Von "Renaissance der Atomkraft" weltweit keine Spur
Seite 2: Einstufung als klimafreundlich wohl nicht mehr in diesem Jahr
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Allerdings wird in diesem Jahr nicht mehr mit der Einstufung der Atomkraft als klimafreundlich gerechnet. Es bleibt also noch etwas Zeit, um zu versuchen, diesen ruinösen Wahnsinn zu stoppen. Hier stellt sich die Frage, wie sich die neue Bundesregierung verhält und ob die bisherige Umweltministerin Schulze zu ihren Aussagen steht. Es ist zu vermuten, dass man in Brüssel schnell Fakten schaffen will, bevor die neue Bundesregierung handlungsfähig ist.
Allen, die nicht ideologisch verblendet an das Thema herangehen, müsste klar sein, dass die Atomkraft zum Klimaschutz praktisch nichts beitragen kann, auch wenn die Atomlobby gerade dieses Pferd populistisch reitet. Schließlich muss jetzt und schnell gehandelt werden. Das gilt auch für den Blackout, der Frankreich in jedem Winter droht. Vor dem hat gerade auch die große US-Nachrichtenagentur Bloomberg gewarnt, da die "Verfügbarkeit" der Atomenergie nun noch geringer ist, nachdem die Covid-Pandemie die Wartung einiger Reaktoren weiter verzögert hat.
Vorsorglich wurde deshalb gerade gestern vom Netzbetreiber bekanntgegeben, dass der Stromexport nach Spanien um 50 Prozent gesenkt wird, um die "nationale Versorgung" angesichts von ausgefallenen Reaktoren im Zentralmassiv zu senken.
Statt Blackout-Gefahren und dem Klimawandel im Land mit einem altersschwachen Atompark zu begegnen, können eigentlich nur Erneuerbare Energien schnell genug helfen. Notfalls könnte auch Erdgas als Übergangstechnologie genutzt werden, da auch Gaskraftwerke relativ schnell gebaut werden können.
Diesen drängenden Fragen geht Macron, auch wenn auch er nun mit der Klimakatastrophe argumentiert, bei seiner Atomstrategie aus dem Weg.
Er macht aber inzwischen – angesichts der riesigen Probleme mit dem EPR – sogar einen großen Bogen um die dritte Reaktorgeneration. Trotz allem präsentiert er weiterhin die Atomenergie als angeblichen Klimaretter.
Zwar spricht der Staatsbetrieb EDF noch vom Neubau von sechs EPR-Meilern in Frankreich, jeweils zwei in Penly (Dieppe), Gravelines (Calais) sowie Bugey (Lyon) oder Tricastin (Orange), doch in Macrons Strategie für einen "Neustart Frankreichs" bis 2030 kam der EPR nicht vor. Frankreich müsse sich dagegen "dringend auf bahnbrechende Technologien und tiefgreifende Veränderungen in der Kernenergie vorbereiten", erklärte er.
Die vierte Generation wird schon angepriesen
Da die dritte Generation längst vor die Wand gefahren ist, setzt der Präsidentschaftskandidat im Vorwahlkampf nun schon auf die vierte Generation und preist nun kleine modulare Reaktionen an. Die "Small Modular Reactors" (SMR) mit einer Leistung bis zu 300 Megawatt (MW) hält er für "vielversprechend".
Ein großes Problem mit diesen SMR ist aber, dass es keine kommerziell verfügbare Kleinreaktoren gibt. Pilotprojekte in Argentinien, China und Russland sind bisher eher enttäuschend verlaufen. Auch aus den Erfahrungen mit dem EPR ist zu schließen, dass kaum damit gerechnet werden kann, dass vor 2035 in Frankreich oder sonst irgendwo in Europa ein SMR ans Netz geht.
Und anders als Lobbyisten und Strahlemänner wie Macron der Öffentlichkeit gerne weismachen wollen, spielt die Atomkraft schon bisher nur eine untergeordnete Rolle. Sie galt auch bisher nicht als ernstzunehmende Alternative zu fossilen Energieträgern. Allerdings erhofft die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) eine Verdoppelung der Atom-Kapazität bis 2050.
Der IAEA-Direktor Rafael Mariano Grossi hatte im September angekündigt, persönlich auf der Klimakonferenz in Glasgow die Botschaft zu überbringen, "dass die Kernenergie Teil der Lösung für den Klimawandel ist und sein muss".
Weltweit eher ein Auslaufmodell
Allerdings zeichnet der neue "World Nuclear Industry Status Report" ein etwas anderes Bild. Es handelt sich dabei um den umfassendsten Bericht über den globalen Zustand der Kernenergie, zu dem der frühere japanische Premierminister Naoto Kan das Vorwort geschrieben hat.
Auch der einstige Verteidiger der Atomkraft kommt darin im Rückblick auf das Desaster vor zehn Jahren in Fukushima zum Ergebnis:
Als Premierminister Japans zum Zeitpunkt der Katastrophe bin ich heute der Meinung, dass die Zeit für Japan und die Welt gekommen ist, die Abhängigkeit von der Kernenergie zu beenden.
Naoto Kan
Neue Atomprojekte seien selten, selbst in Ländern wie Frankreich und den USA, die stark auf die Atomenergie setzten und die Zahl der in Betrieb befindlichen Reaktoren sei rückläufig. Es gäbe nur noch einige Länder, insbesondere China, die Neubauten aktiv vorantrieben.
Anders als die IAEA behauptet, sind nach dem neuen Statusbericht weltweit nicht 444 Atommeiler in Betrieb, sondern nur 415. Das sind schon 23 weniger als im Spitzenjahr 2002 mit 438. Zudem stellt der Bericht fest, dass die Kapazität zwar leicht um 0,4 Gigawatt etwas zugenommen habe, aber die reale Produktion dagegen deutlich abgenommen habe.
Das Durchschnittsalter der Reaktoren steigt
Da der Atompark weltweit immer älter wird, wird er zunehmend auch ineffizienter und gefährlicher. Das weltweite Durchschnittsalter der Atomreaktoren "hat sich seit 1984 stetig erhöht und liegt nun bei etwa 31 Jahren, wobei jeder fünfte Meiler 41 Jahre oder mehr" ausweist, heißt es im Statusbericht. Ein Fünftel aller Meiler haben schon die Betriebsdauer überschritten, für die Reaktoren einst ausgelegt wurden. 278 Reaktoren, zwei Drittel des gesamten Atomparks, sind mindestens seit 31 Jahren in Betrieb, 89 schon 41 oder mehr Jahre.
Der Statusbericht geht davon aus, dass in den nächsten Jahrzehnten deutlich mehr Atomreaktoren vom Netz gehen, als neue gebaut werden. Vermutet wird, dass deshalb Laufzeitverlängerung weltweit zur Regel werden dürfte. Frankreich will die Laufzeit auf 50 Jahre ausweiten, damit die Lichter nicht ausgehen.
In den USA wurden bei 85 von 93 Reaktoren die Laufzeiten schon um weitere 20 Betriebsjahre verlängert. Mycle Schneider ist Hauptautor des Berichts. Der unabhängige Energie‑ und Atompolitikberater und Koordinator des internationalen Teams, das den Statusberichts erarbeitet hat, meint insgesamt: "Wir beobachten einen langsam aussterbenden Sektor."
Da immer neue Reaktoren abgeschaltet werden müssen und man, anders als die IAEA behauptet, mit Neubauten wie aufgezeigt kaum vorankommt, ist die IAEA-Prognose mehr als zweifelhaft. Real ist die Atom-Stromerzeugung im vergangenen so stark zurückgegangen wie nie zuvor. Sie fiel erstmals seit 2012 wieder und nun gleich um fast vier Prozent und 104 Terawattstunden (TWh).
"Außerhalb Chinas fiel die Stromerzeugung aus Kernenergie um 5,1 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 1995", stellt der Bericht fest. China habe erstmals mehr Atomstrom als Frankreich produziert und sei weltweit auf den 2. Rang vorgerückt. Erneuerbaren Energien legten derweil um 13 Prozent zu, wobei die Wasserkraft dabei sogar herausgerechnet wurde.
Deshalb nimmt der Anteil der Atomkraft an der Stromproduktion weltweit ab. Er betrug im vergangenen Jahr noch etwa 10,4 Prozent. Seit dem Spitzenwert 1996 von 17,5 Prozent hat sich der Anteil inzwischen fast halbiert. Mycle Schneider kommt deshalb zu dem Ergebnis: "Die Kernenergie ist auf dem heutigen Markt für den Neubau von Stromkapazitäten irrelevant."
Es sind eigentlich nur noch fünf Staaten, die massiv auf Atomkraft setzen. Zwar sind weiter in 33 Ländern Atommeiler in Betrieb, doch 72 Prozent des globalen Atomstroms produzieren die USA, China, Frankreich, Russland und Südkorea. Auch einige dieser Staaten zeigen eine rückläufige Entwicklung auf.
Auch in China verliert die Dynamik an Fahrt
Zwar erreichten die USA 2019 einen Produktionsrekord, doch 2020 ist die nukleare Stromproduktion wieder um knapp 2,5 Prozent gesunken. Vier Reaktoren wurden dort in den vergangenen beiden Jahren abgeschaltet. Auch auf dem Atom-Wachstumsmarkt China verliert die Dynamik an Fahrt. Nur noch knapp 4,5 Prozent hat 2020 die Atom-Stromproduktion zugenommen, das ist der tiefste Wert seit 2009.
Was den Klimaschutz angeht, kommt der Statusbericht auch zu keinem aussichtsreichen Ergebnis: "Kernkraftwerke sind anfällig für eine Reihe von direkten und indirekten klimabedingten Störungen", wird festgestellt. "Dies wird sich voraussichtlich noch verstärken, da die Häufigkeit und Intensität extremer Wetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren und schwere Stürme aufgrund des Klimawandels zunehmen werden." In Frankreich, Deutschland und der Schweiz mussten zum Beispiel schon Atomkraftwerke heruntergefahren oder heruntergeregelt werden, weil Kühlwasser fehlte. Meiler mussten auch schon abgeschaltet werden, weil sie von großen Waldbränden bedroht waren.
Der Hauptautor Schneider meint deshalb: "Die Klimakrise müssen wir jetzt in den Griff bekommen, nicht in 15 Jahren." Er vermutet, dass mit einer Aufnahme in die EU-Taxonomie der Sektor "vielleicht noch ein bisschen länger" überleben könne. Über die SMR-Reaktoren werde derweil, wie von Macron angeschoben, "völlig faktenfrei" diskutiert.
Auch nach 15 Jahren Forschung gäbe es in der westlichen Welt kaum ein genehmigtes Design, keine Standorte und keine Finanzierung. Atomkraft sei im Kampf gegen den Klimanotstand – "zu teuer, zu langsam". Die SMR-Diskussion ist für ihn eine "orchestrierte Schaumschlägerei und ein Riesenhype."
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