Präsidenten von den Demokraten als schwierig, vor allem in einem Wahljahr.

Der Druck von außen nimmt weiter zu. Ende Februar forderte das australische Parlament von der US-Regierung in einem parteiübergreifenden Antrag, unterstützt vom Premierminister Anthony Albanese und weiten Teilen der Gesellschaft, die Auslieferung fallen zu lassen.

In Deutschland hat sich jetzt sogar Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gegen eine Auslieferung von Julian Assange an die USA ausgesprochen. Die Vertreter der Vereinigten Staaten hätten dem Gericht in Großbritannien nicht klarmachen können, so Scholz, dass sich eine mögliche Bestrafung in einem "vertretbaren Rahmen" bewegen werde.

Assange-Auslieferung im Wahlkampf eine Belastung für Demokraten

Im November 2022 hatten bereits fünf große Zeitungen, die mit Wikileaks zusammengearbeitet haben – die New York Times, der Guardian, Le Monde, El País und Der Spiegel – in einem gemeinsamen Brief ein Ende der Strafverfolgung gefordert.

Sicherlich ist Assange, anders als in den meisten, auch westlichen Staaten, nicht besonders populär in den USA. Aber eine Auslieferung inmitten des Wahlkampfs würde mediale Öffentlichkeit für den Fall erzeugen, die sich negativ auf Schichten vor allem jüngerer, progressiver Wähler:innen auswirken könnte. Angesichts des Kopf-an-Kopf-Rennens mit Trump will das Biden-Team solch eine zusätzliche Belastung sicherlich möglichst vermeiden.

Es ist daher keine bloße Spekulation, dass, je näher der Wahltermin rückt, der amtierende US-Präsident Joe Biden versuchen wird, die für ihn wichtigen jungen Wähler:innen, aber auch die Arbeiter:innen, Afro-Amerikaner:innen, Latinos und arabischen Communitys an sich zu binden, mit politischen Angeboten.

Wie weit wird Biden Progressiven entgegenkommen?

Diese eher sozial und progressiv ausgerichteten Wählerschichten verlangen nun aber faire Jobs und einen funktionierenden Sozialstaat, den Schutz von Bürgerrechten, eine deeskalierende Außenpolitik und den Schutz von Umwelt und Klima durch einen Green New Deal.

Wie weit der Demokrat Biden ihnen entgegenkommen wird, hängt auch davon ab, wie weit er bereit ist, dem Washington-Establishment und der Businessklasse in den USA die Stirn zu bieten, bzw. ihnen Kompromisse abzuringen, während er sie gleichzeitig als Geldgeber für den Wahlkampf und als Multiplikatoren behalten möchte.

Wenn Biden es aber nicht ernsthaft unternimmt, Angebote an seine Wähler:innen zu machen, wird es im November eng für ihn werden. Und es scheint, als ob er das langsam auch selbst zu erkennen beginnt.