Vor einem neuen Kulturkampf?

Reaktionen auf die Schweizer Volksbefragung zum Minarett-Verbot

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In der Schweiz finden regelmäßig Volksabstimmungen statt. Die wenigsten finden außerhalb der Schweizer Grenzen Beachtung. So stimmten am vergangenen Sonntag mehr als zwei Drittel weitgehend unbeachtet dafür, dass die Schweiz weiter Waffen exportieren kann. Dieses Ergebnis wurde kaum beachtet. Die mehrheitliche Ablehnung von weiteren Minarett-Neubauten (siehe Kein Muezzin-Ruf aus der Toblerone) hingegen hat schon nach wenigen Stunden weltweite Reaktionen ausgelöst.

„Einer muss den Anfang machen“, heißt es in einem Kommentar von Deutschlands bekanntesten Islamkritiker Henry M. Broder in der Welt. Das Abstimmungsergebnis interpretiert Broder ähnlich wie die Schweizer Justizministerin:

Die Schweizer sind die erste europäische Nation, die sich in einer freien Abstimmung gegen die Islamisierung ihres Landes entschieden hat. Aber nicht gegen die Religionsfreiheit oder den Islam als Religion. Nur gegen eine Asymmetrie der Verbote für Religionen im Orient und Okzident.

Ansonsten übt sich Broder in Medienschelte:

Dieselben Pappnasen, die uns immer wieder erzählen, der Iran sei keine Diktatur pädophiler alter Säcke, die nicht müde werden, zu behaupten die Hamas sei „auf demokratischem Weg” an die Macht gekommen, werden die Mehrheitsentscheidung der Schweizer als „undemokratisch” verurteilen, weil das dumme Mündel sich nicht so entscheidet, wie es der kluge Vormund möchte. Da wird der Vormund böse.

Während bei Broder die Polemik immer auch mit einem Schuss Ironie daherkommt, geht es auf der Internetseite Politically Incorrect, die nach rechts weit offen ist, völlig humorfrei zu. Dort wird den deutschen Medien, die das Minarett-Verbot kritisieren, pauschal „Hass auf Andersdenkende“ unterstellt. Im Blog der Wochenzeitung Jungle World, die linken Islamkritikern ein Forum gibt, wird das Votum der Schweizer Bevölkerung kritisch gesehen:

Nicht die „Islamisierung“ treibt ihre Bewohner um, sondern der Andere, den sie fürchten, die Emanzipation, die sie verachten, und die Moderne, die sie bloß im Bankverkehr dulden.

Europäische Identitätsdebatte

Es hat nicht einmal 24 Stunden gedauert, bis auch in Deutschland Unionspolitiker im Ergebnis des Volksbegehrens die Aufforderung zum Handeln erkannt haben. So forderte der CSU-Bundestagsabgeordnete Manfred Weber in der Berliner Zeitung eine europäische Identitätsdebatte. Nach Ansicht des christdemokratischen Vorsitzenden des Bundestagsinnenausschusses Wolfgang Bosbach ist das Schweizer Votum „Ausdruck einer auch hierzulande weit verbreiteten Angst vor der Islamisierung der Gesellschaft“. Bosbach warnt davor, die Sorgen der Menschen zu ignorieren. Eine ähnliche Diktion war aus konservativen Kreisen Anfang der 90er Jahre im Zusammenhang mit der Einschränkung des Asylrechts zu hören.

Auch damals wurde davor gewarnt, das Thema den rechten Parteien zu überlassen. Nun sind diese Töne nicht besonders überraschend. Schließlich haben die Unionsparteien schon vor Jahren die Islamkritik zum Thema gemacht. Schon 2007 forderte der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber die Verteidigung der christlichen Werte in Europa, worunter er auch verstand, dass die Minarette nicht höher als die Kirchtürme und die Moscheen nicht größer als die Kirchen sein sollten.

Im Jahr 2007 forderte der hessische Ministerpräsident ein Burka-Verbot an den Schulen. Spätestens bei den nächsten Landtagswahlen dürften solche und ähnliche Forderungen wieder auftauchen. An der Personalie Rene Stadtkewitz zeigen sich auch die Schwierigkeiten der CDU mit Islamkritikern, die sich nach rechts kaum abgrenzen. Stadtkewitz zählt zu den bekanntesten Kritikern des Baus einer Moschee in Berlin-Pankow, gegen die auch führende Berliner Neonazis agierten. Weil er sich in seiner Partei nicht genug unterstützt fühlte, trat er aus der CDU aus, blieb aber Mitglied der Berliner CDU-Fraktion. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er bei den nächsten Wahlen wieder für die Union antritt. Schließlich hat sich gezeigt, dass er mit seinen Positionen in Pankow Stimmen holen kann.

Freude am rechten Rand

Wie in Deutschland, durften sich in vielen anderen europäischen Ländern rechtsliberale und konservative Parteien mit dem Argument, man dürfe das Thema nicht dem rechten Rand überlassen, als demokratische Islamkritiker profilieren. Bisher hat der rechte Rand besonders laut gejubelt. In Österreich ließ sich der Obmann der FPÖ mit Schildern abbilden, die ein durchgestrichenes Minarett zeigen.

Der bekannteste holländische Islamkritiker Geerd Wilders will auch in seinem Land Minarette verbieten lassen. Auch die italienische Lega Nord sieht sich durch das Schweizer Abstimmungsergebnis im Aufwind. In italienischen Gemeinden, in denen die Partei den Bürgermeister stellt, wurden schon ähnliche Bestimmungen erlassen.

Die islamische Welt und die Religionsfreiheit

Ein weiterer Faktor könnte nicht unwesentlich die Debatte um die Auswirkungen des Schweizer Volksbegehrens beeinflussen, das sind die Reaktionen in der islamischen Welt. Die ersten Pressestimmen aus der Türkei sind da sehr eindeutig. In den Boulevardmedien wird vor einem neuen Faschismus in der Schweiz gewarnt, aber auch in liberalen Medien heißt es, die Schweiz habe den Toleranztest nicht bestanden.

Das kann als eine Retourkutsche auf Forderungen der EU an die Türkei verstanden werden, im Bereich der Korruptionsbekämpfung und der Menschenrechtssituation Reformen durchzuführen. Der türkische Kulturminister Ertugrul Günay hat noch einmal Öl ins Feuer gegossen, als er das Minarettverbot als „Zeichen religiöser Intoleranz“ bezeichnete und der Schweiz vorwarf, die europäischen Werte nicht verinnerlicht zu haben.

Dass die Schweiz gar nicht Mitglied der EU ist, fällt dabei ebenso unter den Tisch wie der offizielle Umgang der Türkei mit religiösen Minderheiten. "Wenn es in diesem Land eine Volksabstimmung über die Frage gäbe, ob Kirchen oder Synagogen gebaut werden dürfen, würde es als Antwort ein klares 'Nein' geben", lautete eine der wenigen selbstkritischen Stellungnahmen in türkischen Onlinemedien.

Seit Jahren klagen Christen in der Türkei über massive Benachteiligungen. In Ländern wie Ägypten oder Syrien steht es noch wesentlich schlechter um die Rechte von christlichen Minderheiten. In Saudi-Arabien ist das Christentum verboten.

Kapituliert Europa vor den islamischen Diktaturen?

Deswegen sind Proteste gegen das Minarett-Verbot aus islamischen Ländern nur weitere Munition im Kampf der Kulturen und das beste Geschenk, das sich vor allem die rechten Islamkritiker in Europa wünschen können. Henryk M. Broder hat recht, wenn er auf die Situation religiöser Minderheiten in der islamischen Welt verweist. Aber er irrt, wenn er daraus die Schlussfolgerung zieht, deshalb müsse es „eine Asymmetrie der Verbote für Religionen im Orient und Okzident“ geben. In Anspielung an einen bekannten Buchtitel von Broder, könnte man hier von einer Kapitulation der europäischen Länder sprechen.

Wieso sollen Demokratien in Europa nachziehen, wenn diktatorische Regime im Nahen Osten andere Religionen diskriminieren, wozu auch andere Auslegungen des Islam gehören? Müsste nicht gerade mit Verweis auf die Geschichte der westlichen Aufklärung deutlich gemacht werden, dass Demokratien anders mit religiösen Minderheiten umgehen? Ist es nicht abstrus, wenn beim Kampf gegen Minarette auf die christliche Kultur in Europa rekurriert und damit die Geschichte der Aufklärung und Säkularisierung unterschlagen wird? Von der Beantwortung solcher Fragen wird es abhängen, ob das Minarett-Verbot in der Schweiz einen Auftakt für einen neuen Kulturkampf wird, oder ob es gelingt, eine säkulare Welt stark zu machen, in der jede Religion Privatsache ist, aber unter dem Schutz der individuellen Menschenrechte steht.