Wahlentscheidend sind die Fernsehduelle
Bei dem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf spielt aber das Internet schon eine große Rolle
Fünf Wochen sind es noch bis zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen am 7. November. Al Gore und George W. Bush liegen Umfragen zufolge weiterhin Kopf an Kopf im Rennen. Für den Wahlausgang entscheidend werden die Fernsehdebatten, die sich beide liefern. Das erste Duell findet heute statt.
In der vergangenen Woche lag der Gouverneur von Texas, George W. Bush, laut einer CNN/Gallup-Umfrage mit 46 Prozent vor Vizepräsident Al Gore mit 44 Prozent. Doch die Zahlen schwanken täglich, so dass heute der eine, morgen der andere Kandidat einen leichten Vorsprung hat. Nachdem Prinzip "winner takes it all" wird der Kandidat, der pro Bundesstaat vorne liegt - und seien es nur Zehntelprozente - letztendlich alle Wahlmänner dieses Staates erhalten. Die US-Medien überschlagen sich angesichts dieses komplizierten Systems derzeit mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen und anderen Prognosen. Doch nicht darin einbezogen ist das Abschneiden der Kandidaten in den berühmten Fernsehdebatten, die regelmäßig Millionen von Amerikanern vor die Bildschirme locken.
Heute Abend werden sich Gore und Bush erstmals vor laufenden Kameras mit viel Rhetorik, Mimik, Gestik und streng gescheitelt um die Wählergunst streiten. Zwei Tage darauf liefern sich die Kandidaten um die Vizepräsidentschaft, Joseph Lieberman und Richard Cheney, ein TV-Duell. Und am 11. und 17. Oktober werden Gore und Bush erneut direkt im Fernsehen aufeinandertreffen.
Die Auswahl der Teilnehmer an den Fernsehdebatten trifft die 1987 gegründete "Commission on Presidential Candidates" (CPD). Umstritten bleiben nach wie vor die Kriterien, nach denen die CPD die Kandidaten festlegt, die sich vor dem Millionenpublikum streiten dürfen. Die Chancenlosigkeit der weniger finanzkräftigen Kandidaten wie des Grünen Ralph Naderund des Rechtsaußen Pat Buchanan, die sich außerhalb der beiden großen Parteien versuchen, wird dadurch geradezu festgeschrieben.
Das schwer aufzulösende Zweiparteiensystem, das die Zweierdebatte hervorbringt, hat eine lange Geschichte: Anno 1858, am 21. August, waren es Abraham Lincoln von den Republikanern und Stephen A. Douglas, ein Demokrat, die über Sklaverei und Bundesstaat diskutierten - die erste öffentliche politische Debatte, und Anlass war der Senatswahlkampf im Bundestaat Illinois.
So spricht derzeit alles von Bush und Gore. Beide Kandidaten verorten sich in der politischen Mitte und verstecken dabei ihren Rechtsdrall nicht. In ihrer politischen Grundhaltung unterscheiden sie sich nur stückchenweise. Beim Thema Todesstrafe war man sich beispielsweise von Anfang an einig. Umso demokratischer und bunter kommt das Gemache und Getue um die großen TV-Spektakel daher. So streiten sich die Teams von Bush und Gore seit Wochen über jede Einzelheit der Präsentation - wer am Dienstagabend wo stehen darf, welchen Einfallswinkel welche Kamera wann einnimmt, welchen Bildhintergrund die Debatte haben wird, wer moderiert und wie die "Debatte" abzulaufen hat.
Unter anderem legte die CPD fest: beide werden stehend am Podium aufeinander einreden, das Ganze wird an der Bostoner University of Massachusetts stattfinden, und die Debatte soll von 21 Uhr bis 22.30 Uhr Ostküstenzeit dauern. Moderiert wird sie von Jim Lehrer vom Public Broadcasting Service.
Einer ABC-Umfrage zufolge ist die Zahl der Amerikaner, die sich ausschließlich per Internet über die Präsidentschaftswahlen informieren, auf 13 Prozent angewachsen. Entsprechend setzen Medienkonzerne und unabhängige Institutionen längst auf Infostrecken auf den entsprechenden Websites. Die wohl umfangreichsten haben die Washington Post und der Industry Standard eingerichtet.
Kein Regionalblatt kann es sich leisten, auf die ausführliche Internetberichterstattung über "election2000" zu verzichten. ABCNews.com bietet sogar eine tägliche Chatmöglichkeit zur Diskussion eines ausgewählten Themas, an der auch die Kandidaten teilnehmen
Selbst wer keinen Internetzugang oder Fernseher hat und darüber hinaus weder schreiben noch lesen kann, wird mit Informationen versorgt. Unter 1-800-555-Tell hat die Firma Tellme eine Gratis-Telefonnummer eingerichtet. Wer "elections" als zusammenhängendes Wort auszusprechen in der Lage ist, kann über einen Spracherkennungscomputer den Kandidaten Bush und Gore zuhören oder selbst Themen vorschlagen, über die beide debattieren sollen.
Ganz im Gegensatz zur veröffentlichten Meinung und zu den Themen, die die Kontrahenten unermüdlich auf allen Kanälen und zu jeder Gelegenheit ansprechen, steht offenbar das Bedürfnis vieler Amerikaner. Einer Umfrage zufolge, die die linksliberale Zeitschrift The Nation zusammen mit dem Institute for Policy Studies letzte Woche in Auftrag gegeben hatte, sind zum Beispiel 91 Prozent der Amerikaner besorgt über die Zukunft des Krankenversicherungswesens. 74 Prozent würden gerne die größer werdende Schere zwischen Arm und Reich zum Wahlkampfthema machen. 83 Prozent befürworten Freihandel - wie Bush und Gore -, doch nur, wenn er an Arbeiter-, Umwelt- und Menschenrechte gekoppelt ist und selbst wenn dies wirtschaftlichen Abschwung bedeuten würde - im Gegensatz zu Bush und Gore.
Und 80 Prozent wünschen sich, dass auch einmal außenpolitische Themen wie der Atomwaffensperrvertrag oder die Rolle der UNO von den Kandidaten öffentlich debattiert werden. Doch darauf wird der Durchschnittswähler vergeblich warten, und deshalb wird die Mehrheit am Wahltag dann doch wieder Zuhause bleiben.