Im Krieg mit "islamischen Faschisten"
Update: Der angeblich geplante, aber bislang noch sehr im Vagen bleibende "Massenmord in unvorstellbarem Ausmaß" stellt wieder einmal die Frage, wem das Drücken der "Paniktaste" nutzt
Zumindest was die Wortwahl betrifft, haben die britischen Sicherheitsbehörden ausgeführt, was Terroristen – zumindest der Theorie nach – bewirken wollen: Angst und Panik. Man habe, so hieß es in einer offiziellen Verlautbarung, einen „Massenmord in unvorstellbarem Ausmaß“ und Opfer „in einer noch nie dagewesenen Ausmaß“ (Innenminister Reid) verhindert und 24 Verdächtige festgenommen. Gleichwohl wurde die Warnstufe vom Geheimdienst MI5 auf die höchste Stufe für einen unmittelbar drohenden Anschlag gesetzt (erst Anfang August hatte das Innenministerium die Warnhinweise verändert), während man drastische Kontrollen an den Flughäfen umsetzte, die zu einem Chaos führten.
Bislang ist weder klar, welchen Plan die möglichen Attentäter tatsächlich hatten, noch wann sie ihn durchführen wollten (mittlerweile heißt es, die Verdächtigen wollten zuerst einen Test und dann am 22. August den Anschlag durchführen, andere sprechen vom 16.8.). Informanten sprechen angeblich davon, dass der Anschlag in den nächsten zwei Tagen hätte ausgeführt werden können, offizielle Verlautbarungen halten sich allerdings immer noch zurück. Michael P. Jackson vom US-Heimatschutzministerium gibt wohl den im Ungefähren bleibenden Kenntnisstand wieder:
It's fair to say they were aiming for multiple flights, and some of the exact data of who they would deploy, and how many might be in one deployment, are somewhat ambiguous. There were different data sets about their intentions over time that evolved over the period of time that we were following this. It did seem in more recent days to have centered upon carriers that had direct, nonstop flights between the U.K. and U.S.
Nach Informationen der Polizei wollten die Verdächtigen angeblich flüssigen Sprengstoff im Handgepäck auf Flugzeuge von US-Fluglinien, die in die USA fliegen, schmuggeln und während des Fluges zur Explosion bringen. Unbekannt ist trotz der angeblich unmittelbar bevorstehenden Ausführung, welchen Sprengstoff sie verwenden und wie sie ihn im Flugzeug "anmischen" und dann zünden wollten. Die Polizei spricht davon, dass Anschläge gleichzeitig oder in Wellen stattfinden sollten, so dass jeweils mehrere Flugzeuge gleichzeitig zerstört werden. Insgesamt sollten es 10 sein, manche sprechen von 12 Flugzeugen. Man könnte sich vorstellen, dass die Anschläge, sofern sie denn tatsächlich mehr als eine Idee waren, zum 5. Jahrestag des 11.9. geplant waren. Aber vermutlich hätten sie weder im Ausmaß noch im Hinblick auf die mediale „Ästhetik“ die Anschläge vom 11.9. überbieten können, wie die britische Regierung behauptet, um den Vorgang zu dramatisieren.
Der Innenminister Reid teilte mit, dass die Hauptverdächtigen festgenommen worden seien. Das sollte das Risiko eigentlich auch verringern, zumal nach Angaben der Polizei die Verdächtigen schon über Monate beobachtet worden seien und man aus Sicherheitsgründen jetzt zuschlagen musste, wobei es gleichzeitig heißt, dass die Untersuchung auch noch lange in die Zukunft reichen werde, da jetzt, so Peter Clark, Antiterrorchef von Scotland Yard, nur eine „Kulmination“ erreicht worden sei. Es habe sich um eine große Gruppe von Menschen gehandelt und um eine global geplante Tat. Festgenommen wurden junge britische Staatsbürger, in der Mehrzahl pakistanischer Abstammung. Die Namen von 19 der Festgenommenen wurden inzwischen veröffentlicht, ihre Konten gesperrt. Die jungen Männer üben ganz unterschiedliche Berufe und stammen aus unterschiedlichen sozialen Schichten aus, zwei sind erst vor kurzem zum Islam übergetreten.
Nach Gerüchten soll nach weiteren 10 Personen gefahndet werden, andere sprechen von fünf, in Haft befinden sollen sich jetzt bereits 24 Personen. Auch in Pakistan wurden Verdächtige verhaftet, die angeblich über den Plan ausgesagt haben. Ein Auslöser für den schnellen Schlag gegen die mutmaßlichen Attentäter scheint die Information gewesen zu sein, dass Geld zu zwei der Verdächtigen aus Pakistan überwiesen worden war. Gerade mit Hinblick auf Informationen und Verdächtige aus Pakistan hatte bereits eine groß propagierte britisch-amerikanische Antiterror-Maßnahme schon einmal eine Bauchladung erzielt: Dummheit oder schon wieder ein politischer Coup?. Ob bei den Attentätern vom 7.7. eine entscheidende Verbindung nach Pakistan, wie man ursprünglich glaubte, bestanden hat, wurde selbst von der Polizei in Zweifel gezogen: "Vier normale Männer, die das Internet benutzten").
Nach neueren Informationen wurde die Kommunikation der Verdächtigen im Internet abgehört. Dort hätten sie über ihre Anschlagspläne gesprochen, aber anscheinend war ihnen - so kurz vor dem angeblich beabsichtigten Termin - noch selbst unklar, wie sie vorgehen sollten:
Surveillance on internet traffic between the suspected terrorists indicated that they had considered setting off their devices simultaneously in mid-Atlantic but had also discussed trying to blow up the aircraft as they circled above the destination cities. The aim was to cause maximum death and destruction in the air and on American soil.
Man muss sich nun fragen, da „Zahl, Ziel und Zeit“ der anvisierten Flüge im Vagen bleiben, wie lange die strengen Kontrollen an den Flughäfen aufrechterhalten werden oder ob sie eher ein Zeichen dafür sein sollen, wie ernst die Regierung den Plan nimmt und wie besorgt sie um die Sicherheit der Bürger ist, denen sie mit den Maßnahmen gleichzeitig Angst einjagt. Sollte der Anschlagsplan tatsächlich, wie es jetzt heißt, den 22. August vorgesehen haben, dann müssten bis mindestens dahin die verschärften Kontrollen aufrechterhalten, wenn nicht alle Mitglieder der Gruppe gefasst wurden. Die dürften allerdings, falls sie weiterhin den Anschlag ausführen wollten, ihre Pläne verändern.
Die Kontrollen und die Verbote, die das Reisegepäck betreffen, belegen zwar, dass man die Gefahr wohl in Flüssigsprengstoff sieht, verboten sind aber neben allen möglichen elektronischen Geräten von Notebooks über iPods bis hin zu Handys auch elektrische Schlüssel. Offenbar wird auch befürchtet, dass eine Fernzündung eingesetzt werden könnte.
Die US-Regierung spricht gleich davon, dass man hier die Handschrift von al-Qaida sehen würde. Heimatschutzminister Chertoff wusste auch, dass geplant gewesen sei, den Flüssigsprengstoff versteckt in Getränken, elektronischen Geräten und anderen Dingen zu transportieren, zudem sei die Planung bereits im Endstadium gewesen. Auch wenn die Warnstufe in den USA nicht allgemein, sondern nur für internationale Flüge erhöht wurde, so wird der mögliche Terrorplan, der „von vielen Menschen, auf internationaler Ebene und sehr ausgeklügelt“ entwickelt worden sei, politisch ausgeschlachtet. Chertoff rühmte die gute Zusammenarbeit der britischen und amerikanischen Behörden und Regierungen:
The American public can be assured that the United States government will continue to do everything in its power, under the leadership of President Bush, and in cooperation with our British and other allies, to defend our nations and our world.
Und US-Justizminister Gonzales versicherte nicht nur, dass die Sicherheitsbehörden und Geheimdienste alles täten, um die amerikanischen Bürger zu schützen, sondern wies auch sicherheitshalber darauf hin, dass der Anschlagsplan Zeugnis davon ablege, dass die USA eine „Nation im Krieg“ seien. Die Bedrohung sei real und es gebe „einen tödlichen Feind, der jeden Morgen aufwacht, um sich neue Möglichkeiten auszudenken, unschuldige Männer, Frauen und Kinder zu töten, und der jede Nacht davon träumt, wie er Zerstörung über die Freiheit liebende Länder bringen kann“. Man arbeite weiterhin „mit unseren Kollegen auf der ganzen Welt“ daran, ihre Operationen abzuwehren.
Auch Präsident Bush nutzt die Gunst des mit den Briten gemeinsam aufgedeckten Terrorplans, bevor er sich möglicherweise wieder einmal als relativ dünne Geschichte erweisen könnte, um die Arbeit seiner Regierung im In- und Ausland – soll man hier nicht nur an Afghanistan oder den Irak, sondern jetzt auch an den Nahen Osten, aber auch an die Lauschaktionen und andere Einschränkungen der Bürgerrechte denken? – hervorzuheben. Man lebe in einer gefährlichen Welt, aber die USA seien nach dem 11.9. sicherer geworden. Die Festnahmen seien aber eine „starke Erinnerung an unsere Mitbürger, dass sich diese Nation im Krieg mit islamischen Faschisten befindet, die alle Mittel benutzen, um die unter uns zu vernichten, die die Freiheit lieben, und um unserer Nation zu schaden.“
Der britische Innenminister Reid hatte bereits in einer Rede am Vorabend davon gesprochen, dass die Terroristen die größte Gefahr seit dem Zweiten Weltkrieg darstellen würden. Man muss offenbar stark in die Kiste greifen, den Faschismus und gewonnene Kriege wiederbeleben, um dann vor allem wieder stärkere Antiterror-Gesetze zu fordern und Kritiker zu attackieren, die beispielsweise an Menschenrechte oder den Rechtsstaat erinnern, dass sie nichts verstünden, da es „um Leben und Tod“ gehe. Für Feinheiten oder Analysen, wie sich der islamistische Terrorismus ausbreiten und halten kann, der überall der gleiche sei und ein zusammenhängendes Netz bilde, bleibt hier kein Platz. Reid wollte mit seiner Rede ganz offenbar auch weitere Antiterrorgesetze ankündigen, also weitere Einschränkungen der Bürgerrechte, obgleich er auch behauptet, dass in den letzten sechs Jahren 13 Anschlagspläne verhindert worden seien:
Sometimes we may have to modify some of our freedoms in the short term in order to prevent their use and abuse by those who oppose our fundamental values and would destroy all of our freedoms in the long term.
Entsprechend ist auch die reflexartige Reaktion mancher in Deutschland, das in keiner Weise mit dem möglichen Anschlagsplan in Zusammenhang gebracht wird. Man mag noch nachvollziehen, dass auch hier die Kontrollen verstärkt werden, um sich nicht nachsagen zu lassen, man habe etwas versäumt. Aber wenn dann etwa Unionsfraktionsvize Bosbach Deutschland im Kontext der mutmaßlichen britischen Anschlagspläne zum Teil eines „größeren Gefahrenraums“ macht, um daraus zu folgern, dass „unsere Sicherheitsmaßnahmen verschärft werden“ müssen, liegt die Instrumentalisierung auf der Hand. London muss herhalten, um zusätzliche Antiterrorgesetze wie die Einrichtung einer zentralen Terrordatei durchzusetzen, die vom Bundeskabinett bereits gebilligt wurden (Geheimdienste bekommen mehr Befugnisse).
Nachdem nun die britische und die amerikanische Regierung den „Panikknopf“ gedrückt haben, wie The First Post kommentiert, ist die Notwendigkeit um so größer auch nachzuweisen, dass ein drohender Anschlag wirklich bevorstand. Zu oft haben sich aufgedeckte Terrorpläne als Luftblasen erwiesen. Zur Kriegsbegründung im Irak, zum Zündeln mit dem Iran oder zur Stützung Israels durch Verschleppen einer Waffenruhe im Libanon würde aber auch ein ernstzunehmender Anschlagsplan nicht ausreichen, der schon eher, zumal es sich bislang um britische Muslime handelt, dafür spricht, dass der Irak-Krieg und die Haltung zum Nahostkonflikt die Lage unsicherer gemacht haben.
Auffällig ist, dass von den britischen und amerikanischen Regierungen kaum Details bekannt gegeben werden. Die Medien haben also wenig Material, so werden die kargen Informationen mitsamt den Erfolgsmeldungen und der Gefahrendarstellung endlos und praktisch unkommentiert wiederholt. Der US-Sender ABC weiß, ohne die Quellen zu nennen, dass die Attentäter geplant hätten, den Sprengstoff in Behältern von Sportgetränken zu verstecken und ihn mit einer Digitalkamera zu zünden. Im oberen Teil der Behälter sollte das rote Originalgetränk bleiben, unter einem eingezogenen Boden wollte man den ebenfalls rot gefärbten Sprengstoff einfüllen. So hätten sie bei Kontrollen selbst aus dem Behälter trinken und damit die Sicherheitskräfte täuschen können. Diese Version zirkuliert nun unter mehreren Varianten in den Medien. Beispielsweise wird vermutet, dass die einzelnen, an sich garmlosen Komponenten wie Wasserstoffperoxid erst im Flugzeug zum Sprengstoff gemischt werden sollten, fraglich ist nur, wie das tatsächlich hätte durchgeführt werden sollen. Und obwohl die Wohnungen der Verdächtigen und andere Gebäude durchsucht worden sind, hat die Polizei offenbar noch keine Hinweise auf den Sprengstoff gefunden.