Dummheit oder schon wieder ein politischer Coup?
Vermutlich um ihre Glaubwürdigkeit angesichts der Zweifel gegenüber den Terrorwarnungen zu stärken, hat die Bush-Administration den Namen eines Maulwurfs in Pakistan bekannt gegeben und damit wichtige Aufklärung über das al-Qaida-Netzwerk abgewürgt
Noch immer sind die Zweifel groß, ob die vom US-Heimatschutzministerium am Sonntag, den 1. August, ausgegebene Terrorwarnung ein vernünftiger Schritt war oder nicht doch vornehmlich aus politischen Kalkülen erfolgte. In New York, Washington und Newark wurde die Warnstufe von erhöht auf hoch umgestellt, da angeblich mit Anschlägen gegen Finanzinstitutionen gerechnet werden müsse (Code orange für New York, Washington und Newark). Nachdem jedoch schnell Zweifel aufkamen und sich herausstellte, dass die Warnungen auf Informationen zurückgingen, die weitgehend drei oder vier Jahre alt waren und aus der Zeit vor dem 11.9. stammten, kam es möglicherweise zu einer Fehlentscheidung, die gerade für die Bush-Regierung peinlich sein muss.
Am Montag wurden Reportern der New York Times und der Washington Post von Geheimdienstmitarbeitern oder anderen "officials" weitere Informationen geboten. Ob diese den Terrorverdacht bestätigen oder unterminieren sollten, lässt sich kaum entscheiden. Da offenbar nur eines der Dokumente neueren Datums war und vom Januar 2004 stammt, konnte man erst einmal annehmen, dass hier den Medien nicht unbedingt die Informationen zugespielt wurden, die die Bush-Regierung der Öffentlichkeit bekannt geben wollte. Aber wer weiß, was in den Schaltstellen für strategische Kommunikation ausgebrütet wird? Allerdings funktioniert es trotzdem, wie gerade die neue Ausgabe der Time demonstriert, die damit Quote erzielen will, den Amerikanern Angst zu machen.
Allerdings war schon zuvor zur Erhärtung der Bedrohungswahrscheinlichkeit und als Erfolg der Antiterrorpolitik bekannt gegeben worden, dass bereits am 13 Juli ein wichtiges al-Qaida-Mitglied in Pakistan festgenommen worden ist und dieser Erfolg schließlich auch zu der Festnahme von Ghailani führte, einem der meistgesuchten al-Qaida-Terroristen, der dann passend während des Parteitags der Demokraten präsentiert wurde (Termingerechte Lieferung eines von der US-Regierung bestellten Topterroristen). Beide Festnahmen werden von der Bush-Regierung auch als Beweis dafür gepriesen, dass deren Außenpolitik im Fall von Pakistan richtig war und das Land nun ein wichtiger Mitstreiter im Kampf gegen den Terrorismus ist. Man wies darauf hin, dass dieser 25-Jährige namens Muhammad Naeem Noor Khan ein Vertreter der "neuen al-Qaida", ein vielgereister, gebildeter und mit guten Computerkenntnissen ausgestatteter junger Mann sei, der fließend Englisch spricht. Von ihm, der als eine Art Kommunikationszentrum fungierte, würden die "ungewöhnlich konkreten" Hinweise auf Terrorziele stammen, die man auf Laptops und CD-ROMs gefunden hatte.
Kurz darauf wurden in Großbritannien 12 mutmaßliche al-Qauida-Mitglieder festgenommen, die einen Anschlag auf den Flughafen Heathrow geplant haben sollen. Auch hier blieb ungewiss, wie konkret die Pläne und ob sie überhaupt noch aktuell waren. Unter den Festgenommenen befand sich Abu Eisa al-Hindi, der - wie das so oft zur Bedeutungssteigerung schon gemacht wurde - Chef der britischen al-Qaida sein und Anfang 2001 in die USA gereist sein soll, um dort Anschlagsziele wie die Finanzinstitutionen zu erkunden. Womöglich soll er noch weitere Helfer gehabt haben und möglicherweise soll er auch der Autor der in Pakistan gefundenen Dokumente sein, die jetzt zur Terrorwarnung führten. Al-Hindi soll auch für Khalid Shaikh Mohammed, der wiederum als "Mastermind" für den 11.9. gilt, ein wichtiges Verbindungsglied gewesen sein. Seltsam mag auch sein, dass al-Hindi schon länger unter Beobachtung von britischen Sicherheitsbehörden aufgrund amerikanischer Hinweise gestanden haben soll.
Allerdings gibt es, wie es sich für Nachrichten aus dem Terrorismus- und Geheimdienstbereich fast schon gehört, auch andere Berichte, um einen engen Zusammenhang zwischen Pakistan, Großbritannien und USA zu bilden. Khan, so will es der Telegraph vernommen haben, soll nämlich der sein, der einen Anschlag mit einer "riesigen Bombe" auf Heathrow geplant habe. Er sei deswegen mehrere Male, zuletzt vor acht Monaten, nach Großbritannien gefahren, habe in der Nähe des Flughafens gewohnt (bei seiner Tante und Großmutter in Reading) und diesen ausgekundschaftet. Wie auch immer, der Telegraph berichtet jedenfalls, dass Khan offenbar nach seiner Festnahme mit dem pakistanischen Geheimdienst zusammen gearbeitet und an weitere al-Qaida-Mitglieder codierte E-Mails geschickt habe, in denen er nach deren Aufenthaltsort fragte, um sie so fassen zu können.
Khan also hat, wie jetzt auch durch andere Reporter bestätigt wurde, die Kontakte mit Mitarbeitern des pakistanischen Geheimdienstes haben, nach seiner heimlichen Festnahme als Doppelagent gearbeitet - was er solange machen konnte, bis die Bush-Regierung oder "officials" dessen Festnahme und Identität den Medien übermittelten. Damit war der Maulwurf entlarvt und nutzlos. Die hastig erfolgten Festnahmen in Großbritannien erklären sich auf diesem Hintergrund. Man wollte nicht warten, bis diejenigen, mit denen Khan Kontakt hatte, untertauchen. Nachdem Khan noch am Sonntag und Montag E-Mails an sie geschrieben hatte, mussten sie wissen, wenn sie die Nachrichten verfolgten, dass es sich aus ihrer Sicht um einen Verräter handelt, da er schon mehrere Wochen in Gefangenschaft war.
Mit der Enttarnung von Khan ist dieser also nutzlos geworden, womit eine, wenn nicht vielleicht die bislang wichtigste Quelle für konkrete Informationen über das al-Qaida-Netzwerk versiegt war. Er soll, wie Gerüchte sagen, womöglich auch in Kontakt mit Leuten in den USA gestanden haben, die einen Anschlag vor den Präsidentschaftswahlen planen wollen (was auch ein Bestandteil der von der US-Regierung ausgegebenen Terrorwarnung war, jetzt noch einmal von Time breit getreten wird und mit Überlegungen zusammenhängt, ob sch dann nicht die Wahlen verschieben lassen könnten). Die Frage ist natürlich, warum amerikanische Geheimdienstmitarbeiter oder gar Mitglieder der Bush-Regierung das gemacht haben, schließlich waren die fehlenden Informationen aus dem al-Qaida-Umkreis eines der großen Mankos der Geheimdienste.
Noch versucht die Bush-Regierung, die Festnahmen in Pakistan und Großbritannien als große Erfolge darzustellen, aber es wird kaum vermieden werden können, den peinlichen Rückschlag aus der größeren Öffentlichkeit herauszuhalten. Für die Bush-Regierung könnten sich zwei mögliche Erklärungen für den Missgriff als äußerst unangenehm erweisen. Wenn die Aufdeckung nur aus Dummheit geschehen ist, dann ist drei Jahre nach dem 11.9. die Kompetenz der Geheimdienste und damit auch die Bush-Regierung, die sich der Fortschritte im Kampf gegen den Terrorismus und vielfältiger Reformen rühmt, zumindest angeschlagen. Aber die Aufdeckung könnte natürlich auch aus politischen Gründen erfolgt sein, was die Position der Bush-Regierung noch schlimmer machen würde. Wurde so Khan gewissermaßen geopfert, um die ausgegebene Terrorwarnung glaubwürdiger zu machen, dann dürften die Kontakte von Khan, mit denen er über Websites und E-Mails kommuniziert hatte, nun noch vorsichtiger werden. Die Chance, in den aktuellen Kern zumindest eines Teils des al-Qaida-Netzwerks einzudringen, ist jedenfalls vorerst vertan.