Vorbilder Schweiz und Norwegen
Großbritannien debattiert über den "Brexit" - den Austritt des Landes aus der EU
Am 27. Juni entschied sich eine Mehrheit der Regierungsvertreter der 28 EU-Mitgliedsländer für Jean-Claude Juncker als neuen EU-Kommissar. Der britische Premierminister David Cameron, der dagegen stimmte, hatte vorher gewarnt, dass die Wahl des erklärten Euroföderalisten mit einem eher taktischen Verhältnis zur Wahrheit maßgeblich dazu beitragen könne, dass sich die britischen Bürger bei einer Volksabstimmung in drei Jahren gegen einen Verbleib in der EU entscheiden. Dieser Meinung sind auch alle anderen größeren Parteien im Vereinigten Königreich, die im Europaparlament einheitlich gegen den Luxemburger stimmen wollen.
Britische Medien beschäftigen sich deshalb recht ausführlich mit einem EU-Austritt ihres Landes, für den sie einen kurzen und prägnanten Namen gefunden haben: "Brexit" - zusammengesetzt aus "Britain" und "Exit". Dabei werden mehrere möglichen Szenarien diskutiert: Nach einem Austritt könnte Großbritannien beispielsweise - ähnlich wie das Ölkönigreich Norwegen - dem Europäischen Wirtschaftsraum EWR beitreten (beziehungsweise darin verbleiben). Dann würde sich für Großbritannien wenig ändern, außer dass die britischen Regierungen nicht mehr formell am Erlass neuer EU-Regeln beteiligt werden. Aufgrund der Größe des Landes ist allerdings wahrscheinlich, dass vor größeren Änderungen Konsultationen stattfinden.
Mehr Spielraum hätte Großbritannien, wenn es - wie die Schweiz - neue bilaterale Verträge mit der EU aushandeln würde. Auf diesem Wege könnte man zum Beispiel die Einwanderung aus Osteuropa begrenzen, die vor allem in unteren Einkommensschichten mit hohem Konkurrenzdruck für Unmut sorgt. Sperrt sich die EU dagegen, wäre eine Teilnahme an der Europäischen Zollunion denkbar, der neben den EU-Mitgliedsländern auch die Türkei, Andorra, San Marino und Monaco angehören.
Aufgrund dieser Optionen ist es nicht möglich, die wirtschaftlichen Folgen eines EU-Austritts seriös vorherzusagen: Die Prognosen reichen von Einbußen im einstelligen Prozentbereich (weil Exporte in andere EU-Länder erschwert werden könnten) bis hin zu deutlich mehr Wirtschaftswachstum, das entstehen könnte, wenn Brüsseler Bürokratiefesseln wegfallen.
Auch die Lobbyverbände sind uneins: Während einige davor warnen, dass britische Politiker EU-Regeln nach einem Ausstieg nicht mehr wie bisher beeinflussen könnten, glauben andere, dass der Finanzplatz London auch außerhalb der EU bestehen kann.
In jedem Fall könnte ein britisches Referendum, in dem sich die Bürger für einen EU-Austritt entscheiden, eine gewisse Vorbildwirkung für andere Länder wie Frankreich, Italien oder die Niederlande haben. Vor allem dann, wenn in Großbritannien nach ein paar Jahren sichtbar würde, dass solch ein Ausstieg keine erheblichen negativen Folgen hat. In Frankreich und den Niederlanden hatten bereits 2005 deutliche Mehrheiten gegen den EU-Verfassungsvertrag gestimmt, obwohl die beiden großen politischen Blöcke intensiv dafür warben.
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