Vor dem Fallen des Hammers
Die Bahn-Privatisierung im Film
Wie das Fernsehen bei der Aufarbeitung aktueller Themen versagt, und wie unabhängige Filmemacher einspringen: ein Fallbeispiel
Wenn man überhaupt in der Öffentlichkeit an die Bahn denkt, dann spielt in den letzten Wochen und Monaten ein Thema die Hauptrolle: der immer wieder angedrohte, verbotene, kurzzeitig geführte, dann wieder auf Eis gelegte Streik der Lokführer. Bis vor kurzem fand im Vergleich dazu der anstehende Börsengang der DB AG wenig Beachtung (vgl. Wie die Bahn verhackstückt wird).
Wenn das doch geschah, dann wurden meistens die Mantras des Bahnmanagements und der zuständigen Politiker wiedergegeben, nach denen der Börsengang eine unumgängliche Notwendigkeit sei, eine quasinatürliche Begebenheit, deren wunderbare und förderliche Konsequenzen kaum abgeschätzt werden könnten. Die legendäre Kritikunfähigkeit vor allem des Fernsehens erreichte bei diesem Thema ein Niveau, das ansonsten allenfalls bei angekündigten Papstbesuchen zu beobachten ist.
Und obwohl sich in dieser Hinsicht langsam eine Änderung abzeichnet - Symptom dafür ist die Diskussion über die Privatisierung bei Anne Will - bleibt der Aufklärungsbedarf über die wirklichen Hintergründe und Begleitumstände enorm.
Natürlich, wir leben nicht in einer Diktatur, man kann schon Informationen finden, die ein düsteres Bild von den anstehenden Großereignissen zeichnen. Die bizarren Bilanztricks, mit denen sich die Bahn billig und profitabel (PDF-Datei) rechnet, um überhaupt verkäuflich zu sein, sind hinreichend dargelegt. Die negativen Folgen der laufenden Bahnprivatisierung seit 1994 bekommt jeder Bahnreisende ohnehin am eigenen Leib zu spüren, dafür braucht man nicht einmal die Medien zu bemühen.
Zwei Filmemacher, Herdolor Lorenz und Leslie Franke, wollten die überall verstreut zu findende Kritik an der Zerstörung der Bahn (denn um nichts anderes handelt es sich) zu einem Dokumentarfilm verdichten. Wunder über Wunder - für ihren Film "Bahn unterm Hammer" fand sich in der deutschen Fernsehlandschaft kein Platz. Das wäre normalerweise das Todesurteil für das Projekt gewesen, aber die Filmemacher ließen nicht locker. Mit Hilfe der Beiträge einiger Verbände (darunter ver.di, attac, die Naturfreunde etc.) und vieler Einzelspenden verfolgten sie es weiter, und es ist ein Film entstanden, der die Frage schlüssig beantwortet, was man denn über die laufende Katastrophe der Bahnprivatisierung noch sagen soll.
Es ist nun einmal ein Unterschied, ob man sich die Zahlen und Daten abstrakt zu Gemüte führt, oder ob man die Auswirkungen konkret vorgeführt bekommt. Ob man sich die Auswirkungen für die Reisenden, die Mitarbeiter der Bahn und die Umwelt denkt, oder ob man davon aus erster Hand erfährt, bzw. von Fachleuten, die anderer Meinung sind als die Vorwortautoren bei den Geschäftsberichten der Bahn - und die ihre Ansichten schlüssig belegen können. Wenn Anschaulichkeit das Ziel von Lorenz und Franke war, dann haben sie es voll erreicht. Vor allem das Stilmittel der direkten und indirekten Gegenüberstellung haben sie klug einzusetzen gewusst. Hier sieht man Hartmut Mehdorn bei der Bilanzpressekonferenz von den großartigen Erfolgen der letzten Jahre reden - hastig und sich ständig verhaspelnd - dort erklärt Heiner Monheim, Professor für angewandte Geographie in Trier , wie viele Firmengleisanschlüsse die Bahn in den letzten Jahren gestrichen hat, wie viele Streckenkilometer pro Jahr stillgelegt werden (etwa 500 pro Jahr seiner Auskunft nach) und wie viele Bahnhöfe und Haltepunkte (30 - 50).
Hier sieht man das Innere des supermodernen Berliner Hauptbahnhofs, dort erklärt der Verkehrsexperte Winfried Wolf (RTF-Datei), dass es sich bei diesem Bahnhof um ein schönes Beispiel dafür handele, was man von der Bahnprivatisierung zu erwarten habe: 300 Millionen habe er einmal kosten sollen, 1,2 Milliarden Euro seien es geworden, überwiegend finanziert von der öffentlichen Hand - während die DB AG ihn als Aushängeschild des demnächst "privaten" börsennotierten Konzerns präsentiert.
Hier wird der desolate Zustand des heute privaten britischen Eisenbahnwesens bei Bahnreisenden, Gewerkschaftern, ehemaligen Managern der öffentlichen British Rail abgefragt, dort gehen Lorenz und Franke in der Schweiz mit einem Informatikprofessor (Prof. Dr. Wolfgang Hesse) auf Bahnreise, der sich vom integralen Taktfahrplan und der klaren Ausrichtung der Schweizer Bahnen auf öffentliche Mobilitätsbedürfnisse begeistert zeigt - offenbar endet sein Interesse für Netze nicht an den Grenzen seines Fachgebiets.
Und so geht es weiter. Mitarbeiter der Bahn im Rangierdienst sprechen von ständig steigendem Arbeitsdruck und ständig sinkenden Ausbildungsstandards, Lokführer von dem gefährlich heruntergekommenen Zustand des Schienennetzes mit seinen Langsamfahrstellen und kaputten Weichen. Berliner S-Bahner schimpfen im Film darüber, dass sie wie Alteisen behandelt werden, langjährige Betriebszugehörigkeit hin oder her. Alles Ergebnisse einer Politik, die die Bahn nach den Maßstäben kreativer Bilanzführung "profitabel" machen will, während im Hintergrund gleichzeitig die Weichen dafür gestellt werden, dass die staatlichen Liquiditätsgarantien für das System nie auslaufen.
Das bizarre Schauspiel einer "Privatisierung", deren privaten Nutznießern die Allgemeinheit auf ewig garantieren muss, dass "ihr" Unternehmen nicht pleite gehen kann, weil es einfach zu wichtig ist, fängt dieser Film gut ein - und die vielen Stimmen der Gesprächspartner, zu denen auch Privatisierungskritiker in den Redaktionen der Financial Times Deutschland und der Capital zählen, kommentieren das Drama wie ein Chor in der klassischen griechischen Tragödie. Im Abspann wird übrigens auch das Rätsel gelöst, warum von den Äußerungen der Privatisierungsfans nur Archivmaterial verwendet werden konnte: Keiner von ihnen, so heißt es, wollte seine Ansichten vor der Kamera vertreten.
In "Bahn unterm Hammer" steckt viel Arbeit. Es ist eine gute Arbeit geworden, die mit aller wünschenswerten Klarheit davor warnt, die Bahn endgültig zu privatisieren. Da den Film kein deutscher Sender haben wollte, läuft er nun "wild": bei politischen Initiativen, Gewerkschaften, in Kneipenhinterzimmern und kleinen Programmkinos - überall dort, wo Interessierte ihn öffentlich aufführen wollen.
Das genehmigen die Filmemacher gerne, wenn man ihnen eine kurze Mail schreibt. So etwas ist nur möglich, weil die Autoren die Rechte an ihrem Film behalten haben - so gesehen ist es kein Schaden, dass das Fernsehen nicht interessiert war. Als DVD kann man ihn natürlich auch kaufen. Sehen sollte man ihn auf jeden Fall, wenn man auch nur einen Funken Interesse für Verkehrspolitik aufbringt.