Vorwahlen in Frankreich: Favorit Fillon will regieren wie Thatcher

François Fillon. Foto: European People's Party/CC BY 2.0

Die konservativ-wirtschaftsliberale Rechte wird mit hoher Wahrscheinlichkeit den nächsten Präsidenten stellen. Sarkozy scheidet aus

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Am gestrigen Sonntag wurden möglicherweise die entscheidenden Weichen dafür gestellt, um zu bestimmen, welcher Präsident als nächster im Pariser Elysée-Palast residieren wird. Zwar sind es bis zum Wahltermin noch ziemlich genau fünf Monate hin. Doch aufgrund der katastrophalen inneren Verfassung der regierenden Sozialdemokratie einerseits, und weil eine absolute Mehrheit für den rechtsextremen Front National (FN) wenig realistisch erscheint auf der andere Seite, dürfte die konservativ-wirtschaftsliberale Rechte mit hoher Wahrscheinlichkeit den nächsten Präsidenten stellen.

Insofern kam der Vorwahl, die in diesem Jahr auch von diesem politischen Lager durchgeführt wird - zuerst hatte die französische Sozialdemokratie das Vorbild der primaries in den USA nachgeahmt und 2006 sowie 2011 solche Urwahlen unter den Sympathisanten durchgeführt -, vielleicht höhere Bedeutung zu als dem finalen Wahlkampf selbst.

Fillon und Juppé: Erneuerung des politischen Personals?

Nach der ersten Runde dieser "Vorwahl" oder élection primaire, bleiben noch zwei Bewerber übrig: François Fillon und Alain Juppé. Es handelt sich um zwei frühere französische Premierminister. Juppé bekleidete dieses Amt in den Jahren 1995 und 1997 unter Jacques Chirac und wurde später (2011) nochmals Außenminister. Fillon amtierte von Mai 2007 bis Mai 2012, unter dem damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy, als Premier.

Von einer Erneuerung des politischen Personals kann insofern insgesamt eher nicht die Rede sein. Vier andere männliche Bewerber und eine Bewerberin schieden gestern Abend aus dem Rennen aus, an dessen erster Runde sieben Personen teilnahmen.

Die beiden Herren tragen am kommenden Sonntag die Stichwahl untereinander aus, bislang sieht es stark nach einem Sieg François Fillons aus. Er erhielt in der gestrigen ersten Runde gut 44 Prozent der Stimmen von rund drei Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die zwei Euro dafür bezahlt hatten, mit abstimmen zu dürfen.

Manche Beobachterinnen und Beobachter sprechen nun von einer Überraschung, da seit Jahresanfang 2016 allgemein erwartet wurde, dass entweder Ex-Premierminister Juppé oder der frühere Präsident Nicolas Sarkozy die Vorwahl gewinnen werde. Juppé lag lange Zeit in den Umfragen deutlich in Führung.

Der "dritte Mann"

Nun hat sich ein "dritter Mann", dessen Umfragewerte erst seit vier Wochen vor der Abstimmung zu klettern begannen, dazwischen geschoben und vor die beiden anderen gestellt, so dass Sarkozy gar aus dem Rennen flog. François Fillon, er erhielt in der ersten Runde gut 44 Prozent der Stimmen (gegenüber 28,6 Prozent für Juppé und unter 21 Prozent bei Sarkozy), liegt dabei in fast ganz Frankreich deutlich in Führung.

Unter den ausgeschiedenen Bewerbern unterstützten Sarkozy selbst sowie Ex-Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire noch im Laufe des Abends den Favoriten Fillon. Dagegen rief die Kandidatin Nathalie Mosciusko-Morizet - in Deutschland stünde sie wohl auf dem weltoffenen, "Schwarz-Grün" favorisierenden Flügel der CDU - zur Wahl des eher wirtschaftsliberalen Alain Juppé auf. Die Präferenzen der beiden übrigen Bewerber, Jean-François Copé und Jean-Frédéric Poisson, sind zur Stunde noch unbekannt.

Copé, er war von 2012 bis 2014 Parteichef und musste u.a. wegen Betrugsverdachts bei damaligen innerparteilichen Wahlen das Ruder abgeben, versinkt mit nur 0,3 Prozent der abgegeben Stimmen ohnehin in der Bedeutungslosigkeit. Poisson, der seinerseits nur 1,5 Prozent erhielt, aber angesichts identischer Umfragewerte und eines zuvor inexistenten Bekanntheitsgrads damit relativ zufrieden sein, stand für einen nahezu offenen rechtsextremen Rand der Partei. Er wollte im Laufe seiner Kampagne ein Bündnis mit Marine Le Pen nicht ausschließen, wetterte gegen Homosexuellen-Ehe und Sittenverfall.

Sarkozy: "Wieder mehr privaten Leidenschaften widmen"

Sarkozy erklärte am Wahlabend, er werde sich künftig "einem Leben mit weniger politischen Leidenschaften und mehr privaten Leidenschaften" widmen. Auch wenn Sarkozy bereits einmal, am Abend der letzten französischen Präsidentschaftswahl am 06. Mai 2012, seinen Abschied vom politischen Leben erklärt hatte und dennoch zurückkehrte: Dieses Mal dürfte es wohl sein endgültiges politisches Ableben markieren.

Noch vor kurzem hatte er sich Hoffnungen auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur gemacht, doch sowohl mit seinen auf scharfe Polarisierung abzielenden Sprüchen im Walkampf (die nahezu offen einen "Kulturkampf" mit Muslimen in Frankreich provozieren sollten) als auch mit seinem egozentrischen Stil hatte er die Geduld auch im eigenen politischer Lager überstrapaziert.

Dennoch bedeutet dieser Ausgang keine wirklich überraschende Neuigkeit. Denn auch wenn Fillon lange als dritt-, ja hinter dem ehemaligen Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire, nur als viertstärkster Bewerber gehandelt wurde: In den letzten beiden Wochen vor der Vorwahl deutete sich sein Sieg in den Umfragen bereits an. In den Tagen vor der Abstimmung verstärkte sich die Tendenz.

Viele Menschen achten noch immer auf Programme

Insofern haben sich die Demoskopen dieses Mal, anders als etwa im Vorfeld der diesjährigen US-Präsidentschaftswahl vom 08. November, wirklich nicht getäuscht. Sein "Abheben" in den Umfragen hängt auch damit zusammen, dass er in den drei TV-Debatten , die im Oktober und November unter den insgesamt sieben Kandidaten ausgetragen wurden und über fünf Millionen ZuschauerInnen erreichten, als der seriöseste auftrat.

Beharkten sich die anderen oft untereinander mit persönlichen Vorwürfen, so blieb Fillon von der Form her gelassen und legte den Schwerpunkt auf die "Sachthemen" und auf sein Programm. Zudem hatte er sein Vorwahlprogramm in zahlreichen Details ausgeführt, während manch andere Bewerber wie etwa Bruno Le Maire und Nathalie Kosciusko-Morizet ("NKM") sich mit eher vagen Floskeln zufrieden zu geben schienen.

Dies ist also die gute Nachricht, unter dem Blickwinkel des demokratischen Verfahrens: Bei den Wahlergebnissen geht es durchaus mit rechten Dingen zu, die Zeitgeschichte würfelt nicht, und viele Menschen achten noch immer auf Programme und nicht nur auf das Spektakel in Form eines Gladiatorenkampf am Bildschirm. Mit François Fillon als mutmaßlichem Gewinner der konservativen Präsidentschaftskür wird die bürgerliche Rechte in Frankreich über einen Kandidaten verfügen, der in programmatischer Hinsicht zu wissen scheint, was er will.

Das Programm von Fillon: "Schock" in der Angebotspolitik

Nun die schlechte Nachricht: Dieses Programm hat es in sich. Und es verspricht jedenfalls für die abhängig Beschäftigten, die einer Lohnarbeit oder einer Beschäftigung im Staatsdienst nachgehen, aber auch für Erwerbslose oder für in Frankreich lebende Migranten keine angenehme Zukunft.

Obwohl Fillon während seiner Regierungszeit 2007 bis 12 durch einen eher ruhigen Politikstil - gegenüber seinem ständig übernervösen, damaligen Vorgesetzten Sarkozy - hervorstach, hat er sich nun seinerseits für eine polarisierende Strategie entschieden. François Fillon erklärte in jüngster Zeit die vormalige britische Premierminister Margaret Thatcher zu seinem Vorbild.

Bisher zählte die "eiserne Lady" für französische Konservative eher nicht zu den politischen Leitbildern, da zum gaullistischen Erbe der Rechten in Frankreich auch ein gewisser Staatsinterventionismus in der wirtschaftlichen Sphäre zählt. Fillon stellt einen "Schock" im Sinne einer so genannten Angebotspolitik in Aussicht.

Unternehmen von so genannten Belastungen aller Art freimachen

Diese soll die Unternehmen von so genannten Belastungen aller Art freimachen, ihre Profitrate drastisch steigern und dadurch eine angebliche positive Spirale in der wirtschaftlichen Konjunktur in Gang setzen. Fillon möchte 500.000 Stellen für Staatsbedienstete wegsparen und zugleich die Arbeitszeit der verbleibenden Staatsangestellten von 35 auf 39 Stunden wöchentlich (ohne Überstunden einzurechnen) erhöhen. Und er will, vor allem, die derzeit geltende Regelarbeitszeit restlos abschaffen.

Diese beträgt zur Zeit theoretisch 35 Stunden pro Woche, wobei die wöchentliche Arbeitszeit vom Gesetz her nur als Durchschnitt in einem Ausgleichzeitsraum von drei Monaten (bei einseitiger Entscheidung durch den Arbeitgeber) bis zu drei Jahren (bei einer Vereinbarung mit Gewerkschaftsvertretern) erreicht werden muss. Längere Arbeitswochen sind also bereits heute absolut möglich.

Freies Aushandeln von Maximal-Arbeitszeiten von Branche zu Branche

Fillon will jedoch weitergehend und die theoretisch Norm schleifen. Stattdessen sollen Maximal-Arbeitszeiten von Branche zu Branche frei ausgehandelt werden. Als gesetzliche Schutzregel will Fillon nur die im EU-Recht verankerte 48-Stunden-Woche beibehalten. Ansonsten will er Verhandlungen, die von Unternehmen an Gewerkschaften vorbei und "direkt" mit Teilen des Personals geführt werden, gesetzlich erleichtern.

Statt Kollektivabkommen mit Gewerkschaften zu unterzeichnen, sollen Arbeitgeber - als gesetzlich gleichberechtigte Alternative - Urarbstimmungen in der Belegschaft durchführen lassen können. In einem Kontext, wo das allenthalben zu vernehmende Argument lauten wird: "... sonst sind Eure Arbeitsplätze flöten!", kann man sich das Ergebnis in vielen Fällen lebhaft vorstellen.

Verschärfungen im Ausländerrecht

Ansonsten will François Fillon Verschärfungen im Ausländerrecht vornehmen, aber das stellten ohnehin alle Mitbewerber bei der Vorwahl in Aussicht. Während die Mehrheit der andere Kandidaten und die Kandidatin eher Anzeichen zeigten, sich de facto mit der 2013 durch die sozialdemokratische Regierung eingeführten Homosexuellen-Ehe abzufinden (selbst Sarkozy erklärte, man könne schwerlich dahinter zurückfallen), will Fillon zumindest das mit ihr einhergehende Adoptionsrecht in Frage stellen.

Sein Programm gilt folgerichtig als gesellschaftspolitisch konservativ - freilich ohne die extremen Zuspitzungen des Rechtskatholiken Jean-Frédéric Poisson -, doch wirtschaftspolitisch lupenrein liberal.

Programmatisch liegen damit also relativ klare Alternativen auf dem Tisch. Was dies für die Gesellschaft in Zukunft real mitbringt, wird auf einem anderen Blatt stehen.