Von der allmählichen Verfettung der Menschheit
Erstmals soll es nun mehr übergewichtige und fette Menschen als unterernährte geben
Schon länger warnen Forscher vor einer zunehmenden Verfettung der Menschheit. 1997 hatte die WHO Fettleibigkeit (Adipositas) zu einer Epidemie erklärt. Nicht nur in den Industrieländern, sondern auch in den armen Ländern werden die Menschen älter und dicker. Wenn es denn stimmt, was der Ernährungswissenschaftler Barry Popkin von der University of North Carolina während der Tagung der International Association of Agricultural Economists in Australien berichtet hat, dann hat die Menschheit schon eine symbolische Marke überschritten: Nach Popkin gibt es bereits mehr dicke als unterernährte Menschen.
Mehr als eine Milliarde Menschen seien übergewichtig oder fett, während es auf der Welt etwa 800 Millionen Menschen gibt, die unterernährt und vom Verhungern bedroht sind. Erstmals gibt es damit mehr übergewichtige als unterernährte Menschen. Zudem geht die Zahl der unternährten Menschen allmählich zurück. Also eigentlich ein gutes Zeichen dafür, dass es mehr Menschen offenbar besser geht. „Fettleibigkeit ist jetzt die Norm weltweit“, sagt Popkin, „und Unterernährung ist nicht mehr dominant, auch wenn sie in einigen Ländern noch wichtig ist und in vielen anderen bestimmte Bevölkerungsgruppen trifft.“
Aber wie meist gibt es eben einen Preis. Der Zuwachs der Übergewichtigen erfolgt nach Popkin weltweit in einem rasanten Tempo. Das treffe auch auf die Fettleibigen zu, von denen es bereits mehr 300 Millionen weltweit gibt. Damit steigt auch das Risiko von Herzerkrankungen, Diabetes, Gicht, Rückenbeschwerden, Gallenblasenerkrankungen, Schlaganfall oder manchen Krebsarten. Die Gründe für die Fettleibigkeit sind lange bekannt und erwachsen vor allem aus einer nicht mehr durch große Not geprägte Lebensweise. In China würden diese Veränderungen deutlich. In Städten und auf dem Land nehmen die Chinesen weniger Getreideprodukte zu sich, während der Verzehr von Öl und tierischen Produkten stark ansteigt, körperliche Arbeit abnimmt und die Menschen mehr vor der Glotze sitzen und sich weniger bewegen. „Die Last der Fettleibigkeit wandert nicht nur in den Städten, sondern weltweit auch in den ländlichen Gebieten von den Reichen zu den Armen über“, konstatiert Popkin, der nun die Regierungen im Zwang sieht, diesem Trend gegenzusteuern.
Um die Menschen zu gesünderen Nahrungsmitteln greifen zu lassen, könne man beispielsweise an der Preisschraube drehen und die fettmachenden Produkte teurer verkaufen. Insgesamt müsse man die Kalorienaufnahme verringern. Wie das aber in kapitalistischen Gesellschaften gehen soll, erklärt der Professor nicht, fordert aber die Wirtschaftswissenschaftler dazu auf, mehr über die möglichen ökonomischen Steuerungsmechanismen zu forschen.
Popkins Aufruf schloss sich auch Benjamin Senauer, Direktor des Food Industry Center an der University of Minnesota an. Zusammen mit Masahiko Gemma von der Waseda University verglich er Japan und die USA in dieser Hinsicht. Die USA gehören zu den Ländern, die weltweit am meisten fette Menschen haben, während es in Japan bislang kaum Übergewichtige gibt. Zwar wächst auch deren Zahl langsam, in den USA sind aber bereits zwei Drittel der Erwachsenen nach Senauer klinisch übergewichtig oder fettleibig. Fettleibigkeit hat daher in den USA epidemische Ausmaße angenommen und könnte bald zur größten Todesursache werden (Die Mitglieder der Informationsgesellschaft sterben zunehmend an Verfettung)
Im Vergleich zu Japan wird auch deutlich, woran das liegt. Die Japaner seien einfach körperlich sehr viel aktiver, ohne deswegen massenweise in Fitness-Studios zu gehen. Der durchschnittliche Japaner geht täglich 6,5 Kilometer, während ein Viertel der Amerikaner täglich gerade einmal zwischen 1000 und 3000 Schitte macht. Dazu komme, dass nicht nur das Essen in Japan im Verhältnis zum Einkommen teurer ist, sondern die Japaner weniger auf Quantität als auf Qualität ausgerichtet seien. Wichtig sei auch, dass der Besitz eines Autos in Japan teurer aufgrund hoher Steuern, hoher Parkgebühren und hoher Benzinpreise sei, während die öffentlichen Verkehrsmitteln gut ausgebaut und die Japaner auch bereit seien, zu Fuß zu gehen.
Senauer sieht zwar kaum Chancen darin, fett machende Lebensmittel verteuern zu können, aber er schlägt vor, das Autofahren teurer zu machen und den Ausbau der öffentlichen Verkehrmittel zu fördern. Ansonsten bedeute es heute schon für einen Amerikaner eine erhöhte Anstrengung, ausreichend körperlich aktiv zu sein, oft schließe das auch zusätzliche Geldausgaben ein, wenn man beispielsweise Golf spielt oder ins Fitnessstudio geht. Vielleicht gibt es ja bald ein Gegenmittel gegen Fettleibigkeit, nämlich eine Impfung (Mit einem Pieks das Fett ablassen?). Da bräuchte man sich nicht groß anstrengen oder seine Ernährung umstellen. Eine kurze Fahrt mit dem Auto zum Arzt, ein paar Schritte in die Praxis, eine Spritze gegen ein paar Euro – und schon wäre es Schluss mit der Fettleibigkeit. Andererseits wäre die zunehmende Verfettung der Menschheit möglicherweise auch eine Kompensation zum steigendem Lebensalter, das so wieder in normalere Bahnen geraten würde.