Vorwürfe der libyschen Küstenwache: Der deutsche Kapitän der Lifeline ist sich keiner Schuld bewusst
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Mit dem EU-Gipfel wird der Aktionsradius der NGOs deutlich eingeschränkt - eine Konsequenz aus einer Kampagne, zu der das Verhalten der Hilfsorganisationen mit beigetragen hat
Er sei sich keiner Schuld bewusst, sagt der Kapitän der Lifeline, seine Mission habe 234 Menschen gerettet. Das maltesische Gericht in Valetta ist von der Unschuld des deutschen Kapitäns aber noch nicht überzeugt.
Gegen Hinterlegung von 10.000 Euro Kaution wurde Claus-Peter Reisch auf freien Fuß gesetzt. Seine Bewegungsfreiheit ist auf die Insel begrenzt, er musste den Reisepass abgeben. Das Schiff wurde beschlagnahmt.
Die Lifeline ist angeblich nicht registriert. Gegen den Kapitän der Lifeline wird zudem der Vorwurf erhoben, dass er sich den Anweisungen der libyschen Küstenwache widersetzt und unerlaubterweise Menschen aufgenommen habe, welche die dazu befugte libysche Küstenwache, die die Aufsicht über die Rettungsaktion hatte, sonst wieder zurück nach Libyen gebracht hätte.
Das fügt sich zum politischen Vorwurf, den zuletzt auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron gegenüber den nichtstaatlichen Hilfsorganisationen (NGOs) gemacht hat: dass sie das Geschäft der Schlepper unterstützen.
In Libyen kommen Menschen um, die die Küstenwache nicht schützt
Die NGOs argumentieren wie Kapitän Claus-Peter Reisch. Hauptsache sei, Menschenleben zu retten. Dazu gehört auch die Tatsache, dass es in Libyen keinen "sicheren Hafen" gebe, wegen der grauenhaften Bedingungen in den Lagern für die Migranten. Der libyschen Küstenwache machen sie den Vorwurf, dass sie brutal vorgeht und nicht die Menschen im Blick hat, sondern Gehilfin einer harten Abschottungspolitik der Europäer ist.
Aktuelle Nachrichten melden 63 Vermisste vor der libyschen Küste, die möglicherweise in Zusammenhang mit einer Rettungsaktion stehen, für welche die libysche Küstenwache die alleinige Verantwortung hatte.
Davor gewarnt, dass es zu Toten kommen könnte, wurde schon vor einigen Tagen. Da war noch von 100 Verschwundenen die Rede. (Nachtrag: Die Zeit berichtet aktuell von mindestens 218 Menschen, "die seit dem vergangenen Freitag nördlich und östlich von Tripolis ertranken").
Die politische Frage dazu, die nun von den Hilfsorganisationen aufgeworfen wird, lautet, ob dies nun häufiger passieren wird, weil der Aktionsradius ihrer Schiffe deutlich eingeschränkt wird.
Die Rettung der EU und Italiens
Bei den Vereinbarungen auf dem EU-Gipfel war diese Einschränkung ein wichtiger Punkt. Es ging darum, Italien wieder ein gutes Gefühl zu geben. Für Innenminister Salvini sind die NGOs "stellvertretende" oder Vize-Schlepper, er mag sie nicht. Wie die Identitären und andere Rechtsgesinnte ist er der Überzeugung, dass schon viel bei der "Verteidigung Europas" geholfen wäre, wenn die Hilfsorganisationen nicht mehr vor der Küste Libyens aufkreuzen.
Es ist ein naiver Gedanke, aber er hat eine ernstzunehmende politische Mehrheit hinter sich. Mit der ist Salvini Innenminister geworden und dafür hat er jede Menge Unterstützer auch außerhalb Italiens, deren Menschenbild wie etwa bei Orbán deprimierend ist.
Voraussetzung dafür, dass gegen die NGOs derart Stimmung gemacht werden kann, die sich in eine Politik gegen die Arbeit der Hilfsorganisationen übersetzte, war eine auf vielen Fronten agierende Diffamierungs-Kampagne gegen die Arbeit der Hilfsorganisationen einserseits - sowie, auf der Seite der NGO-Vertreter, eine fatale Kombination aus einem von keinen kritischen Eigenbefragungen angerührten moralischem Sendungsbewusstsein, dazu Naivität und nicht selten Überheblichkeit gegenüber Argumenten und Einwänden ihrer Kritiker.
Den Kontext einfach anderen überlassen?
Man gab sich keine Mühe, die Vorwürfe, wonach die Präsenz der NGOs eine Rolle im Kalkül der Schlepper spielt, in einer überzeugenden Öffentlichkeitsarbeit zu entkräften. Ganz im Gegenteil wurde durch die Öffentlichkeitsarbeit der Hilfsorganisationen und ihrer Vertreter und Unterstützer in Mitteilungen in sozialen Netzwerken, auf YouTube-Videos etc., der Eindruck erweckt, dass sie Migranten regelrecht dazu ermutigen, die riskante Reise zu unternehmen.
Auch der, weil sie so viele angeht, sehr wichtigen Diskussion darüber, dass die innenpolitische Situation in Italien immer empfindlicher auf die Neuankommenden reagierte, die von den NGO-Rettungsschiffen dorthin gebracht wurden, stellte man sich überhaupt nicht. Sich hier lediglich auf die humanitäre Mission zu beschränken, mag in bestimmter Beziehung richtig und korrekt sein, politisch gesehen war das weltabgewandt und naiv, wie sich dann auch an der Kampagne gegen die NGOs zeigte.
Das fiese Theater um die Hilfsorganisationen und wen sie da retten ("Arbeitsmigranten keine Flüchtlinge!" wird dauernd gerufen, auch das Zeugnis einer unglaublichen, moralischen Selbstgerechtigkeit nur diesmal auf der anderen Seite) ist da nur ein Nebenschauplatz. Er bekommt viel Aufmerksamkeit, weil dort vor den Küsten das Drama am größten ist und die Fallhöhen zwischen Anspruch und Wirklichkeit dank beschönigender, biederer, engstirniger Berichterstattung leicht ausgenutzt werden können.
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