Von der Politik zur Subpolitik, vom Nationalstaat zum Transnationalstaat

Ein Gespräch mit dem Soziologen Ulrich Beck über die Folgen und die Chancen der Globalisierung als dem "Weichspüler" der Institutionen.

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R. Stoilova hat sich mit Ulrich Beck, dem bedeutendsten deutschen Theoretiker der Globalisierung, über die Umgestaltung der Politik, die neuen politischen Akteure, die Strategien der Subpolitik, den Eintritt in die Weltgesellschaft und dem Ende des Nationalstaates unterhalten. Eben ist das neue Buch von Ulrich Beck mit dem Titel "Was ist Globalisierung?" in der Edition Zweite Moderne des Suhrkamp Verlages erschienen. Das Gespräch faßt die dort von Beck vertretenen Analysen und Thesen zusammen. Wegen der Länge des Gespräches wurden von Telepolis die Fragen gelegentlich anders formuliert und die Antworten jeweils mit einem internen Link als Subtext angeordnet.

Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Erster und Zweiter Moderne ist die Unrevidierbarkeit erfolgter Globalität. Das Heißt: Wir leben in einer multidimensionalen, polyzentrischen, kontingenten, politischen Weltgesellschaft, in der transnationale und nationalstaatliche Akteure Katz und Maus miteinander spielen. Globalität und Globalisierung meinen also auch: Nicht-Weltstaat. Genauer: Weltgesellschaft ohne Weltstaat und ohne Weltregierung. Es entsteht ein global desorganisierter Kapitalismus, denn es gibt keine hegemoniale Macht und kein internationales Regime - weder ökonomisch noch politisch.

Ulrich Beck

Unter den Fahnen der Globalisierung geht es, wie Sie schreiben, nicht nur den Gewerkschaften, sondern auch der Politik und dem Staat ans Fell.Was tritt an die Stelle des herkömmlichen Staates?

Transnationale Unternehmen wie BMW oder Siemens zahlen im Inland überhaupt keine Steuern mehr. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, daß die teure sozialstaatliche Demokratie in Zukunft von den Globalisierungsverlierern bezahlt werden soll, während die Globalisierungsgewinner mit immer weniger Arbeit und immer weniger Steuern immer höhere Gewinne erzielen.

Ulrich Beck

Die gängigen Politikkoordinaten - rechts und links, konservativ und sozialistisch, Rückzug und Teilhabe - greifen nicht mehr. Was hat zu diesem Zusammenbruch der politischen Ordnung geführt?

Mit dem Verlust der Links-Rechts-Orientierung entwickelt sich aus Ihrer Sicht die heutige Politik zum Stummfilm. Kann es dennoch zu einer Restauration der Links-Rechts-Eindeutigkeiten kommen?

In Bulgarien wie in den anderen ehemaligen kommunistischen Ländern scheint das Modell des "Runden Tisches" zum Treffen von politischen Entscheidungen von der Zeit überholt worden zu sein. Was spricht weiterhin für das Modell des "Runden Tisches", den Sie als eine Form "konsensstiftender Zusammenarbeit zwischen Industrie, Politik, Wissenschaft und Bevölkerung" betrachten?

Risikonachrichten, die so sicher wie das Amen in der Kirche sind, entwerten Kapital, zwingen Unternehmen letztlich weltweit dazu, die möglichen Bedenken der Konsumenten in den wachen Ländern des Westens ernst zu nehmen, ja, sie in der Herstellung von Produkten und Dienstleistungen vorwegzunehmen.

Ulrich Beck

Die Partei der Nichtwähler ist im Westen wie auch im Osten die einzige Partei, die solide Zuwächse verzeichnen kann. Was wird aus den Parteien im Zeitalter des "und", das für Sie die "Entweder-oder"-Epoche der Industriezeit ersetzt?

Sie behaupten, daß die Jugendlichen - die "Kinder der Freiheit" - eine hochpolitische Politikverleugnung praktizieren. Wie läßt sich auf diese Politikverleugnung reagieren?

Man kann nicht Hurra-Kapitalismus und Selbstlosigkeit predigen - und dann die Jugendlichen beschimpfen, wenn sie Politikern mißtrauen und davonlaufen.

Ulrich Beck

Unter dem Druck der Globalisierung müsse, wie Sie sagen, das Politische neu erfunden werden. Welche Möglichkeiten sehen Sie zur Erfindung des Politischen besonders in den neuen Demokratien in Osteuropa?

Sie sprechen von einer "Zweiten Moderne" und der "reflexiven Modernisierung". Was verstehen Sie darunter und welchen Bezug haben diese Begriffe zur Postmoderne?

Welche Herausforderungen für die Soziologie entstehen aus der "Zweiten Moderne"? Wird ein anderes Instrumentarium notwendig?

Die Schwerkraft des alten Denkens scheint stark zu sein. Politik befindet sich heute meist noch nicht im Zustand der reflexiven Modernisierung - und der Rückfall in alte Strategien scheint verlockend zu sein. Wie läßt sich mit den Kräften der Gegenmodernisierung umgehen?

Politik muß im Zeichen der Globalisierung und dem Verschwinden der Autonomie des Nationalstaates für Sie nicht nur deregulieren, sondern neue Regeln erfinden. Für Sie wird die Ebene der Subpolitik dabei entscheidend, die einerseits staatliche Autorität untergräbt und andererseits neue Handlungsräume neben dem Staat eröffnet. Was ist Subpolitik eigentlich genauer?

Die Machtbalance, der Machtvertrag der ersten Moderne wird aufgekündigt und - vorbei an Regierung und Parlament, Öffentlichkeit und Gerichten - in der Eigenregie wirtschaftlichen Handelns umgeschrieben. Dadurch ist gleichzeitig Politik in einer beispiellosen Weise herausgefordert. Sie muß gleichsam neu erfunden werden im Sinne einer transnationalen Innenpolitik, die die nationalstaatlichen und nationalkulturellen Entgegensetzungen glaubhaft, d.h. bezogen auf die wohlverstandenen Eigeninteressen der Bevölkerungen, überwindet.

Ulrich Beck

Mit dem Zerfall der alten Institutionen entstehen neue Gestaltungsräume. Sie sprechen etwa vom direkten Stimmzettel des Kaufakts als Reaktion auf die transnationalen Konzerne. Welche neuen Handlungsmöglichkeiten gibt es für die einzelnen in der Weltgesellschaft der Konzerne?

Die politischen Koordinaten der Zukunft werden für Sie von drei Dichotomien geprägt: sicher-unsicher, innen-außen, politisch-unpolitisch. Was verändert sich beispielsweise durch den neuen Horizont der Ungewißheiten?

Die Rede vom Machtverlust staatlicher Politik macht die Runde. Trifft diese Behauptung in ihrer Allgemeinheit wirklich zu?

Eine der wichtigsten Veränderungen, die Sie diagnostizieren, ist der Übergang von politischen zur subpolitischen Ebene. Welche Hoffnungen auf eine Neuerfindung des Politischen lassen sich auf dieser eher selbstorganisierenden begründen?

Transnationalen Subpolitik entsteht erstens aus den Möglichkeiten, Entfernungen zu annullieren durch Informations- und Kommunikationstechnologien, Kapitalströme, Mobilität von Dingen, Symbolen und Menschen; zweitens aus dem Gesetz der wechselseitigen Neutralisierung der Staaten im transnationalen Raum; drittens aus der Staatenlosigkeit der Weltgesellschaft. Die entscheidende Folge ist viertens: Es öffnet sich eine Machtdifferenz zwischen nationalstaatlicher Politik und transnationalen Handlungsmöglichkeiten.

Ulrich Beck

Globalisierung und Subpolitik gehen für Sie einher mit einer Vervielfachung der politischen Akteure. Wo lassen sich bereits Ansätze einer transnationalen Subpolitik erkennen?