Von Liberals zu Progressives
Das Verschieben des politischen Sündenfalls - Teil 3 der Glenn Beck Story
Das Standardfeindbild konservativer Amerikaner im letzten Jahrzehnt waren die "Liberals". Glenn Beck baute in seiner Show einen anderen Begriffsdämon auf - die "Progressives", mit denen er auf die Zeit von Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Prohibition rekurriert. Der Progressivismus, so der Moderator auf dem 37. Jahrestreffen der Conservative Political Action Conference (CPAC) sei ein "Krebsgeschwür", das staatliche Eingriffe rechtfertige und so die Verfassung zerfresse.
Teil 1: Crazy-Con
Teil 2: Geschichte als Religion
Das bemerkenswerte an dieser Verschiebung des politischen Sündenfalls ist, dass der Progressivismus eine überparteiliche Strömung war und dieses Feinbild damit auch Republikaner umfasst. Ein Effekt den - berücksichtigt man den Rest der Rede - Beck offenbar durchaus beabsichtigte. Er verglich die Partei nämlich mit dem Golfspieler Tiger Woods, indem er dessen öffentliches Geständnis seiner angeblichen "Sexsucht" als Grundlage für eine Parodie nutzte, in der er die GOP wie auf einem Treffen der Anonymen Alkoholiker gestehen ließ, sie sei "abhängig von hohen Staatsausgaben" und habe gewusst, dass ihr Handeln in der Finanzkrise falsch ist, dachte aber, dass die Regeln hier nicht gegolten hätten.
Der bekannteste republikanische Politiker der Progressive Era ist Teddy Roosevelt, den der letzte republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain als Vorbild nannte, wofür er von Beck heftig kritisiert wurde. Aber Roosevelt eignet sich aufgrund seines bodenständigen Images offenbar so wenig als Buhmann für Becks Anhänger, dass ein anderer Präsident dafür herhalten muss: Woodrow Wilson, dessen Todesmeldung auf der Titelseite der Boston Post Beck gut sichtbar in seinem Büro aufgehängt hat.
Wilson war Rektor der Eliteuniversität Princeton und Demokrat. Zudem wurde während seiner Amtszeit der sechzehnte Verfassungszusatz ratifiziert und mit ihm die bundesweite Einkommensteuer eingeführt. Allerdings hatte dies sein republikanischer Vorgänger William Howard Taft schon lange vor Wilsons Amtsantritt eingefädelt und das Inkrafttreten verzögerte sich nur deshalb, weil dafür drei Viertel der Bundesstaaten zustimmen mussten.
Zudem nutzte Wilson die neuen Einnahmen nicht für sozialpolitische Maßnahmen, sondern schaffte stattdessen Zölle ab. Eine Freihandelspolitik, die Beck und seine Anhänger eigentlich befürworten müssten. Der Demokrat schritt darüber hinaus weit weniger gegen Monopole ein als Teddy Roosevelt und William Howard Taft und zeigte sich als entschiedener Gegner einer Krankenversicherung, wie sie nach ihrer Einführung in Deutschland auch in den USA diskutiert wurde.
Ein weiterer Grund, warum Wilson ein besseres Feindbild abgibt, als Roosevelt oder Taft, ist, dass er deutlich glückloser agierte als seine Vorgänger - auch, wenn er dabei genauer besehen eher an George W. Bush erinnert, als an Barack Obama, mit dem er lediglich den Friedensnobelpreis gemeinsam zu haben scheint.
1917 schickte Wilson relativ unvorbereitete amerikanische Truppen nach Europa, obwohl er im Wahlkampf kurz davor suggeriert hatte, dass er die Politik der Nichteinmischung in den Krieg beibehalten würde, während sein Gegenkandidat Charles Evans Hughes schon damals vehement für einen Militäreinsatz warb. Dass sich die USA doch noch ins Kampfgetümmel stürzten, war - wie ein Untersuchungsausschuss des Senats 1936 ermittelte - nicht zuletzt das Werk von Industriellen, die gute Kontakte zur Politik pflegten, vor Lügen nicht zurückscheuten und auf hohe Profite durch Staatsaufträge hofften.
Auch bei der Neuordnung nach dem Ersten Weltkrieges scheiterte Wilson, gemessen an den von ihm öffentlich propagierten Zielen auf ganzer Linie: Von einer Grenzziehung nach dem Willen der Bevölkerung konnte Anfang der 1920er Jahre keine Rede sein und nationale Minderheiten waren bis auf Ausnahmen nach dem Krieg schlechter dran als vorher. Auf dem Balkan und in Kleinasien kam es sogar zu Massenumsiedlungen, die so schlecht organisiert waren, dass ein Fünftel der 1,5 Millionen aus der Türkei vertriebenen Griechen starb. Der auf maßgebliche Initiative Wilsons ins Leben gerufene Völkerbund feierte diesen Bevölkerungsaustausch trotzdem als Erfolg.1 Auch das 1919 mittels eines 18. Verfassungszusatzes eingeführte Alkoholverbot erwies sich als gigantischer Fehlschlag und Katalysator für die Expansion des Organisierten Verbrechens.
Trotz dieses im Nachhinein sichtbaren Versagens hätte Wilson heute, wenn er das erste mal kandidieren würde, möglicherweise gute Chancen, gerade von Becks Anhängern gewählt zu werden: 1910 wurde er nämlich vor allem deshalb Gouverneur von New Jersey, weil er betonte, nicht aus der Politik zu kommen und kein Befehlsempfänger von Parteikadern zu sein. Eine Methode, mit der auch die Tea-Party-Kandidaten ihre Wahlkämpfe führen.
Wie erfolgreich sie damit sind, wird erst am 2. November feststehen. Denn trotz Becks tatkräftiger Unterstützung dieser Bewegung wurden in den letzten Wochen von manchen Kandidaten Ansichten und Defizite bekannt, die moderatere Wähler abschrecken könnte. So musste etwa die Masturbationsgegnerin Christine O'Donnell (noch während sie versuchte, die Scherben aus alten Talkshow-Auftritten mit einem viel parodierten Wahlspot zusammenzukehren) einen weiteren schweren Rückschlag hinnehmen: Während einer Diskussion über Kreationismusunterricht an Schulen stellte sich heraus, dass sie keine Ahnung hat, was in der Bill of Rights steht, auf die Tea-Party-"Aktivisten" regelmäßig verweisen, wenn sie staatliche Eingriffe kritisieren.
Joe Miller, der nach O'Donnell bekannteste Tea-Party-Kandidat, erregte in der letzten Woche dadurch Aufsehen, dass er meinte, man könne durchaus einen Grenzzaun bauen, der Flüchtlinge effektiv abhält - denn wenn die DDR das damals schaffte, dürfte das ja auch für die USA kein Problem sein. Dass der Grenzwall damals funktionierte, so der Absolvent der Militärakademie Westpoint, wisse er aus eigener Anschauung, da er als Soldat in der Nähe von Fulda stationiert gewesen sei. Auf derselben Veranstaltung, auf der Miller dies äußerte, ließ er einem Reporter des Alaska Dispatch wegen Fotografierens Handschellen anlegen und ihn von privaten Sicherheitsdienstleistern abführen.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.