Von der deutschen Vergangenheitsbewältigung

Seite 3: "A special German mission"

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Das staatsmoralische Projekt der deutschen Vergangenheitsbewältigung begründet nicht die Räson dieser Nation, sondern gehört ihrem Überbau an, der ihr dienen und sie adeln soll. Dieses instrumentelle Verhältnis, das viele Patrioten für den eigenen Laden gerne in Abrede stellen, leuchtet ihnen gleichwohl schnell ein, wenn es um ausländische Staatswesen geht. Meldungen wie diese - "The Xinhua news agency slammed Japan for denying history, unlike Germany which has 'faced up squarely to the past and made sincere apologies'" (Straits Times 27.2.14) oder "South Korean President Ms Park called on Japan to follow Germany in repenting of its past wrongs so that the two countries can move forward" (AFP 1.3.14) - dechiffriert ein deutscher Leser unschwer als den chinesischen oder koreanischen Versuch, aus dem Vergleich von Japan mit Deutschland politisches Kapital zu schlagen. Dies gegebenenfalls abzubiegen sind "wir" den ermordeten Juden schuldig:

"Xi will Holocaust instrumentalisieren" (taz 26.2.14) "In Berlin wird erzählt, dass China bei der Vorbereitung des Staatsbesuchs die Idee eingebracht habe, das Holocaust-Mahnmal zu besuchen. Das hat das deutsche Protokoll jedoch abbiegen können: Nichts wäre unangenehmer als ein chinesischer Staatspräsident, der das Gedenken an die ermordeten Juden Europas benutzt, um den Japanern Lektionen in Sachen Vergangenheitsbewältigung zu erteilen." (FR 28.3.14)

"Wir" dagegen benutzen da gar nichts, sondern folgen den Pflichten aus "unserer" Vergangenheit: "Germany's Nazi and Communist pasts are no excuse for ducking [sich drücken] international duties, Mr. Gauck said. […] Germany could not grant itself some kind of privileged abstention [Enthaltung], hiding behind history." (NYT 1.2.14)

Ein wenig rennt diese Befürchtung des dritten hier zitierten Bundespräsidenten auf der 50. Münchner Wehrkundetagung offene Türen ein. Denn dass "die Lehren der Geschichte" nicht für deutsche Zurückhaltung, sondern umgekehrt für eine aktive Einmischung in die internationale Ordnungsstiftung sprechen, diese Neubestimmung wurde spätestens von der damaligen rot-grünen Bundesregierung anlässlich der Auflösung Jugoslawiens und der deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg selbstbewusst vollzogen, als Joschka Fischer das Bombardement mit "Nie wieder Auschwitz!" legitimierte. Eine Sicht aus dem Ausland tut auch hier ein wenig Wahrheit kund: "By the late 1990s, the lessons of history had been reinterpreted in favour of a special German mission to prevent genocide in Europe." (Brendan Simms, irischer Historiker: From the Kohl to the Fischer Doctrine, 2003)

Diese "Reinterpretation" der NS-Geschichte ist der bleibende Grund dafür, dass unter sie kein Schlussstrich gezogen wird. Die "deutschen Spezialaufträge" ergeben sich zwar aus sehr gegenwärtigen politökonomischen Interessen und Weisen, ihnen internationale Geltung zu verschaffen. Aber warum sollten deutsche Politiker auf eine Errungenschaft verzichten, die sie sich parallel zu ihrem tatsächlichen Machtgewinn verschafft haben und die darin besteht, diesem bei Bedarf eine genuine ideologische Rechtfertigung beizufügen?

Wenn das heutige Deutschland den größten Binnenmarkt der Welt anführt, geht dies sehr erfolgreich mit der Selbstdarstellung einher, dass es als geläuterte Nation zu dieser verantwortungsvollen Position auch legitimiert und befähigt ist. Weil der Nachfolger von Kaiserreich und Führerstaat sein Geschichtsbild in der beschriebenen Weise nach innen und außen konsolidiert und etabliert hat, blamieren sich Protestplakate z.B. in Athen, die Kanzlerin Merkel mit Hitler-Bärtchen zeigen, weil sie den Griechen in Namen der EU Vorschriften macht, wie von selbst. Und ihr geschichtsbewusster Gefolgsmann gibt Nachhilfestunden und klärt darüber auf, welchem Staatsmann es heute korrekterweise anzukleben ist: "Schäuble wollte Berliner Schülern die Ukraine-Krise erklären" und "vergleicht Putins Vorgehen mit Hitlers" (Die Welt 31.3.14).

Steinmeiers Aufruf zum Antirassismus (s.o.) beinhaltet nicht von ungefähr den Hinweis auf entsprechende Vorgänge in den USA, weil dem missliebigen Amtskollegen Trump damit eine moralisch hochstehende Abfuhr erteilt werden kann. Was den deutschen Parteienstreit betrifft, so findet der Verweis auf unzureichende Distanz zur braunen Vergangenheit gerne Verwendung als Ersatz von Kritik. Eine solche stellt sich den Populisten gegenüber der Sache nach so recht nicht ein, wenn und weil der Patriotismus den Konkurrenten um die Staatsämter weitgehend gemeinsam ist.

Bei Steinmeiers Mahnungen, die alle maßgeblichen Parteien mit Einschränkungen bei der AfD teilen, kommt noch ein anderes, nicht unwichtiges Moment hinzu. Die deutsche Vergangenheitsbewältigung wird ihrer erfolgreichen Karriere zum Trotz - oder auch wegen ihr - die Zäsur im nationalen Stolz nicht ganz los, den manche Patrioten als gebrochen verspüren. Dieser Widerspruch will also staatlich betreut werden, wenn nötig auch repressiv, damit er keine Formen annimmt, die nach innen und außen dem etablierten Selbstbild schaden könnten.

P.S. zur Antifa

Im Instrumentalismus des deutschen Umgangs mit den "dunklen Jahren" entdecken linksdemokratische und andere Kritiker oft Halbherzigkeit, Vorwand und Heuchelei, manchmal sogar einen ewig-gestrigen Drang. Demokratische Politiker sind jedoch von der moralischen Lauterkeit ihrer Grundhaltungen so überzeugt, dass sie in deren berechnendem Einsatz dazu gar keinen Gegensatz erblicken.

Wer sich also für einen besseren und eigentlichen Antifaschismus einsetzt, dem kann es passieren, dass sein Bemühen gegebenenfalls auch zur Pflege des offiziellen einen Beitrag leistet.