Von Rumorkliniken und Gerüchteküchen
Seite 2: Steinmeier konstatiert "eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen"
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Öffentlich-rechtliche Medien, Kommentare und klinischer Faktencheck
Dass von privaten Unternehmen betriebene Zeitungen ihren Kunden das Kommentieren der Artikel untersagen, weil sie den Aufwand der Moderation scheuen und Kritik ausblenden wollen, mag noch nachvollziehbar sein - zumal der Leser entscheiden kann, dieses Angebot dann einfach nicht mehr zu nutzen. Bei den mit Zwangsabgaben finanzierten öffentlich-rechtlichen Medien aber liegt die Sache ein wenig anders: der unfreiwillig zahlenden Kunde muss hier selbstverständlich das Recht haben, zumindest seine Meinung zu hinterlassen.
Wer als Forum der politischen Willensbildung ein Milliardenbudget an Steuergeldern für sich beansprucht, kann nicht nach Gusto einfach Foren schließen und das zahlende Publikum aussperren. Vor allem dann nicht, wenn dessen Kritik an dem groben Schwarz-Weiß der Ukraine-Berichterstattung nahezu deckungsgleich mit der internen Analyse des ARD-Programmausschusses ausfällt.
Und die im Kern darauf hinausläuft, dass die "Nachrichten" nicht mehr über reale Geschehnisse berichten, sondern virtuelle Ereignisse erschaffen und als Realität verkaufen - also nichts anderes tun, als Gerüchte in die Welt zu setzen, die ihres dubiosen Charakters allein dadurch entledigt werden, dass sie zur "Nachricht" erhoben und durch die Wiederholungsschleifen der "Qualitätspresse" gejagt werden. Klinischer Faktencheck? Fehlanzeige.
So kommt es dann, dass zwei Tage lang auf allen Kanälen eine "russische Invasions-Armee" in der Ostukraine behauptetet wird, um dann kleinlaut als Tagesschau-Twitter abzusetzen, dass es sich bei "Invasion" um einen Übersetzungsfehler der Agentur Reuters gehandelt habe. Seinen Zweck im Sinne der Massenbeeinflussung und des "social engineering" hat das Gerücht mittlerweile schon erfüllt, seine Botschaft ist angekommen, die storyline vom aggressiven Iwan einmal mehr zementiert.
Wenn derart selbst die per Gesetz und qua Steuer auf sachgemäßen, "ausgewogenen" Journalismus verpflichteten öffentlich-rechtlichen Medien zu Gerüchteküchen degenerieren, scheint nicht nur eine Reform dieser Institutionen unumgänglich. Sondern auch eine Überprüfung des Selbstverständnisses der sogenannten "Qualitätsmedien" insgesamt, die sich mit diesem Nimbus eher selbst beweihräuchern als ihn mit ihren Produkten noch einzulösen.
Besonders deutlich zu sehen war dieser Niveauverlust in den Reaktionen auf das Putin-Interview des NDR-Journalisten Hubert Seipel, ein - für ein Politikerinterview - vergleichsweise sachliches und floskelarmes Gespräch. "Wie Putin die Fakten verdreht", textete darauf "Spiegel Online"- um als Höhepunkt dieser Enthüllung dann darzulegen, dass neben den positiven Wachstumsprognosen für die russische Wirtschaft, die er nannte, auch noch negative Prognosen anderer Institute existieren.
Da viel mehr an Unstimmigkeiten beim Faktencheck des gut 20-minütigen Gesprächs offenbar nicht herauskam, verlagerte sich der Rest der Reaktionen auf generelles Bashing. Den russischen Präsidenten im Interview seine Sicht der Lage benennen zu lassen, ist dann "Kuschelkurs mit Putin" (Focus) und verwandelt die ARD in "Kreml TV" (Die Welt), in dem Putin "Märchen erzählen" darf (FAZ). Die "Zeit" kommt in einem länglichen Beitrag über die "Pläne Putins" und die Russen zu dem erstaunten Schluss, "wie klar sich jetzt erkennen lässt, dass sie direkten Einfluss auf die politische Entwicklung in der Großregion nehmen".
Wozu man - mit Trappatoni - eigentlich nur noch sagen kann "Was erlauben Putin?", Einfluss auf die politische Entwicklung bei den Nachbarn nehmen ... unerhört !
Hat sich die Degeneration der Leitmedien - weg von der "Gerüchteklinik" mit ihrer Intensivstation des Faktenchecks, der klinischen Trennung von Tatsache und Behauptung, Bericht und Meinung, hin zur Gerüchteküche und industriellen Gehirnwaschanstalt - im Zuge der Ukraine-Russland-Berichterstattung verschärft oder ist dieser Eindruck nur der neuen "Trendsportart Medienbashing" geschuldet, die Außenminister Steinmeier jüngst in einer Rede thematisiert hat:
Medienbashing ist in diesen Tagen zu einer Art Trendsportart geworden. Wer... über verlogene, korrupte oder gemeine Journalisten...schimpft, verkauft viele Bücher. Wenn dagegen ein Korrespondent in Krisengebieten falsch recherchiert oder ein Kommentator eine unpopuläre These zuspitzt, kann er sich auf Beschimpfungen und Verschwörungstheorien in den sozialen Medien gefasst machen.
Hier haben wir sie wieder - wie in der Nussschale der CIA-Regieanweisung von 1967: die Kritiker als unseriöse, staatsfeindliche oder nur kommerziellen Interessen folgende "Verschwörungstheoretiker". Trotz dieser Diskurskeule kommt allerdings auch Frank-Walter Steinmeier nicht umhin, "eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen" zu registrieren - dem ein viel breiteres Meinungsspektrum in der Bevölkerung gegenübersteht; und dass die "Glaubwürdigkeitskrise" der Medien durchaus auch damit zu tun haben könnte, dass die Journalisten ihre "Deutungshoheit" überschätzt haben.
Das scheint in der Tat so - und als Weg, die Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen, ist das Aussperren dieses Meinungsspektrums mit Sicherheit genau die falsche Methode. Auch die Diffamierung des Publikums als Dummköpfe und Verschwörungstheoretiker taugt nicht zur Leser-Blatt-Bindung. Was tun? Die Antwort auf die Millionendollar-Frage, wie der Zeitungskrise zu begegnen ist, ist eigentlich naheliegend und lautet, um in unserem Bild zu bleiben: Aus der Küche muss wieder eine Klinik werden.
Eine investigative Intensivstation, die Gerüchte und Tatsachen, Behauptungen und Fakten auf chirurgische Weise trennt; die Verdächtigungen über mögliche "Erreger" (Verschwörungen) auf akribische Weise nachgeht; die, wenn Staat und Behörden unter dem Regime von FUD Beweismaterial zurückhalten, dieses notfalls gerichtlich einfordert - einer solchen Presse, die im Idealfall ihren faktengesättigten Nachrichtenteil von dem mit den Meinungen und Kommentaren vollkommen trennt, sodass man letzteren mit den Werbeprospekten ggf. gleich entsorgen kann, würden die "hearts and minds" sowie die Abonnements mit Sicherheit wieder zufliegen.
Journalisten müssten nicht fürchten, künftig überflüssig zu werden wie einst die Heizer auf der Elektrolok, wenn sie sich ihrer Wächterrolle wieder besinnen, für die ihnen in demokratischen Verfassungen auch besondere Rechte verliehen wurden. Weil ihnen als Auge, Ohr und Kontrollorgan des Souveräns - des Volks - besonderer Schutz gebührt - und nicht, um als Stenographen der Macht und Lautsprecher der Eliten zu fungieren.
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