Von der Ohnmacht der Aufklärung

Seite 3: Das große "Arbeiterlegen"

Im Grunde ahnen oder spüren die Menschen, dass sie überflüssig sind oder es demnächst werden. Das, was man Digitalisierung nennt, wird sich als gigantisches "Arbeiterlegen" (Helmut Reinicke) erweisen, die Wiederholung dessen, was Marx im Kontext der "ursprünglichen Akkumulation des Kapitals" als "Bauernlegen" beschrieben hat.

Aus Bauern sollten Lohnarbeiter werden, heute werden diese zu Dienstleistern und Datenproduzenten. Das Kapital hat sich von der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft weitgehend emanzipiert und nullt gespenstisch und tautologisch vor sich hin. Geldströme zischen um die Erde. Die Erscheinungsweise des Kapitals wird seinem Begriff adäquat: Es ist sich selbst verwertender Wert, Geld heckendes Geld, das zum Zwecke seiner Vermehrung kaum noch den Umweg über die Produktion realer Dinge geht.

Das Finanzkapital ist der automatische Fetisch, die vor sich hin nullende Null, die Marx als logischen Endpunkt der Verselbständigung des Wertes begriffen hat. Die Menschen sind gehalten, das ihnen zur Verfügung stehende Geld auszugeben, Serien zu gucken, über ihre Smartphones zu wischen und dabei Daten zu produzieren, das ist alles.

Das vage Gefühl der Überflüssigkeit ist der Kern der um sich greifenden Indifferenz. Die aus dieser Indifferenz rührende Leidenschaft ist der Hass, ein Hass, der ohne Gegenstand und ohne Bindung an ein Objekt ist. Bindungslosigkeit ist die sozialpsychologische Signatur des Zeitalters.

Die wirtschaftlichen Mächte sind damit beschäftigt, in einer sich totalisierenden Warenproduktion Bindungen bewusst zu zerstören, weil sie die Flexibilität und Mobilität behindern. Die Menschen sollen alle Hemmungen, und Bindungen sind Hemmungen, ablegen, damit sie zu allem fähig werden. So ist es denn auch.

Vandalismus und Wahnsinn

Die historische oder leidenschaftliche Gewalt hatte einen Gegenstand, einen Feind, einen Zweck. Der Hass hat keinen. Er ist etwas ganz anderes. Selbst der Klassenhass erscheint im Rückblick beinahe als eine bürgerlich-kleinbürgerliche Leidenschaft. In der glitzernden Welt des Konsums und der Serien scheint Widerstand nur noch in Form des Vandalismus oder Wahnsinns möglich zu sein.

Gegenwärtig kristallisiert sich der Hass an der und um die Impfung aus, die auch als Metapher für all das verstanden werden kann, was den Menschen von außen und oben angetan und zugefügt wird. Da der wirkliche Aggressor im Verborgenen bleibt und nicht oder nur schwer ausmachbar ist, hält man sich an den, der sicht- und greifbar ist.

Und das ist Karl Lauterbach mit seiner Spritze und die Regierung, die im Nebel der Pandemie herumstochert und versucht, die Bevölkerung zu schützen. Wenn eine staatliche Ordnung, die wir als Bedingung unseres Lebens vorfinden, Überleben und geschichtliche Errungenschaften nicht mehr zu sichern vermag, verliert sie ihre Legitimität und ist dem Untergang geweiht.

Angesichts des Mangels an emanzipatorischen Alternativen und der Schwäche der linken Kräfte, steht zu befürchten, dass es die Rechtsradikalen sein werden, die von der Selbstzerstörung der bürgerlichen Ordnung und dem mit ihr einhergehenden moralischen Zerfall profitieren. Das hatten wir schon einmal.

Götz Eisenberg ist ein deutscher Sozialwissenschaftler und Publizist. Er arbeitete als Gefängnispsychologe und ist Autor zahlreicher Bücher. Eisenbergs Durchhalteprosa erscheint regelmäßig bei der GEW Ansbach.