Wahlkampf in Tschechien
Merkels Freunde in der EU könnten bald weniger werden
In den nächsten Wochen finden nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und Tschechien Parlamentswahlen statt. Die Tschechen wählen ihr neues Abgeordnetenhaus am 20. und 21. Oktober - und den Umfragen nach wird sich die 2013 mit 20,5 Prozent stärkste und aktuell regierende sozialdemokratische ČSSD dabei etwa halbieren. Gewinner der Wahl wird wahrscheinlich ihr bisheriger Koalitionspartner, die die 2011 gegründete Anti-Establishment-Gruppierung "Aktion unzufriedener Bürger" - "Akce Nespokojených Občanů" oder kurz: ANO (was auf Tschechisch auch "ja" heißt). Sie könnte sich von 18,7 auf über 33 Prozent verbessern und wäre damit mit großem Abstand neue stärkste Partei.
Gründer und Chef der "Bewegung" (die keine Partei sein will), ist der mit chemischen Fabriken und Medienunternehmen reich gewordene Milliardär Andrej Babiš. Er dürfte nach einem Wahlsieg den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka ablösen, wäre aber auf Koalitionspartner angewiesen. Da es auch in Tschechien eine Fünf-Prozent-Hürde gibt, an der voraussichtlich Parteien mit einem Anteil von insgesamt 12 bis 13 Prozent scheitern werden, ist für eine Mandatsmehrheit aber sehr wahrscheinlich kein gemeinsamer Stimmenanteil von über 50 Prozent erforderlich, sondern deutlich weniger. Liegt der Anteil der Parteien, die an der Sperrhürde scheitern, beispielsweise bei 13 Prozent, könnte ein Stimmenanteil von 44 Prozent für eine absolute Mandatsmehrheit ausreichen.
Mögliche Koalitionspartner
Zweitstärkste Partei könnte mit einem Stimmenanteil von 11 Prozent und einem Zuwachs von gut drei Punkten die Občanská Demokratická Strana (ODS) werden - die liberalkonservative und moderat EU-kritische Partei des langjährigen Staats- und Ministerpräsidenten Václav Klaus. Sie wechselte im Europaparlament bereits 2006 von der christdemokratischen EVP-Fraktion in die von den britischen Tories angeführte Fraktion der Konservativen und Reformisten (EKR). Die ODS käme als potenzieller Koalitionspartner ebenso infrage wie die in der letzten Koalition als dritte Partei vertretenen Christdemokraten von der KDU-ČSL: Sie könnten ihr Ergebnis von 2013 (6,78 Prozent) den Umfragen nach zwar leicht verbessern - aber eventuell nicht in einer Größenordnung, die für eine Zweierkoalition mit der ANO ausreicht.
Vorstellbar ist auch ein Bündnis mit der erstmals antretenden Svoboda a Přímá Demokracie (SPD - "Freiheit und direkte Demokratie"). Sie wird vom japanischstämmigen Tschechen Tomio Okamura angeführt und kooperiert auf europäischer Ebene mit der österreichischen FPÖ, dem französischen Front National und der italienischen Lega Nord (vgl. ENF-Parteien verlangen EU-Exit-Volksabstimmungen für alle Länder). Mit Umfragewerten von siebeneinhalb Prozent dürfte die Volksabstimmungspartei in etwa so stark werden wie die Christdemokraten oder die EU-euphorische TOP09 des ehemaligen Außenministers Karel Schwarzenberg, für die 2013 noch zwölf Prozent stimmten.
Eher nicht infrage für ein Bündnis mit der ANO kommen die Kommunisten von der KSČM, die mit Einbußen von vorher knapp 15 auf etwa zehn Prozent rechnen müssen. Die tschechischen Grünen werden mit etwa zwei Prozent voraussichtlich noch deutlicher an der Sperrhürde scheitern als die Piraten, die bei vier Prozent gemessen werden.
K.u.K.-Block gegen Merkel-Deutschland
Obwohl sich die ANO im Europaparlament der Fraktion der Liberalen anschloss, lässt sich die Bewegung nur bedingt in traditionelle politische Schubladen einordnen: Zu ihren Programmschwerpunkten gehören unter anderem eine Verdoppelung der Ausgaben für Bildung und Forschung, die Sorge um Arbeitnehmer über 50, eine Senkung der Mehrwertsteuer, Wirtschaftswachstum durch Entbürokratisierung, der Kampf gegen das Glücksspiel, die Abschaffung der parlamentarischen Immunität und "gläserne Politiker", die ihre Einkünfte offenlegen müssen.
Wird Babiš tschechischer Ministerpräsident und Sebastian Kurz österreichischer Bundeskanzler (wonach es derzeit aussieht), würde die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel einem K.u.K-Block in der EU gegenüberstehen, der nach den Wahlsiegen selbstbewusster Forderungen vorbringen und Grenzen aufzeigen könnte als vorher - vor allem in der Migrationspolitik, wo der ANO-Vorsitzende angesichts der "Gräueltaten, die einige Leute begehen" vor einem "großen Risiko" warnt. Der tschechische Staatspräsident Miloš Zeman, ein Sozialdemokrat, dessen Wiederwahl im Januar 2018 ansteht, ist Babiš hier näher als seinen Parteigenossen und wird ihn deshalb kaum zurückhalten.
Nachdem es nach einer Rücktrittsankündigung im Mai zu einer offenen Meinungsverschiedenheit zwischen Sobotka und Zeman gekommen war, offenbarte der Ministerpräsident den Medien, er vermute, das sich Zeman und Babiš gegenseitig unterstützen und entließ den ANO-Vorsitzenden als seinen Finanzminister - offiziell wegen Verdachts auf Steuervermeidung. Im Juni trat Sobotka dann als Parteivorsitzender zurück (was er mit den verheerenden Umfragewerten begründete) und überließ diesen Posten seinem Innenminister Milan Chovanec. Spitzenkandidat der Sozialdemokraten wurde jedoch nicht er, sondern Außenminister Lubomír Zaorálek.