Von den "vereitelten Terroranschlägen"
Auch fast eine Woche nach den ersten Festnahmen in Großbritannien ist über die angeblich geplanten Terroranschläge auf Passagiermaschinen erstaunlich wenig bekannt
Es ist immer wieder faszinierend zu beobachten, wie besonders Informationen, die mit dem Terrorismus zu tun haben, sich in den Medien verbreiten, ohne nennenswert reflektiert und ihrer Bedeutung gewürdigt zu werden. Der letzte Fall waren die sogenannten „vereitelten Terroranschläge“ in Großbritannien (Im Krieg mit "islamischen Faschisten"). Endlos wurden die dünnen Details, die Erfolge der britischen Sicherheitskräfte, die Spur nach Pakistan oder die politisch motivierten Übertreibungen der britischen und der amerikanischen Regierung über die Bedrohung wiederholt, als ob es darum ginge, dem Terrorismus mitsamt der durch ihn geschürten Panik erneut zum Durchbruch zu verhelfen, obgleich Skepsis gerade bei den wiederholten Schlägen ins Leere der britischen und amerikanischen Regierungen sowie deren Angewiesenheit auf den Terror aufgrund des von ihnen geführten Kriegs gegen den Terrorismus dringend angebracht wäre. Viele Briten hingegen seien, berichtet der Guardian, wenn nicht skeptisch, sondern zurückhaltend und warten erst einmal ab, was die Sicherheitsbehörden wirklich aufdecken und vor allem beweisen können.
Auch wenn die britische Regierung, ohne bislang Beweise für einen tatsächlich unmittelbar drohenden Terroranschlag „in unvorstellbarem Ausmaß“ vorzulegen, zwar die Sicherheitsvorkehrungen von „critical“ (unmittelbare Drohung eines Anschlags) auf „severe“ (sehr wahrscheinliche Drohung) abgesenkt hat, scheint sie – ebenso wie die US-Regierung - weiterhin aus den „vereitelten Terroranschlägen“ politisch Kapital schlagen zu wollen. Man untersuche, so Innenminister Reid, Dutzende von weiteren Anschlagsplänen, habe vier große Terroranschläge verhindert, die Gefahr sei „chronisch“. Und immer wieder wird auf die drohende Gefahr hingewiesen, die man nun nicht mehr globalen oder islamistischen Terrorismus nennt, sondern mehr und mehr als „islamischen Faschismus“ kennzeichnet, ein Begriff, der aus der konservativen Ecke stammt. Damit werden die islamistischen Terroristen nicht nur wie bislang durch Bush auf die Ebene einer „totalitären“, also dem Kommunismus oder Faschismus vergleichbaren Ideologie gehoben, weil man sie wohl aus Vorsicht gegenüber eigenen Anhängern nicht als religiöse Fundamentalisten bezeichnen will, sie werden auch mit der Bedrohung gleichgesetzt, die vom faschistischen Deutschland ausging, das die Welt in einen ganz anderen Krieg als mit Anschlägen und asymmetrischen Konflikten gezogen und einen beispiellosen Völkermord an Juden und anderen Minderheiten bewerkstelligt hat. Da man nun mit dem neuen, salonfähigen Begriff den Islam selbst als faschistisch verstanden wissen will, bereitet man zudem den Boden für jenen Kreuzzug, von dem die islamistischen Fundamentalisten und Terroristen immer geschwafelt haben. Man versucht nicht mehr, die radikalen von den gemäßigten Muslimen zu unterscheiden, sondern man setzt sie gleich, um so dann die existenzielle Bedrohung zu kreieren, die auch die islamistischen Terroristen anführen, um ihren Kampf gegen das Böse zu rechtfertigen.
Trotz der Festnahme von mittlerweile 24 Verdächtigten in Großbritannien (ein Mann musste wieder freigelassen werden) und zahlreichen Durchsuchungen und Beschlagnahmungen, darunter Dutzende von Computern der Verdächtigten und von Internetcafes, ist noch immer genauso wenig bekannt wie bei den ersten Informationen. Der in Pakistan am 4. August festgenommene und möglicherweise gefolterte Rashid Rauf soll der Drahtzieher des mutmaßlichen Plots sein und angeblich Verbindungen zu al-Qaida haben. Seine Aussagen führten zum Zuschlagen der britischen Sicherheitsbehörden, ein Bruder ist unter den in Großbritannien Verdächtigten. Angeblich steht die Auslieferung von Rauf kurz bevor. Warum dieser allerdings überhaupt festgenommen wurde, ist weiterhin ungewiss. Dass der in Pakistan gesuchte Matiur Rehman Kontakte mit Rauf hatte, wie US-Medien verbreiten, bestreiten pakistanische Behörden. Bekannt ist auch nicht, ob die Verdächtigten irgendetwas mit den Attentätern vom 7. Juli zu tun hatten, auch nicht, welcher Art ihre Verbindung überhaupt ist. Kaum Informationen gibt es auch darüber, warum die britischen Sicherheitsbehörden plötzlich zuschlugen. Vermutungen gibt es viele. Standen Anschläge unmittelbar bevor? Wurde ein Probelauf geplant? Hätte die Festnahme von Rauf in Pakistan die Überwachung auffliegen lassen? Gab es Druck aus Washington? Oder gar innen- oder außenpolitische Zwänge für einen erneuten Spin?
Die Informationspolitik der Sicherheitsbehörden läuft zumindest dem Namen ihrer „Operation Overt“ zuwider. Zwar heißt es mittlerweile, man habe möglicherweise Materialien gefunden, die zum Herstellen von Bomben geeignet seien, allerdings sind die für die Herstellung von Flüssigsprengstoff, den die mutmaßlichen Attentatsplaner verwenden wollten, notwendigen Mittel in vielen Produkten enthalten und in Drogerien oder Baumärkten zu erwerben. Noch hat die Polizei aber nicht verraten, welchen Sprengstoff die Verdächtigten für ihren angeblich unmittelbar bevorstehenden Anschlag verwenden wollten - Experten vermuten, es könnte sich um Peroxid-Verbindung wie etwa TATP (Triacetontriperoxid) handeln.
Ob bereits präparierte Behälter – angeblich sollten Trinkbehälter mit doppelten Boden verwendet werden – gefunden wurden, bleibt unbekannt. Keine Hinweise werden auch gegeben, wie denn die Verdächtigten im Flugzeug die Grundstoffe des Sprengstoffs mischen und wie sie ihn zünden wollten. Dass zu all diesen Fragen nichts bekannt gegeben wurde, mag vielleicht daran liegen, dass man möglichen Nachahmern keine Anleitung an die Hand geben oder noch heiße Spuren verfolgen will, deutet aber eher darauf hin, dass sich der Anschlag eher noch in einem sehr abstrakten Planungsstadium befand und keineswegs unmittelbar bevorstand. Die kärglichen Informationen sind auch deswegen verwunderlich, weil die Verdächtigten doch angeblich schon seit Monaten unter intensiver Überwachung standen. Jetzt heißt es, dass die Untersuchung sehr viel Zeit erfordere, weil die Polizei so vielen Spuren und Hinweisen im In- und Ausland folgen müsse. An sich müssten die Verdächtigten heute aus der Haft entlassen werden, wenn keine Klage erhoben wird, angeblich wollen aber die Sicherheitsbehörden für die Verhöre die Sicherungshaft verlängern. Sie wurde in Großbritannien vor kurzem auf 28 Tage verlängert, die britische Regierung würde gerne Verdächtige ohne Anklage bis zu 90 Tagen festhalten.
Auch was den Plan selber angeht, ist wenig Genaues zu vernehmen. Sprechen die einen von 12 Flugzeugen, die in die Luft gesprengt werden, so andere von 10 oder auch von 6. Ob sie über dem Atlantik gesprengt werden sollten oder über britischen oder amerikanischen Städten, ist ebenfalls eine Sache der zahlreichen Spekulationen, in denen sich Medien und Experten gefallen, wenn sie den sehr abstrakten Plot des „vereitelten Anschlags“ mit Fleisch füllen. Sollten die britischen (und amerikanischen) Sicherheitsbehörden dieses Mal wieder keine handfesten Beweise für einen unmittelbar drohenden und vereitelten Terroranschlag vorlegen können, steht zu befürchten, dass allgemein die Skepsis gegenüber den Regierungen und ihren Verlautbarungen und Forderungen nach weiteren Sicherheitsmaßnahmen und Einschränkungen der Bürgerrechte weiter zunimmt, während man, auch aufgrund des unkritischen Medienhypes, wirklichen Gefährdungen immer weniger Glauben schenken wird.